Sebastian Liebowitz

Bubenträume


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deine Knie knallt.“ Er deutete mit dem Kinn auf Bürgis Schoss. „Wie gross wird das Ding denn erst, wenn es mal steif ist, sag mal?“

      Im ganzen Raum war es auf einmal mucksmäuschenstill. Für einen Moment war nur noch das Zischen der Duschbrausen zu hören. Wir schauten uns mit grossen Augen an. Aber wie das halt so ist: Wenn einer erst mal den Anfang macht, ziehen alle mit. Plötzlich gab es kein Halten mehr.

      Daniel war der erste, der den Reigen eröffnete.

      „Ja, komm, mach mal, Bürgi, sei kein Feigling“, forderte er wie aus der Pistole geschossen, als ob er nur auf diese Gelegenheit gewartet hätte. „Genau, sonst hast du ja auch immer eine grosse Klappe“, forderte Paul und Jürg sah sich sogar zum zweideutigen Spruch animiert, dass Bürgi ja sonst auch immer einen auf „dicke Hose“ mache.

      Selbst der sonst so schüchterne Hans gab seinen Senf dazu. „Wir sind hier ja allein“, liess er verlauten und schielte dabei unsicher zur Tür.

      Bürgis knetete verlegen seine Unterlippe. Sein Zögern brachte ihm prompt einen verletzenden Kommentar von Rolf ein.

      Der „stinkende Protznagel“ sei doch ohnehin bloss ein „Rohrkrepierer“, tönte er, bevor er sich anschickte, dem „nutzlosen Fleischlappen“ rein kosmetische Funktionen zu unterstellen.

      Das konnte Bürgi nicht auf sich sitzen lassen.

      Von lautem Gejohle begleitet schüttete er sich einen grossen Klacks Duschgel in die Handfläche und machte sich frischfröhlich ans Werk. Bald zeigte sich, dass hier ein Profi am Werk war. Von den routinierten Rubbeltechniken seines Meisters animiert, füllte sich sein Schwengel innert Sekunden brav mit Blut und reckte schon bald sein Köpfchen in Richtung Bauchnabel. Dabei hallten „Bürgi, Bürgi, Bürgi“ Schlachtrufe durch die Duschkabine und als die Höchstmarke erreicht war, wollten die „Bravo“ Rufe kein Ende nehmen.

      Dann kehrte Stille ein, während man andächtig das eingeschäumte Ungetüm bestaunte.

      „Hihi, der schiefe Turm von Bürgi“, meinte einer und „hähä, die Glocken von Navarone“ ein anderer. Und irgendwo im Hintergrund war sogar ein zaghaftes Stimmchen zu hören, welches wissen wollte: „Tut das nicht weh?“

      Peter hatte andere Bedenken.

      „Passt bloss auf, das Mundstück von der Trompete platzt sicher gleich“, warnte er.

      „Iwo, so ein Pimmel hält was aus“, steuerte Rolf sein Fachwissen bei und kratzte sich nachdenklich am Kinn. „Aber mein lieber Herr Gesangsverein, wenn der mal einen Präser braucht, muss er sich wohl eine Mülltüte darüberstülpen.“

      Daniel, der an der Türe hätte Schmiere stehen sollen, vergass bei diesem Anblick prompt seine Aufsichtspflicht und stellte sich in die Reihe der staunenden Jungs. Dieser grobe Fall von Dienstvernachlässigung sollte böse Folgen haben. Plötzlich waren Schritte zu hören, ein kalter Luftzug wehte in die Dusche und fast gleichzeitig dröhnte die Stimme von Turnlehrer Stramm durch den Raum.

      „Was soll dieser Lärm, was ist hier los?“

      Wir erschraken mächtig und schossen auseinander. Nur Bürgi blieb stehen.

      Und, wie soll ich sagen: Seine Wunderkerze natürlich auch.

      Da Lehrer Stramm nicht zum ersten Mal einen Duschraum betrat, wusste er, dass man an Orten wie diesen gut daran tut, dem Blick starr auf einen Bereich oberhalb des Scheitels zu richten. Nun überragte Bürgi selbst den zweitgrössten Jungen um einen ganzen Kopf, was auch der Grund dafür war, dass sich Lehrer Stramm zuerst an ihn wandte.

      „Was hier los ist, habe ich gefragt“, wiederholte er und blickte Bürgi dabei streng in die Augen. Er runzelte die Stirn. Irgendetwas an der verkrampften Körperhaltung dieses Jungen schien ihn zu irritieren. Sein Blick glitt langsam über Bürgis Schultern, dann den Arm entlang, über den Bauch, dem Schoss entgegen…

      „Himmelherrgott“, entfuhr es ihm, als ihm Bürgis Pinkelsalami entgegenlachte. Er taumelte fast, machte unwillkürlich einen Schritt zurück, schnappte wie ein Fisch nach Luft. Auf so eine Situation hatte man ihn im Lehrerseminar nicht vorbereitet. Verzweifelt rang er nach Worten.

      „Ich..äh…wir..“, stammelte er, „was, äh, warum…“

      Und hier kam nun der Moment, an dem das vegetative Nervensystem von Lehrer Stramm die Kontrolle übernahm. Aufgrund des massiv gestiegenen Blut- und Augendrucks entschied es, dass es sich wohl um eine Notsituation handeln müsse und signalisierte umgehend an das Grosshirn, es möge doch bitte eingreifen, wenn es grad Zeit habe. Man wolle dem Grosshirn da natürlich keine Vorschriften machen, man sei ja quasi nur das vegetative Nervensystem und man wisse auch, wie das mit der Hackordnung sei und so weiter und so fort.

      Andererseits gehe es ja um den Besitzer des Grosshirns himself, den Chef persönlich also, zu dem man gewissermassen ja in einer Art Abhängigkeitsverhältnis stünde. Ausserdem sei wohl auch eine gewisse Eile angebracht, zumindest, wenn man den Sauerstoffmangel richtig einschätze und die Pumpe sei auch schon wegen der Mehrarbeit am Reklamieren. Ob man in Anbetracht der Dringlichkeit vielleicht untertänigst empfehlen dürfe, auf eines der vielen, über Jahre angeeigneten Verhaltensmuster zurückzugreifen? Nur, damit es schneller gehe.

      Das Grosshirn gähnte erst einmal ausgiebig und liess sich den Vorschlag so quasi erst mal durch den Kopf gehen. Als Lehrergehirn war es schnelle Entscheidungen schliesslich nicht gewohnt und „Gross“-Hirn war man man eigentlich auch nur dem Namen nach. So dauerte es ein paar Sekunden bis man für eine Entscheidung parat war und entschied, dass dem Antrag stattzugeben sei.

      Die Situation sei mit dem bewährten Verhaltensmuster „A1“ zu entschärfen, welches in einer Vielzahl von ähnlichen Situationen ja gute Resultate erzielt habe. Und wenn sonst noch was sei, könne man sich ja melden, ansonsten lege man sich noch eine Weile aufs Ohr.

      So kam es also, dass Lehrer Stramm ein paar Mal verwirrt mit den Augen blinzelte, plötzlich aber wie entfesselt „Nachsitzen, alle zusammen“ in den Raum brüllte, dann auf dem Absatz kehrtmachte und schliesslich zur Tür hinaus flüchtete.

      Das alles ging so schnell, dass uns erst das Knallen der Garderobentür aus unserer Starre weckte. Dann aber brach frenetischer Jubel aus und bald hallten erneut „Bürgi, Bürgi“ Rufe durch die Duschanlage. Am Ende stimmte sogar jemand „We are the Champions“ an, was ich sehr passend fand, weil Bürgi ja immer noch seine Fahne gehisst hatte. Wir sangen aus vollen Kehlen, bis wir heisser waren und liessen ein ums andere Mal unseren Star hochleben.

      Wenn ich heute an diese Zeiten zurückdenke, werde ich immer ganz wehmütig.

      Speziell wir Jungs verstanden uns bestens. Man akzeptierte den anderen, wie er war und keiner zeigte mit dem Finger auf den anderen, nur, weil er „anders“ war. Da verstand sich der Urschweizer mit dem Sohn eines italienischen Gastarbeiters, der Bauernsohn mit dem Spross eines Firmeninhabers und der Schlagerfreund mit dem Hardrock Fan und umgekehrt. Es gab selten Streit, Raufhändel fast nie und meist herrschte eitel Harmonie.

      Doch das sollte sich freilich bald ändern.

       Denn Bernie war im Anmarsch.

      Bernie

      „Erinnerung malt mit goldenen Farben“, heisst es in einem japanischen Sprichwort.

      Und vielleicht ist das ja so und auch ich bediene mich eines entsprechenden Farbfilters, wenn ich an meine Schulzeit zurückdenke. Aber ich meine doch, mich zu erinnern, dass es auf unserem Schulhof relativ friedlich zu- und herging. Zumindest im Vergleich zu heute. Das mag auch der Tatsache geschuldet sein, dass ich auf dem Land gross geworden bin. So waren „Mobbing“ und „Bullying“ Ausdrücke, die erst in Jahrzehnten ihren Einzug in unseren Sprachgebrauch finden sollten und auf dem Pausenhof ging es meist recht friedlich zu und her.

      Bis Bernie, so genannt, weil er aus der Stadt Bern kam, in unser Leben -und unsere Hintern- trat. An seinen richtigen Namen kann ich mich gar nicht mehr erinnern, ich weiss nur noch, wie ich ihn genannt habe.

      Blödes