Sebastian Liebowitz

Bubenträume


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auch jedes Mal mehr deinem Papa (Gott bewahre), bloss die Statur, die hast du von deiner Mama (hoffentlich nicht), bist du auch immer schön brav (selten bis gar nie) wie alt bist du denn jetzt (13), in welche Klasse gehst du denn jetzt (siebte), gehst du gern in die Schule (was denkst du denn), passt du auch immer schön auf (eher nicht), wie läuft’s denn so mit den Noten (noch viel Luft nach oben, eher weniger nach unten), aber du weisst ja, ‚nicht für die Schule, sondern für das Leben lernen wir‘ (zs), weisst du schon, was du mal werden willst, wenn du mal gross bist (Rockstar), hast du denn auch viele Freunde (geht so), wie geht es denn Karoline und Cornelia (seit wann reden die mit mir?), sind Hans und German immer noch auf See (Gott sei Dank), spielst du immer noch so gerne Monopoly (das letzte Mal, als ich 7 war), wir können ja nachher vielleicht eine Runde spielen, wenn du magst (rette sich, wer kann), ich mag mich noch gut daran erinnern, wie du damals ausgesehen hast…

      Ich zuckte zusammen. Mir schwante Übles.

      ….als du noch klein warst. Du hattest damals ja die schönen langen Haare….“ Sie fuhr mir abwesend mit der Hand durch mein Haar, blieb aber auf halbem Weg im Haargel stecken. Davon unbeirrt kämpfte sie sich weiter meinen Scheitel entlang und legte mir dabei meine sorgfältig aufgestellten Haare nach hinten. Da ging meine Frisur dahin, für welche ich zwanzig Minuten vor dem Spiegel gestanden hatte. Sicher sah ich aus wie ein Dandy.

      „..wie ein kleines Mädchen hast du ausgesehen.“ Sie kichert vergnügt. „Ich weiss noch gut….“

      Ein Glück, dass dieses Gespräch unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfand. Wenn man sich unter Gleichaltrigen beweisen will, sind Geschichten, die sich darum drehen, wie man der staunenden Verwandtschaft als Mädchenableger präsentiert wurde, nicht gerade zweckdienlich. Trotzdem machte ich gute Miene zum bösen Spiel und lächelte brav, während man mir zum tausendsten Mal die Geschichte erzählte, wie ich damals, bei der Hochzeit von Onkel Gustav, hei, war das vielleicht lustig, wie ich das meterlange Band mit den vielen Schnullern und Milchfläschchen, welches man als Glücksbringer für eine lange, glückliche Ehe gebastelt hatte, hatte fallen lassen und wie alles verspritzt war, oje, wie das eine Sauerei gegeben habe, damals, und wie Onkel Gustav mit dem schönen Hochzeitsanzug ausgesehen habe… und ob ich mich noch erinnern täte…

      Als ob ich die Geschichte jemals hätte vergessen können. Schliesslich gab es Legionen von gutmeinenden Verwandten, die dafür sorgten, dass man die Geschichte nur ja nicht vergass, wie man doch damals, bei der Hochzeit von Onkel Gustav, du weisst schon, und das war vielleicht lustig…

      Die Geschichte endete dann unweigerlich im Hinweis, dass ich mir nichts daraus machen solle, weil die Ehe der beiden ja ohnehin keine fünf Jahre gehalten habe. Meist senkte man an dieser Stelle die Stimme zu einem Flüstern, während man unsicher über die Schulter schielte. Die Scheidung war im überwiegend streng katholischen Dorf schliesslich ein grosser Skandal gewesen, der den armen Onkel Gustav in den Alkoholismus getrieben habe. So behauptete man wenigstens.

      Ich war mir nicht so sicher. Onkel Gustav soff auch so, dazu brauchte der keinen Skandal. Und dann gab es auch noch ein paar ganz dreiste Gestalten, die sich sogar zur Versicherung veranlasst sahen, das alles sei aber sicher nicht meine Schuld gewesen, nein, nein, ich soll da bloss nicht auf das Gerede von Grosstante Hortensia hören. Die alte Hexe sei schliesslich immer schon ein wenig „gaga“ gewesen, das wisse doch jeder. Schliesslich könne ich ja nichts dafür, dass ich das Band mit den Milchfläschchen, hihihi.. aber das war vielleicht lustig, war das.

      Ein Wort im Redeschwall von Tante Marta liess mich aufhorchen. Hatte ich da gerade was von Pullover gehört? War sie gar am Ende schon zu einem anderen Thema weitergezogen? Ich riss mich aus meinen Gedanken und fokussierte mich auf ihre Lippen, während der Wasserfall der Töne, der aus ihrem Mund rauschte, sich zerstückelte, Wörter formte und auf einmal einen Sinn ergab…

      „..und die Hosen sind ja auch ganz zerlöchert. Ich muss mal mit deiner Mama reden, ob ich dir nicht ein paar alte Sachen von unserem Bertram bringen soll. Jaja, mein Bertram.“ Tante Martas Augen schweiften ins Leere. „Er hat in den Sachen immer so adrett ausgesehen, wie ein kleiner Geschäftsmann, dann hat er immer so ernst dreingeschaut. ‚Sieh nur‘, hat dein Onkel Theo immer gesagt, ‚unser kleine Buchhalter‘, und dann haben wir immer gelacht.“ Sie seufzte schwer. „Der Bertram ist ja aus seinen Sachen längst rausgewachsen, jaja, so ist das halt. Aber du bist ja immer noch so klein, dir passen die Sachen sicher noch, da brauchst du gar keine Angst haben...“

      Angst? Die einzige Angst, die ich hatte, war, dass ich genötigt wurde, mit Cousins Bertrams viel zu grossen Bundfaltenhosen und seiner Strickweste in der Schule aufzutauchen. Der Kerl war mit 12 schon doppelt breit wie ich und machte immer einen auf Gernegross. Den Anzug, den er zur Erstkonfirmation erhalten hatte, trug er ganze drei Monate lang. Und das jeden Tag. Mit so was in der Schule anzutanzen kam einer Verurteilung zum mittelalterlichen Schandpfahl gleich.

      Schon sah ich mich als Gespött auf zukünftigen Klassentreffen.

      „..und da taucht er doch tatsächlich mit Bundfaltenhosen und einer Strickweste auf, hihihihohohooo“, brüllt Bürgi und der ganze Saal wiehert los. Er wischt sich mit einem Taschentuch den Schweiss von seiner feisten Stirn, den ihm der Wein aus den Poren getrieben hat. Gönnerisch legt er mir seinen massigen Arm auf die Schulter. Unter seiner Achsel zeichnet sich ein riesiger Schweissfleck ab. „Hihi, aber der gute Sebastian war ja immer schon ein bisschen eigen, hihihi, ich mag mich noch erinnern, als er mir erzählt hat, wie er das erste Mal mit einem Sexheftchen onaniert….hoho, spritzt doch prompt über die Bettdecke, hihihihohoho…..seine Mutter die Flecken gesehen, hahaha…Joghurtflecken, sagt er, hahahaaa, Joghurtflecken, hohoho…“

      Gelächter dröhnt durch die Halle, hunderte Gesichter lachen mich an, grinsen schadenfreudig, über mir der riesige Kronleuchter, der sich dreht, immer schneller dreht, der ganze Raum dreht sich, alles verschwimmt, mir wird schwarz vor den Augen...

      Mamas Stimme drang wie Watte zu mir.

      „..seid ihr ja. In der Küche gibt’s Kaffee und Kuchen, wenn jemand Lust hat.“

      Der Druck an meinen Armen liess nach, der dunkle Schatten, der drohend über mir hing, verschwand. Zurück blieb Onkel Theobald, der Tante Martas Monolog teilnahmslos mitverfolgt hatte. Er hatte diese Imitation eines Pflanzenkübels in langen Ehejahren zur Perfektion verfeinert. Wie Papa mir einmal unter vier Augen mitgeteilt hatte, sei der Arme dabei sogar einmal von einem Chihuahua angepinkelt worden.

      Nun aber kam Bewegung in den vormals so reglosen Hünen. Er legte mir tröstend die Hand auf die Schulter und seufzte schwer.

      Manchmal sagen Gesten eben doch mehr als tausend Worte.

      Am Küchentisch gab Papa, frisch rasiert und mit sauberem Hemd, souverän den Familienvorstand, der das Zepter fest in der Hand hielt.

      Bei der Rasierklinge war ihm das scheinbar nicht so gut gelungen, denn sein Gesicht war von zahlreichen, blutigen Papierfetzchen übersäht. Sogar seine Ohren hatte der Arme verstümmelt. Bevor die Sprache jedoch auf Papas Flickenteppich von Gesicht kam, sollte das Qualitätsgefälle zwischen Kaffee und Kuchen für willkommene Ablenkung sorgen. So, wie die beiden den Mund verzogen, schien ihnen unser „feiner Selbstlöslicher“ wohl nicht so recht zu munden. Dabei hatte Onkel Theobald einen kleinen Vorteil für sich verbuchen können, weil Mama, ganz die perfekte Gastgeberin, natürlich Tante Marta zuerst bedient hatte. Als Mama mit der Milch bei ihm ankam, hielt er schnell seine Hand über die Tasse und behauptete geistesgegenwärtig, dass er den Kaffee lieber schwarz trinke. Das brachte ihm einen scheelen Blick von Tante Marta ein, die weiterhin tapfer in den Klümpchen rührte, die ihr Mama mit der schon etwas sauren Milch in den Kaffee hatte plumpsen lassen. Dafür hatten die beiden für den Kuchen nur lobende Worte übrig, was Mama zu einer kühnen Behauptung veranlasste.

      „Selbstgemacht“, verkündete sie und strahlte stolz in die Runde.

      Das war nicht gelogen, wenn auch selbstgemacht vom Bäcker, und nicht von Mama.

      „Mhm, und so saftig“, schwärmte Tante Marta, „da musst du mir unbedingt das Rezept für geben, Luise, keine Wiederrede.“

      Dieser Wunsch liess Mama nun doch leicht ins Schwitzen