Michael Stuhr

STURM ÜBER THEDRA


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zu bändigen. Mit strahlendem Gesicht schnellte sie hoch und schaute sich um. Noch immer war die Kao-lad mit einem letzten Tau am Kai festgemacht. Ein Ruderboot lag parat, das große Schiff aus dem windgeschützten Hafen herauszuschleppen. Die Matrosen in den Rahen waren bereit, beim geringsten Windhauch die Segel zu setzen.

      Teri war glücklich. Endlich war es so weit. Sie würde die Welt sehen; die Kaiserstadt, Tigan, Gebirge und Wüsten und vieles andere mehr! Konnten die Matrosen sich nicht beeilen? Konnten die Ruderer nicht schneller rudern? Konnte der Wind nicht schon hier im Hafen wehen? Teri hatte es eilig. - Eilig, all die Wunder zu sehen, die auf sie warteten!

      Das letzte Tau fiel polternd auf die Planken der Kao-lad.

      "Es geht los! Endlich geht es los!" Teri hüpfte ausgelassen auf Tana und Gerit zu, die eng umschlungen vor dem kleinen Zelt auf dem Vorschiff saßen. Die ernsten, traurigen Gesichter der beiden Erwachsenen fielen ihr gar nicht auf. - Sie hätte auch kein Verständnis dafür gehabt. Die Welt wartete. Wie konnte man da traurig sein?

      Am dritten Tag nach der Abfahrt kam in der Morgendämmerung das Finderschiff.

      Zunächst war in dem Frühdunst über dem Wasser nicht genau zu erkennen gewesen, wer sich der Kao-lad in der Nacht genähert hatte. Der Matrose, der hoch oben im Mast in einem Segeltuchsitz Wache hielt, hatte ganz normal Meldung gemacht.

      Dann, als die Sonne etwa vier Höhen über der Kimm stand, wurde es offensichtlich. Ein Dramilischer Dreimaster lief mit voller Fahrt auf die Kao-lad zu. Das konnte nichts Gutes bedeuten. Vorsichtshalber gab der Kapitän die notwendigen Kommandos für einen Kurswechsel.

      Sofort reagierte der Kapitän des fremden Schiffes und änderte ebenfalls den Kurs. Wieder lag die Kao-lad direkt vor dem Bug des Dreimasters. - Die Jagd war eröffnet.

      Der Kapitän der Kao-lad hielt die Besatzung des Finderschiffs in Atem. Jedes Mal, wenn der Finder sich auf einen Kollisionskurs eingerichtet hatte, wechselte die Seidenprinzessin eilig ihren Kurs. Da sie erheblich kleiner war als das Finderschiff, ging das auch recht schnell, so dass die Piraten ein ums andere Mal mit voller Fahrt ins Leere stießen.

      Aufgeregt verfolgten die Passagiere der Kao-lad die Bewegungen des feindlichen Schiffs; allen voran Teri, die mit großen Augen an der Reling stand und bewundernd auf den riesigen Dreimaster starrte, der jedes Mal, wenn er in Rufweite vorbeigerauscht war, behäbig wendete und die Verfolgung erneut aufnahm.

      Lange konnte dieses Spiel nicht mehr gutgehen. Die Kao-lad glich einem verzweifelten Mäuschen, das vor einer gierigen Katze flieht. Schon begann der Finder die Taktik des Frachterkapitäns zu durchschauen und änderte fast gleichzeitig mit ihm den Kurs. Bedrohlich nahe kam das fast doppelt so lange Schiff der Kao-lad.

      Aufgeregt rief Tana nach Teri, die sich unwillig von der Reling löste. Sie kannte zwar viele blutrünstige Geschichten, die die Seeleute im Hafen sich von Findern erzählten, aber dass es bei dieser Jagd auf hoher See tatsächlich um Leben und Tod ging, hatte sie noch gar nicht begriffen. Das änderte sich auch nicht, als ein vielstimmiger Schrei an Bord ertönte. Von dem Finderschiff aus war ein brennender Pfeil abgeschossen worden, der jedoch mehrere Mannslängen von der Kao-lad entfernt zischend im Meer versank.

      Der Kapitän der Kao-lad gab ein paar schnelle Kommandos. Träge legte sich das schwere Schiff auf die andere Seite. Wieder blieb der Finder ein gutes Stück zurück.

      "Teri, komm jetzt!" Tana war schon seit der Abreise aus Thedra seekrank. Sie hatte sich in der Nähe des Zeltes hinter das niedrige Schanzkleid des Frachters gehockt und streckte jetzt schwach die Hand aus. Teri dachte nicht daran, sich feige zu verstecken, andererseits war es hier auf Deck tatsächlich nicht ganz sicher. Ungeachtet der Rufe Tanas flitzte Teri zum Hauptmast und brachte sich schnell aus Gerits Reichweite, der auf dem Deck umherhüpfte und nach ihren Knöcheln haschte.

      Je höher Teri in den Mast stieg, desto wohler fühlte sie sich. Das vielfach verstärkte Schwanken des Schiffs, die Kraft des Windes, die bessere Übersicht - das alles gefiel ihr.

      "Hau ab, Kleine. Du störst hier!" Das war ein Matrose, der vom Ende einer Rahe mit der Faust drohte. - `Lächerlich!' - Teri kletterte weiter.

      Nachdem sich der Abstand zwischen den beiden Schiffen kurzfristig vergrößert hatte, nahm der Finder nach einer Wende schon wieder Fahrt auf. Seine Absicht war klar: Er wollte längsseits der Kao-lad gehen, um ihr den Wind aus den Segeln zu nehmen und sie so zu stoppen. - Wie das Manöver auch immer ausging, das Finderschiff würde nahe herankommen, dieses Mal. Sehr nahe sogar.

      Geschmeidig erhoben sich aus der Gruppe der Kraan zwei der jüngsten Frauen und gingen zur Reling. Gleichzeitig begann Aska, die Mutter Bgobos, mit einem ängstlichen, dünnen Gesang, der schlagartig allen, die an Bord waren, den Mut nahm. Sie waren allein auf hoher See den schnellen und brutalen Attacken eines rücksichtslosen Angreifers ausgesetzt. Sie waren verloren! Die Matrosen in den Rahen, die sich für den nächsten Befehl des Kapitäns bereithielten, ließen die Hände sinken. Die ganze Flucht hatte doch keinen Sinn, das wußte plötzlich jeder an Bord. Warum also das Ende hinauszögern? Das Beste war doch, einfach aufzugeben und sich den Findern auszuliefern. Selbst der Kapitän auf dem Achterdeck schaute resignierend auf die Planken und ließ dem Schiff seinen Lauf. Was war seine seemännische Kunst im Vergleich zu der Überlegenheit der Finder? Früher oder später würde ein Feuerpfeil die Segel der Kao-lad in Brand setzen, und dann war die Fahrt ohnehin zu Ende.

      Das Finderschiff hatte inzwischen stark aufgeholt. Es würde sich etwa dreißig Mannslängen von der Seidenprinzessin entfernt vor den Wind legen. Hatte die plumpe Kao-lad erst einmal Fahrt verloren, war der Rest ein Kinderspiel. In weniger als vier Sonnenhöhen würde an Bord des Frachters niemand mehr leben, und die Finder würden wieder einmal einen guten `Fund' zu feiern haben. Jedermann an Bord der Kao-lad hatte in diesem Moment mit dem Leben abgeschlossen.

      Plötzlich änderte sich das Lied der Alten dramatisch. Lauter werdend, ließ sie Melodie und Rhythmus schneller und härter klingen. Innerhalb weniger Takte war aus dem klagenden Jammergesang einer ängstlichen Seele ein kraftvolles Kampflied geworden.

      Die Wirkung war erstaunlich. Wie eine Windböe in einen schlafenden Wald, so fuhr das Lied in Mannschaft und Passagiere der Kao-lad. Überall fand das Fünkchen aufflackernden Mutes reichliche Nahrung. Muskeln strafften sich und Hände ballten sich zu Fäusten. Was immer als Waffe dienen konnte, wurde aufgenommen. - Sollten die Finder doch kommen. Die Menschen auf der Kao-lad würden ihnen eine Lektion erteilen, dass ihnen die Lust am Finden für immer verging!

      Wie ein Waldbrand mit rasender Geschwindigkeit von Baum zu Baum springt, so brauste die Stichflamme des Mutes über die Kao-lad hinweg und setzte die Herzen in Brand. Mochten die Finder nur kommen! Hier an Bord war jeder bereit, für jeden anderen mit seinem Leben einzutreten. Mochten die Finder nur kommen! Wie schwach war doch ihre Gier nach den Reichtümern der Seidenprinzessin gegen die Liebe, die die Menschen hier an Bord plötzlich füreinander empfanden. Hier würde man nicht für Fracht und Geld kämpfen! Tiere mußten abgewehrt werden! Wilde Tiere! Hier würde jeder jeden beschützen! Die Menschen der Kao-lad konnten nicht verlieren, denn sie waren in diesem Augenblick wie ein einziger Leib und eine einzige Seele.

      In diesem Moment höchster Einigkeit und Zuversicht schob sich das gewaltige Segel des Finderschiffs vor den Wind.

      Augenblicklich richtete die Kao-lad sich auf und lag manövrierunfähig im Wasser.

      Genau in diesem Moment beugten sich die beiden Kraan-Frauen an der Reling weit zurück und warfen mit mächtigem Schwung ihre Flughölzer in flachem Bogen über das Wasser.

      Atemlos verfolgte Teri hoch oben im Mast die Bahn der wirbelnden Krummhölzer, die sich in genau berechnetem Bogen rasend schnell auf das Finderschiff zu bewegten. Es schien ihr, als strahle das Holz einen besonderen Glanz aus, fast wie Metall. - Aber das konnte natürlich nicht sein.

      Die Männer des Finderschiffs waren vollständig überrascht von der Attacke. Nahezu bewegungslos standen sie da und beobachteten die Flugbahn der Hölzer. Sogar der Bogenschütze mit dem Brandpfeil vergaß für einen Augenblick seine Absicht.

      Sirrend, metallischen Glanz ausstrahlend, kamen die seltsamen Waffen flach über das Wasser