Wilma Burk

Tauziehen am Myrtenkranz


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Gaben.

      Ich bedankte mich, spürte ihre zarten Finger lasch in meiner Hand liegen und sah doch befangen in die vom spärlichen Lampenlicht kaum erhellte Tiefe des Korridors. Wenn Konrads Mutter noch lebte, so hätte ich jetzt eine Schwiegermutter, ging mir durch den Sinn. Vielleicht wäre sie genauso wie die Witwe Willinger.

      Langsam gewöhnten sich meine Augen an das Dämmerlicht in dem Korridor. Konrad schloss die Wohnungstür hinter sich. Er wechselte noch ein paar höfliche Worte mit unserer Wirtin, ehe sie leise davonschlurfte und hinter einer der vielen Türen verschwand. Zielstrebig ging Konrad auf seine Zimmertür hinten bei den Portieren zu und stieß sie auf.

      „Überraschung!“, rief er. „Sie haben unsere Hochzeitsgeschenke hergebracht. Schau nur, was da alles steht.“

      Neugierig folgte ich ihm. Es war viel, was Mama und Bruno hergeschleppt und hübsch auf dem Tisch aufgebaut hatten. Ein bunter Blumenstrauß stand daneben und davor ein Schild, auf dem Traudel ungelenkig geschrieben hatte: Viel Glück!

      Was war da nur alles. In der Aufregung des Hochzeitstages hatte ich vieles nicht wirklich wahrgenommen. Es gab Likörservice, Biergläser, Weingläser, Tortenplatten und Schüsseln mit passenden Tellern dazu. Wenn ich es richtig sah, so waren es in der Hauptsache Glaswaren, die man zu der Zeit eben am leichtesten erhalten konnte, besonders im Ostsektor der Stadt.

      Konrad nahm dies und jenes in die Hand. „Ich glaube, Gläser haben wir für unser Leben genug. Allein drei Likörservice sind dabei.“

      Ich sah aber auch an der Wand das Feldbett stehen mit meinen sauber bezogenen Betten darauf. Sie lagen nun nicht mehr auf meinem weißen Schleiflackbett in meinem kleinen Jungmädchenzimmer. „Für dich wird alles anders sein“, hatte Mama gesagt. Dies war der Anfang.

      Konrad sah derweil die Glückwunschkarten durch.

      „Suchst du etwas?“, fragte ich.

      „Ja, einen Gruß von meiner Großmutter“, antwortete er nachdenklich.

      Und dann hatte er die Glückwunschkarte gefunden. Sie war unpersönlich wie an einen Fremden geschrieben. Ich spürte, wie enttäuscht er war. Dabei hatte ich geglaubt, diese Großmutter in Bayern bedeute ihm nicht viel. Ob, auch wenn man zerstritten ist, ein familiäres Band dennoch bestehen bleiben kann?

      Schließlich entdeckte ich einen bescheidenen Wäschestapel, hauptsächlich Handtücher. Eine bunte, gestickte Tischdecke fiel mir auf. Ich kannte sie. Hatte ich sie nicht bei Tante Emmy gesehen?

      „Sieh mal, Konrad“, machte ich ihn darauf aufmerksam, „Tante Emmy hat uns eine Tischdecke geschenkt, die sie in ihrer Brautzeit für ihre eigene Aussteuer gestickt hat.“

      Wie viele Hoffnungen mögen sie bei dieser Arbeit erfüllt haben? Und dann war ihre Ehe so schnell zerbrochen. Nur dunkel konnte ich mich an Onkel Emil erinnern, eigentlich lediglich an die Bonbons, die er für uns Kinder stets mitgebracht hatte. Mama sagte von ihm, er sei ein einfacher, aber liebenswerter Mensch gewesen. Doch Tante Emmy hatte sich nicht damit abfinden können, dass er nicht so klug und belesen war wie sie. Oft verwechselte er die Begriffe, dann verbesserte sie ihn sofort ungeduldig. Er aber lachte darüber, als ärgerte es ihn nicht. Oder wollte er sich damit nur über sie lustig machen? Einmal jedoch kam es anders. Als Tante Emmy ihn wieder vor der Gesellschaft zurechtwies, lachte er nicht. Nach einem tiefen Zug aus seiner Zigarre antwortete er: „Wie gut, dass es Dumme gibt, sonst könnten die Klugen mit ihrem Wissen nicht glänzen!“ Alle schwiegen betreten. Wenige Monate später erfuhren wir, dass Tante Emmy und Onkel Emil sich scheiden ließen.

      Wir hatten noch nicht alle Glückwunschkarten durchgesehen, da ging das Licht aus, Stromsperre. Konrad zündete eine Petroleumlampe an, die bereit stand, und wir rückten dicht zusammen, um bei ihrem schwachen Schein alles zu Ende lesen zu können.

      Darüber war es Nacht geworden. Die Petroleumlampe blakte. Wir waren müde. Dicht kuschelte ich mich zum Schlafen an Konrad auf der Couch. Mein Feldbett blieb in dieser Nacht unberührt. Ich spürte seine Wärme. Sein ruhiger Atem strich sanft über meine Haut. Ich war glücklich, ihm so nah zu sein.

      Dabei fragte ich mich, wie es Tante Emmy ertragen konnte, so lange schon allein zu leben. Wie hielt sie es aus, in der einen Hälfte des alten Ehebettes zu schlafen, während die andere daneben leer war. Musste es sie nicht ständig an eine kurze, sicher auch glückliche, gemeinsame Zeit erinnern? Ich wusste, dass Onkel Emils Bett unter der Steppdecke immer frisch bezogen war, als könne er jeden Moment zurückkommen.

      *

      Am nächsten Morgen trennten sich zum ersten Mal unsere Wege. Jeder ging zu seiner Arbeitsstelle. Ich brannte darauf, meiner Freundin Brigitte von den ersten Tagen unserer Ehe zu erzählen. Doch als ich sie sah, wusste ich, dass ich dazu kaum Gelegenheit haben würde. Mit großen Augen, sichtlich aufgeregt, sah sie mir entgegen. Es musste sich etwas Wichtiges ereignet haben.

      Kaum saß ich neben ihr, neigte sie sich mir zu und flüsterte: „Du errätst nicht, was passiert ist. Ich habe mich in einen Ami verliebt.“

      „Nein! Wie bist du dazu gekommen? Das ist doch … das kann doch nicht …“, stotterte ich überrascht. „Etwa in einen Soldaten?“

      „Jawohl, in einen Soldaten!“ Jetzt schaute sie mich doch ein wenig unsicher, zugleich aber trotzig an.

      „Du weißt, wie man darüber denkt?“

      „Na und?“

      „Wir waren uns doch immer einig, wie verworfen das ist, was Monika und Waltraud tun.“

      „So ist das bei mir nicht.“

      „Wirklich nicht? Wo hast du ihn überhaupt kennengelernt?“

      „Christa, meine Cousine, wollte unbedingt mal zum Columbiadamm am Flughafen Tempelhof …“

      „Ihr seid doch nicht etwa auf der Flaniermeile gewesen, wo die Ami-Soldaten mit den bereitwilligen so genannten „deutschen Fräuleins“ anbandeln können?“

      „Warum nicht? Man kann es sich doch mal ansehen.“

      „Und dort hast du …?“

      „Ja, dort! Ich war gestolpert, wäre hingefallen, wenn er mich nicht aufgefangen hätte. Der Blick dann aus seinen dunklen Augen, als ich aufsah … das war … ich weiß nicht, wie ich das beschreiben soll. Sie ließen mich nicht mehr los. War das bei dir und Konrad auch so?“

      „Ich glaube, ja.“ Konnte ich mich daran noch erinnern? Ich fühlte mich wie eine alte Ehefrau.

      Wie erfüllt sie von ihrer Verliebtheit war, sicher blind gegen jeden Einwand. Sie schwärmte davon, wie er gelacht hatte, mit seinem Akzent ‚Hoppla’ sagte und sie beinahe nicht mehr losließ. „Ich war wie gelähmt, wollte weg und zugleich bleiben. Dabei zog mich sein Blick immer wieder an.“

      „Dann hat es dich wirklich erwischt“, stellte ich fest und kam mir dabei sehr erfahren vor.

      Zusammen sind sie weitergegangen. Christa mit seinem Freund hinter ihnen. „Es war lustig, wie wir uns verständigten, mit Händen und Füßen“, erzählte sie. „Sie konnten nur ein paar Worte Deutsch und wir nur ein paar Worte Englisch. Nie hätte ich geglaubt, dass man sich trotzdem unterhalten kann. Das kannst du dir nicht vorstellen. Danach haben wir uns fast jeden Tag getroffen. Unglaublich, was wir uns mit den wenigen Worten bereits erzählt haben. Ich glaube, wir verstehen uns auch ohne Worte. Jetzt will er sogar bald meine Eltern besuchen.“

      „Geht das nicht ein bisschen schnell?“

      Da lachte Brigitte. „Und wie war das bei Konrad und dir?“

      Weiter kam sie nicht. „Was gibt’s?“, erklang die ungeduldige Stimme von Fräulein Krause, von einem missbilligenden Blick begleitet. Lange genug hatte sie uns tuscheln lassen. Monika und Waltraud hoben ihre Köpfe und sahen neugierig zu uns herüber.

      Ehe wir uns der Arbeit zuwandten und in die Tasten der Schreibmaschine griffen, deutete Brigitte noch auf ihre Beine. Sie trug Nylonstrümpfe, die in diesen Tagen begehrten „Nylons“. Das war sicher ein