Michael Stuhr

STURM ÜBER THEDRA


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ihnen immer hervorragend gemundet.

      Auf See hatte Aska an so manchem Tag nichts kochen können, weil Wind und Dünung zu stark gewesen waren. Heute lag das Schiff aber ruhig auf dem glatten Wasser, und so brodelte nun wieder ein köstliches Mahl in dem großen Topf über dem Holzkohlebecken.

      Seltsam ruhig verlief dieses letzte gemeinsame Essen. Die fröhliche Stimmung, die sonst immer an der Tafel der Artisten geherrscht hatte, war einer stillen Melancholie gewichen, die sich sacht auf alle Anwesenden ausbreitete. Die Reisegesellschaft würde morgen auseinandergehen.

      Viele Tage waren sie auf der Kao-lad zusammengewesen, hatten gemeinsam die Seekrankheit und die Gefahr der Finder ausgestanden, hatten sich gegenseitig geholfen, wo immer es ging, aber das würde morgen vorbei sein. Jeder würde seiner Wege gehen: Die Kraan wollten in die Steppe hinter der Wüste, heim nach Wajir, wo Bgobo wirklich ein Prinz war, wie er oft und gern versicherte. Dort würden die jungen Frauen Kinder bekommen und zu wirklichen Frauen werden. Dadurch würden auch sie die Kraft der Stimme erhalten, die ihnen Macht über andere Menschen verlieh. Damit sei dann auch ihre Reisezeit beendet, erklärte Bgobo. Nur wenigen Müttern war es erlaubt, die Gruppen der Artisten auf ihren Reisen zu begleiten.

      Teri dagegen würde mit ihrer Familie auf einem Löwenboot weiterfahren, nach Tigan. Mit jedem Tag würde der Abstand zwischen den beiden Gruppen größer werden und es war gewiß, dass man sich nie mehr wiedersah.

      Zum Schluß nahm Bgobo Teri beiseite. "Meine Mutter hat mich gebeten, dir etwas auszurichten. - Sie ist eine Kraan, sie versteht sich nicht aufs Bitten. - Teri, du hast einige Lieder der Kraan gelernt, und wenn du erst eine wirkliche Frau bist, wirst du sie auch anwenden können. - Wenn du alt genug bist, allein zu reisen, komm nach Wajir. Wann immer du dich dazu entschließt, du wirst erwartet! Du bist würdig, das ganze Wissen der Kraan zu erwerben. Die weisen Frauen werden dir noch vieles beibringen. Dann wirst du eine mächtige Sängerin sein. Mächtiger als alle Heere des Kontinents. Mächtiger als alle Frauen der Kraan. - Die mächtigste Sängerin des Zeitalters!"

      Teri stand wie versteinert da. Zwar hatte sie schon gespürt, dass die Lieder der Kraan Einfluß auf die Seelen der Menschen hatten, aber dass es sich dabei um erlerntes Wissen handelte, war ihr dabei nicht in den Sinn gekommen. Sie hatte eher gedacht, das sei eine Sache des Gefühls gewesen.

      Auf einmal fiel ihr alles wieder ein: Wie Aska mit ihren Liedern immer wieder unmerklich Gefühle und Willen der Zuhörer gelenkt hatte. Wie sie Schaden abgewendet und das Gute gefördert hatte. Wie sie mit unwiderstehlichen Gesängen die Menschen nach Belieben führte. - Und diese Kunst sollte sie, Teri, erlernen dürfen?

      "Ich werde kommen!" Teri sah Bgobo fest in die Augen - und noch einmal, diesmal zu Aska gewandt: "Ich werde kommen!"

      Wenig später machten alle auf Deck sich für die letzte Nacht auf der Kao-lad zurecht. Aska war zufrieden. Zwar hatte sie auf der Fahrt zwei ihrer ungeheuer wertvollen stählernen Klingen, zusammen mit den Wurfhölzern, eingebüßt, aber was hatte sie nicht auch dafür gewonnen. Wann immer Teri den Weg nach Wajir fand, Aska würde dafür sorgen, dass man sie erwartete.

       KAPITEL 7 - DRAMILISCHE SPÄSSE

       Willst Du Freude bereiten, dann schlag Dir den Daumennagel blau, und hüpfe fluchend im Kreis herum.

      Der dramilische Humor meinte es nicht gut mit Leuten wie Llauk.

      Gerade hatte der arme Stoffmacher das grauenvolle Urteil vernommen, das dieser unbarmherzige Richter über ihn verhängt hatte, da wurde er auch schon von Gerichtsdiener und Kerkermeister durch unterirdische Gänge in das Verlies geschleppt.

      "Na, immerhin wird es Euch nicht langweilig werden, bis zu Eurer Hinrichtung", hatte der Gefangenenwärter gemeint. "Man möchte Euch fast beneiden, Herr."

      "Wieso?" Teilnahmslos trottete Llauk zwischen den Männern dahin. Was konnte ihm noch Gutes widerfahren auf dieser Welt? Schon meinte er die glühenden Haken zu spüren, die an seinen Eingeweiden zerrten und rissen.

      "Nun Herr, nicht jeder hat das Glück, seine letzte Nacht mit einer leibhaftigen Fürstentochter zu verbringen."

      Llauk horchte auf. Was war das nun wieder für eine Geschichte? "Erzählt weiter, Herr", bat er den Mann. - Bloß nicht an morgen - bloß nicht an die glühenden Haken denken.

      "Nun Herr, Cilia is Hadem ist die Tochter des Fürsten Hadem eb Nemor. - Eine der bezauberndsten Blumen, die die Westlichen Inseln je hervorgebracht haben. - Nun müßt Ihr wissen, Herr, dass Odger, unser armer König, Witwer ist. Ganz allein lebt er mit seinen drei Söhnen und einer kleinen Dienerschaft von kaum hundert Mann in seinem großen, einsamen Palast. Kein Mensch ist da, der sein Herz erwärmt, Herr, und die Frauen, die zu ihm aufblicken sind käuflich wie die Speere der Söldner."

      "Das ist hart." Llauk war bemüht den Mann bei Laune zu halten. Vielleicht konnte man sich anfreunden? Vielleicht war dieser redselige Kerkermeister ein Wink des Schicksals. Llauk lächelte den Wächter schief an.

      Sein Bewacher erwiderte Llauks krampfhaftes Grinsen mit einem verschmitzten Blick und sprach weiter. "Nun hatte unser König ein Auge auf Cilia, diese Rose unter den Rosen, geworfen. Zur Gefährtin wollte er sie nehmen, Herr, zur Gefährtin!"

      "Die Glückliche!" Llauk war neugierig, wie die Geschichte wohl weiterging. Der Gang zum Kerker war zu einem Schlendern geworden, und in lockerem Plauderton berichtete der Wärter weiter:

      "Ja, Herr. Glücklich ist zu preisen, wer die Gunst unseres Herrn genießt! Ein wundervolles Leben hatte er Cilia zugedacht. Einen Freudentaumel ohne Ende. Bevorzugt vor allen anderen Frauen Odgers wäre sie seine Favoritin gewesen, Herr."

      "Wie schön." Llauk liebte solche Geschichten, hatte er doch selbst Ambitionen, in einen höheren Stand zu heiraten. Wer weiß, wenn er unbeschadet hier herauskam, vielleicht ...

      "Doch Cilia, Herr, Blume unter den Blumen, hatte ein steinernes Herz. Statt dem Ruf ihres Königs zu folgen, schlug sie sein zartes Werben aus. - Mehr noch, sie erfrechte sich, ihm einen Brief zu schicken, in dem sie um Schonung bat. - Nun muß die arme Cilia in unserem Kerker schmachten und jedem Gefangenen zu Willen sein, den wir zu ihr schicken."

      "Wie schrecklich!"

      "Das ist nur gerecht, Herr. Man verweigert sich dem König nicht!"

      Dieser tiefe Einblick in die dramilische Justiz überzeugte Llauk sofort. "Natürlich! - Äh, natürlich nicht!", versicherte er eilig.

      Mittlerweile hatte die kleine Gruppe einen schmalen Durchgang erreicht, von dem aus mehrere massive Türen zu den Zellen führten. Wenn Llauk einen Vorstoß wagen wollte, dann durfte er nicht zögern. "Kommt nachher zu mir in die Zelle", raunte er dem Wärter zu, während der Gerichtsdiener den schweren Riegel von einer der Türen hob. "Ich kann Euch zu einem reichen Mann machen, wenn Ihr mir hier heraushelft."

      Der Kerkermeister schien interessiert. "Ihr habt Geld, Herr?", fragte er im Flüsterton, indem er sich zu Llauk herabbeugte.

      Llauk hatte natürlich kein Geld, bis auf das eine Bronzestück, das er auf der Überfahrt eingespart hatte, aber das brauchte der dumme Wärter ja nicht zu wissen. "Kommt nachher zu mir in die Zelle, aber allein", wisperte er geheimnisvoll und trat auf die Tür zu.

      "Ich werde kommen, Herr", sagte der Kerkermeister mit seiner freundlichen Stimme und schlug Llauk das stumpfe Ende seines Spießes so hart in den Rücken, dass dieser mit einem Wehlaut in die Finsternis stolperte.

      Keuchend sank Llauk auf die Knie. Es hatte abscheulich geknackt in seinem Rücken. Irgend etwas war gebrochen oder gerissen. Es tat entsetzlich weh. Llauk konnte sich kaum noch bewegen, trotzdem stemmte er sich vorsichtig wieder hoch und starrte in die Finsternis. Schwach zeichnete sich im Türrahmen die Gestalt des Wärters ab, der die Tür schließen wollte. Gleich würde es dunkel sein, entsetzlich dunkel!

      Llauk fürchtete die Dunkelheit. Er haßte sie. Schon als Kind hatten ihn in mondlosen Nächten die Gespenster verfolgt, bis er zitternd eine Öllampe entzündet hatte. Dunkelheit war die schlimmste Strafe für Llauk. Sie machte ihm Angst.