Michael Stuhr

STURM ÜBER THEDRA


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diese Krankheit selbst gehabt und überlebt, wenn auch nur knapp. Dieser Mann konnte dem Kranken Essen und Wasser bringen, ohne selbst angesteckt zu werden. Aber trotzdem hatte sich dessen Zustand seitdem eher verschlechtert. In zwei Tagen nun würden die Kraan mit der Abendflut zur Kaiserstadt aufbrechen, dann würde der Mann wohl bald sterben.

      "Du nie schlafe unter Fenko-Baum mit Federblätter", hatte die Alte ihre Erzählung abgeschlossen. "Sonst du auch krank!" Dabei hatte sie Teri so ernst und mahnend angesehen, dass diese sich sofort vorgenommen hatte, niemals unter einem Fenko-Baum zu schlafen, wo immer diese Dinger auch stehen mochten.

      "Ihr lauft mit der Abendflut zur Kaiserstadt aus?" Gerit übte sich schon mal ein wenig in der Seemannssprache. "Wie heißt euer Schiff?"

      "Kao-lad - Seidenprinzessin“, antwortete die Frau.

      "Dann werden wir zusammen reisen", stellte Gerit erfreut fest. Tana und er hatten ebenfalls mit dem Kapitän der `Kao-lad' eine Passage vereinbart. Dass der Name des plumpen Zweimasters `Seidenprinzessin' bedeutete, hatten sie allerdings nicht gewußt.

      "Inzwischen war es draußen dunkel geworden und am Eingang wurden Stimmen laut. Herein kamen einige schwarzhäutige Menschen. Männer und Frauen grüßten freundlich in einer fremden Sprache und setzten sich ans Feuer.

      "Ich muß uns ja auch noch etwas kochen", stellte Tana fest und wollte sich erheben.

      "Du esse hier!" Mit einer Handbewegung gebot die Alte Tana sitzenzubleiben. "Alle esse hier! - Nur hole Löffel!"

      Brav folgte Teri der Anweisung, die die Alte ihr gegeben hatte, ging zum Gepäck und kam mit drei Holzlöffeln zum Feuer zurück. Dabei sah sie sich die Gruppe, die in der Mitte des großen Raumes hockte, genauer an.

      Schwarzhäutige Menschen waren in Thedra nicht gerade die Regel, aber auch nichts so Besonderes, dass ihnen jeder nachgestarrt hätte. Mit dieser Gruppe verhielt es sich allerdings anders. Die bunten Kleider und die seltsamen Geräte, die sie mit sich führten, lenkten sicherlich die Blicke aller Thedraner sofort auf sich. - Und so sollte es auch sein; denn immerhin leben Gaukler von Aufmerksamkeit.

      Anführer der Kraan war ein kräftiger junger Mann in einem weiten Umhang. Schon bei der Vorstellung im Schneckenschiffhafen hatte er den anderen Artisten Anweisungen gegeben, und auch hier war er es, der am häufigsten von den anderen angesprochen wurde. Passend zu seinem Mantel trug er eine aus mehreren verschiedenfarbigen Stoffen zusammengenähte Mütze, die sein Haar vollständig aufnahm, während sich seine Gefährten mit erheblich kleineren Kappen begnügten. Direkt hinter ihm lagen ein, teilweise mit Kupferblech beschlagener, großer Holzreif und ein Seil.

      Auch die anderen Mitglieder der Gruppe hatten ihre Handwerkszeuge hinter sich gelegt. Teri sah all die kurzen Leitern und kleinen Podeste, die langen und kurzen Holzstäbe, eine lange Peitsche mit kurzem Griff und noch vieles mehr, was die Kraan bei ihren Vorführungen benutzt hatten.

      Besonders hatten es Teri die ellenlangen, starken Stäbe aus dunklem Holz angetan, die an beiden Enden mit kinderfaustgroßen Kupferkugeln versehen waren und mit denen die Artisten so herrlich jonglieren konnten. Fast noch interessanter fand sie die seltsam geformten Krummhölzer in den Gürteln der Frauen, die bei der Darbietung immer wieder in weitem Bogen zu ihren Werferinnen zurückgekehrt waren.

      Schweigend setzte Teri sich wieder zwischen Tana und Gerit an das Feuer und verteilte die hölzernen Löffel an sie.

      Der Anführer lächelte den Fremden freundlich zu, legte die Hände an die Stirn und sprach mit getragener Stimme so etwas wie einen Segen. Da alle Kraan es ihm gleichtaten, hoben auch Tana, Gerit und Teri zögernd ihre Hände.

      Dann beugte der Schwarze sich vor, entnahm mit seinem Löffel dem Topf eine Winzigkeit Speise und warf sie ins Feuer, wo sie zischend verdampfte und verkohlte.

      "Für Geister", erklärte die Köchin den Fremden, die das alles nicht verstanden. Thedras Götter waren weitaus genügsamer. Ihnen wurde nichts geopfert. "Sohn spreche mit Geister, dann gebe Geister Esse."

      Aha, so war das also. Der junge Anführer war der Sohn der Köchin. Und gerade hatte er die Geister besänftigt.

      Jetzt langten alle munter zu. Das Essen war kochendheiß und scharf gewürzt und dankbar erntete die Köchin Lob von allen Seiten.

      Auch jetzt wurde der Topf nicht vom Feuer genommen. Von Tana darauf angesprochen, erklärte die Alte, dass so gewährleistet sei, dass niemand zu schnell esse und das Sättigungsgefühl früher einsetze. Auch sei so sichergestellt, dass die schnellen Esser den langsamen genug übrigließen. - Und tatsächlich ging die Mahlzeit nur sehr langsam vonstatten. Jeder Löffel Brei, der aus dem brodelnden Topf gefischt wurde, mußte mit viel Gepuste und Abwarten förmlich zelebriert werden.

      Überraschend schnell war Teri satt und leckte ihren Löffel sauber ab. "Puh, das war gut!", stöhnte sie und strahlte die Köchin vergnügt an.

      Einer der Kraan hatte sich vom Feuer entfernt und war mit einem kleinen Gefäß voller Speise zu dem Hirten in seiner dunklen Ecke gegangen. Das war also der Mann, der als Kind so krank gewesen war. "Hast du auch unter dem Fenko-Baum geschlafen?", wollte Teri von ihm wissen. Aber der Mann schaute sie nur verständnislos an.

      "Dich nicht versteht", erklärte die Mutter des Anführers. "War noch Kind. Weiß nicht ob schlafe unter Fenko-Baum mit Federblätter. Vielleicht nur Holz von Fenko in Nähe."

      Die Alte hatte eine so seltsame Aussprache und gestikulierte so wild bei ihren Erklärungen, dass Teri unwillkürlich lächeln mußte.

      "Du lache meine Sprache?", fragte die Alte freundlich.

      Teri nickte stumm und mußte grinsen.

      "Jetzt wir lache!" Der Tonfall der Kraan-Frau war plötzlich sehr bestimmt. "Jetzt du spreche Kraan!"

      Hilfesuchend schaute Teri zu Tana auf, aber die zog nur die Augenbrauen hoch und zuckte mit den Schultern. Bei Gerit erging es Teri auch nicht besser. "Spaß haben und Spaß machen ist zweierlei", meinte er nur.

      Teri fühlte sich, als sei sie in eine Falle geraten.

      "Sage du Worte, du willst spreche in Kraan!", forderte die Mutter des Anführers sie auf. Jetzt wurden auch alle anderen aufmerksam.

      Teri sah sich plötzlich von allen Seiten angestarrt. "Ich will nicht sprechen!", stieß sie trotzig hervor.

      "Gut! Sage `nagewajiidako umaniiwase aki'! Heißt, `ich nicht spreche wolle', in Kraan. Sage!"

      Ganz ruhig wurde es im Raum. Alle Augen waren auf Teri gerichtet. Langsam wiederholte die Alte die fremd klingenden Worte. "Sage jetzt!", forderte sie Teri wieder auf.

      Am liebsten wäre Teri aufgesprungen und fortgerannt. Andererseits sah sie aber auch ein, dass sie eben sehr unhöflich gewesen war. Na gut, sollten die Leute eben ihren Spaß haben. "Nage-wako", begann sie zaghaft, "umawase aki." Sie fühlte, wie sich ihre Wangen mit Blut füllten und brannten, in ihren Augen standen Tränen der Scham. Jeden Moment mußten die Kraan losbrüllen vor Lachen. Teri wußte, dass sie die Worte schlecht wiederholt hatte. Sehr schlecht sogar.

      "Gut!", brach die alte Frau das Schweigen. "Du gut spreche!" Plötzlich johlten die Kraan wirklich los. Aber nicht vor Hohn und Schadenfreude. - Wie es schien, waren sie ehrlich begeistert von Teris Sprachtalent und spendeten ihr Beifall.

      Irritiert schauten einige Neuankömmlinge, die hier auch übernachten wollten, zu der Gruppe hinüber.

      "Du hast Mut, Kleine", stellte der Anführer der Kraan in einwandfreier thedranischer Hochsprache fest, als sich der Lärm ein wenig gelegt hatte. "Du gefällst mir. Ich heiße Bgobo."

      Verwirrt stellte auch Teri sich vor. Sie hatte sich Bgobos Mutter gegenüber wirklich nicht nett benommen und trotzdem war er so freundlich zu ihr.

      "Ich habe von meiner Mutter gehört, dass wir zusammen reisen werden“, fuhr Bgobo fort. " Wollen wir Freunde sein, Teri?"

      Teri nickte eifrig, dann fiel ihr etwas ein. "Aber nur, wenn du auch Tanas und Gerits Freund bist!" So bekam Teri an jenem Abend doch noch ihre Lacher, aber es war ein Gelächter das Wohlwollen