Wolfgang Schneider

Der Gärtner war der Mörder


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beide nur hören und das einzige Geräusch im Raum ist ihr panischer, flacher Atem. Langsam und vorsichtig geht er ein paar Schritte zur Seite und betastet die Wand; dann findet er einen Schalter und macht das Licht an. Ein kurzes, ganz leises Surren ertönt, ein schnelles Flackern an der Decke. Dann erstrahlt eine nackte Glühbirne und wirft ein dünnes, bräunliches Licht auf den Mann und das Mädchen. Er blickt sich rasch um, dann geht er mit schnellen Schritten zum anderen Ende des Raumes und öffnet eine weitere Tür, die in einen anderen Raum führt. Er fasst mit der Hand um die Kante des Türstocks, tastet und sucht ein wenig, dann hat er einen weiteren Schalter gefunden und knipst das Licht an. Das Mädchen hört ein paar mal das selbe hohe, metallisch flirrende Geräusch und sieht aus dem Augenwinkel ein weißbläuliches Flackern: Neonröhren. Sie dreht den Kopf zur Seite, kann aber durch die halb geöffnete Tür nicht erkennen, was sich im zweiten Raum befindet. Der Mann dreht sich um und kommt langsam zu ihr zurück. Er legt den Kopf ein wenig zur Seite und sieht sie einen Moment lang von oben herab an. Dann sagt er:

      „Das Grünzeug muss jetzt geschält werden.“

      Sie hebt den Kopf soweit es geht und starrt ihn an. Dann strampelt sie mit den Beinen, und versucht, sich von ihm weg zu schieben. Er bückt sich, packt sie am Oberarm und zieht sie ohne Anstrengung hoch. Er beugt sich zu ihr herunter, bis sein Gesicht ganz nahe an ihrem ist und starrt in ihre aufgerissenen Augen; seine Halsschlagader tritt hervor und pulsiert heftig und langsam. Dem Mädchen fällt das nicht auf, sie sieht paralysiert in sein Gesicht. Er flüstert:

      „Das Scheiß-Grünzeug wird jetzt geschält, SOFORT!“

      Dabei lässt er sie los und sie fällt wieder auf den Boden. Blitzschnell sinkt er neben ihr auf die Knie und dreht sie auf den Bauch. Dann reißt er an dem Klebeband, mit dem ihre Hände gefesselt sind. Es gelingt ihm erst nicht, es zu entfernen, er wird immer wütender und zerrt daran wie ein Wahnsinniger, während er brüllt:

      „Das – Scheiß – Grünzeug! Ich – muss – es – schälen!“. Dann senkt er den Kopf und versucht, das Klebeband zu zerbeißen. Als es ihm nach einer Weile gelingt, sieht er den tiefroten Streifen, den das Band auf ihren weißen, blutleeren Handgelenken hinterlassen hat. Er dreht sie wieder auf den Rücken; sie atmet sehr schnell und flach, Tränen laufen ihr über's Gesicht, während sie ihn panisch ansieht. Sie fängt ziemlich stark an zu zittern. Dann beginnt sich sein Gesichtsausdruck plötzlich zu entspannen, weich und fast zärtlich lächelt er sie an und streicht ihr über's Haar.

      „Ein tolles Grünzeug ist es, so schön lebendig. Das werden wir jetzt schääälen...“

      Er beginnt vorsichtig, fast schüchtern, den Reißverschluss ihres Anoraks aufzumachen. Als dieser klemmt, verschließt sich sein Gesicht und wird wieder sehr hart. Er beginnt schwer zu atmen, zerrt und reißt an ihrer Jacke. Dann steht er auf, packt das Mädchen am Oberarm, zieht sie auf die Beine und versucht hektisch, den Reißverschluss aufzubekommen. Sie wehrt sich, fasst ihm mit den Händen ins Gesicht, versucht ihn weg zu schubsen. Er packt eine ihrer Hände am Handgelenk und biegt sie nach unten. Dann schlägt ihr mit der flachen Hand ins Gesicht.

      „Das scheiß Grünzeug soll's Maul halten, das scheiß Grünzeug soll verdammt noch mal das Maul halten!“ schreit er. Dann schlägt er ihr nochmal ins Gesicht und reißt wie wahnsinnig am Reißverschluss, bis er ihn schließlich mit einem Ruck offen hat. Das Mädchen ist gelähmt, sie wehrt sich kaum, als er ihr den Anorak auszieht. Dann lässt er sie los. Ihre Knie zittern so stark, dass sie sich nicht auf den Beinen halten kann zu Boden sinkt. Sie sieht ihn von unten herauf an, schlotternd vor Angst und macht sich in die Hose. Er kniet sich vor sie hin und sieht sie stumm und hasserfüllt an. Dann reißt er ihre Bluse auf, die Knöpfe springen weg wie Popcorn. Er zerrt daran, bis er ihr die Bluse ausgezogen hat, dann wirft er sie auf den Bauch und versucht, ihren BH aufzubekommen. Zunächst gelingt es ihm nicht und er brüllt vor Wut. Er zieht und zerrt, ihr Brustkorb wird zusammen geschnürt dass ihr die Luft wegbleibt. Schließlich gibt der Plastikverschluss des BHs nach und platzt auf. Wütend dreht er sie auf den Rücken. Seine Bewegungen werden immer hektischer, schneller, als er sich an ihren Schuhen zu schaffen macht. Wie im Wahn reißt er an den Schnürsenkeln, bekommt sie auf, zieht ihr die Schuhe aus. Dann knöpft er ihr die Hose auf, versucht sie ihr mit einem Ruck herunter zu ziehen. Sie strampelt verzweifelt mit den Beinen, doch er ist stark, sehr stark, und seine Wut ist grenzenlos. Er zerrt an den Hosenbeinen, schließlich gelingt es ihm, ihr Hose und Slip zusammen auszuziehen. Er wirft beides in eine Ecke, dann sieht er sie an. Der offene BH baumelt noch an ihren Schultern, mit einem beiläufigen Ruck zieht er ihn ihr aus, wie jemand, der nach dem Putzen noch ein letztes Stäubchen wegwischt. Er atmet eine Weile schwer, dann entspannt er sich wieder. Es ist noch einmal der sanfte, fast kindliche Ausdruck, der sich über sein Gesicht legt. Er lächelt und sagt:

      „Jeeetzt bin ich glücklich.“

      Er erhebt sich und steht, leicht gebeugt, mit plump herunter hängenden Armen da und sieht auf das Mädchen herab, das nun bis auf die Socken nackt vor ihm liegt. Dann beugt er sich zu ihr herunter und packt sie vorsichtig am Oberarm. Er zieht sie zu sich hoch und führt sie langsam zu der halb geöffneten Türe, die in den Nebenraum mit den Neonröhren führt. Sie zittert so stark, dass sie kaum gehen kann, ihr Kopf hängt und ihr Gesicht schwimmt in Tränen. Als er mit dem Mädchen den zweiten Raum betritt, sagt er, mehr zu sich selbst:

      „Schön haben wir es geschält, das Grünzeug, da kommt es jetzt hinein.“

      Sie hebt den Kopf, entdeckt zahllose Polaroid-Fotos an einer Wand und wirft einen Blick darauf. Dann sieht sie sich um, erkennt, dass die Bilder in eben diesem Raum aufgenommen worden sind und weiß plötzlich, was jetzt passieren wird. Ihr Gehirn ist überfordert, sie hat noch nie so etwas furchtbares gesehen. Wenn das Klebeband nicht wäre, würde sie jetzt lachen. Sie ist fünfzehn Jahre alt.

      Auf dem Viktualienmarkt I

       Samstag, 7. Juni 2008, 18:30

      „Ist bei euch noch ein Platz frei?“ Keine Antwort, nur ein Nicken. Die Frage hatte Valentin Seldmeyer gestellt, die wortlose Antwort kam von einem älteren Mann mit einem halb vollen Weißbierglas, das er gerade zum Trinken angehoben hatte. Sedlmeyer nickte dem Weißbiertrinker zu und setzte sich neben ihn auf die Bierbank. Es gab zwar in München haufenweise Biergärten und etliche davon waren zweifellos stilvoller oder gemütlicher als der am Viktualienmarkt, aber nun war er schon mal da und das Bier war hier so gut wie dort. Zudem hatte der Viktualienmarkt als solches bei all seiner touristischen Exponiertheit doch auch etwas typisch Münchnerisches: diese Stadt schaffte es irgendwie, die sogenannte Moderne in Form von Massentourismus und Schnelllebigkeit mit der sogenannten Tradition relativ unaufgeregt zu verbinden. „Bayern, das Land von Laptop und Lederhose“ hatte der Ministerpräsident einmal gesagt. Man konnte dem Ministerpräsidenten alle möglichen Schwachheiten vorhalten, aber dieser Spruch enthielt vermutlich tatsächlich ein Körnchen Wahrheit. Und der Viktualienmarkt war Münchner Tradition allererster Güte. 1807 auf Weisung König Max des ersten Josef als Erweiterung des Stadtmarktes aufgebaut, hatte er sich vom damaligen Kräuter- und Getreide-Markt zu einem hochklassigen Feinkost-Paradies gewandelt, wo Spezialitäten aus allen Ecken der Welt in trauter Einigkeit mit Bayerischen Grundnahrungsmitteln wie Leberkäs und Radieschen feil geboten wurden. Über den Markt verteilt fanden sich Brunnen mit Bronzeskulpturen Münchner Kultur-Originale wie Karl Valentin oder dem Weiß Ferdl, gleich neben Marktständen, auf denen Ingwer-Wurzeln und Indische Gewürze angeboten wurden. Und mittendrin: der Biergarten, der neben Sedlmeyer Touristen aus aller Welt beherbergte. Wer ein Problem mit Touristen hatte, war in einem Münchner Biergarten übrigens schlecht aufgehoben: man konnte davon ausgehen, dass die auch den hinterletzten davon finden und überfallen würden, selbst wenn er auf dem Mond läge.

      Valentin Sedlmeyer war Hauptkommissar bei der Münchner Kriminalpolizei und selbst ein wenig Tradition und Moderne in einem. Er war gebürtiger Münchner, der Bayerischen Sprache in all ihren Facetten mächtig, und in seinem Küchenschrank befand sich ein steinerner Bierkrug mit Zinndeckel und König Ludwig Emblem – zugegebener Maßen allerdings ein Geschenk zum zehnjährigen Dienstjubiläum. Andererseits sprach er im täglichen Umgang glasklares Hochdeutsch, ging überhaupt nicht gerne auf's Oktoberfest