Wilma Burk

Tauziehen am Myrtenkranz


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ihn richtig sehen konnte. Ich prustete los vor Lachen! Vor mir stand ein verrußter Schornsteinfeger. „Ich habe einen Mohren geheiratet!“, rief ich übermütig. Es tat mir gut, dass auch ihm einmal etwas nicht gelungen war.

      Konrad blieb verdutzt stehen, trat mit einem Schritt zum Spiegel in der Küche, sah hinein, drehte sich sehr langsam wieder um, sah mich mit den unnatürlich hell wirkenden Augen in dem schwarzen Gesicht verschmitzt an und machte einen großen Sprung in den Garten auf mich zu.

      Ich schrie verspielt auf und versuchte, vor ihm wegzulaufen. Aber er fing mich ein und hielt mich so fest, dass es wehtat.

      „Wer macht sich da über mich lustig?“, fragte er launig und wischte sich sein schwarzes Gesicht an mir ab. Dabei blitzten seine Augen seltsam. Ob er es nicht vertrug, wenn ihm etwas misslang?

      Neckend balgten wir so miteinander. Wobei es uns nicht störte, dass die Nachbarn in ihrer Arbeit aufgehört hatten und neugierig herübersahen. Erst das Grollen eines aufkommenden Gewitters ließ uns einhalten.

      Eine gewaltige schwarze Wolkenwand zog vom Westen her herauf. Es wurde so dunkel, als wollte die Welt untergehen. Eilig sammelten wir zusammen, was nicht bei Regen im Freien bleiben sollte. Ein stürmischer Wind kam auf und ließ uns einigen Sachen hinterherlaufen. Es blieb uns kaum noch Zeit, mit Tüchern so viel Qualm wie möglich aus der Laube zu wedeln, bis ein wolkenbruchartiger Regen einsetzte. Nun mussten wir auch noch Fenster und Tür schließen. Hungrig saßen wir in der kleinen, sicher noch lange nach beißendem Rauch riechenden Küche, und aßen ein schnell gemachtes Brot. Ich zitterte bei jedem Blitz und es donnerte ohne Unterlass. Der Sturm peitschte gegen die kleinen Fenster und auf das Dach trommelte der Regen.

      *

      An diesem Abend saßen wir noch lange auf einer Bank vor der Laube zusammen, während sich bei offener Tür und Fenster aus der Küche der Geruch nach Rauch langsam verzog. Das Gewitter war so schnell wieder verschwunden, wie es gekommen war. Die Sonne strahlte noch einmal vom Himmel, ehe sie unterging. Die Erde hatte gierig das Nass des Regens aufgesogen und ein würziger Duft stieg empor. Von den Blättern und Bäumen tropfte es noch hier und da. Im Schlafzimmer der Laube war es, von der Sonne aufgeheizt, noch viel zu warm und zu rauchig. Hier draußen, in der kühlen Luft, die wie gewaschen war, war es angenehm. Die ersehnte Abkühlung nach der anhaltenden Hitze tat gut. Die dünne luftige Kleidung hatten wir gegen wärmere Sachen ausgetauscht.

      Dicht schmiegte ich mich an Konrad. Es tat gut, bei ihm zu sein. Wann spürt man die Liebe zum anderen mehr, als im stillen Beieinandersein? Mit leuchtendem Orangerot gefärbtem Himmel ging die Sonne unter. Der Tag glitt in die Dämmerung des Abends. Uns umgab eine Stimmung, in der man seinen Gedanken nachhing. Ich fühlte mich glücklich und unbeschwert und ließ meinen Träumen freien Lauf.

      „Weißt du, Konrad, was ich mir wünsche?“, unterbrach ich unser Schweigen. „Ich wünsche mir – aber, lach' nicht! - ich wünsche mir einmal ein richtiges Haus mit Garten für uns. Ein Haus, dessen rotes Dach von weitem leuchtet und einen Garten, der viel größer ist als dieser hier, und in dem viele Rosen blühen.“

      Konrad nahm einen tiefen Zug aus seiner Tabakpfeife. „Wäre es nicht vernünftiger, erst an eine Wohnung zu denken?“, fragte er.

      „Sicher, Konrad. Aber die haben wir bestimmt bald ...“

      „Wer weiß?“, unterbrach er mich. „Du scheinst ein Optimist zu sein.“

      „Du nicht?“, staunte ich. Ich war überzeugt davon, jetzt, wo wir verheiratet waren, brauchten wir uns nur beim Wohnungsamt anzumelden, und nach einiger Zeit bekämen wir eine Wohnung zugewiesen. Schließlich könnten wir bald Kinder haben.

      „Vielleicht würden wir leichter eine eigene Wohnung bekommen, wenn wir erst ein Kind hätten“, sprach ich meine Gedanken aus.

      Konrad schwieg.

      „Weißt du“, spann ich meinen Traum weiter, „ich möchte gern drei Kinder haben. Wenn wir dann ein Haus hätten mit einem richtigen Garten, könnten wir darin eine Buddelkiste und eine Schaukel für die Kinder aufstellen. Eine eigene Schaukel habe ich mir als Kind sehr gewünscht, aber nie bekommen. Wäre das nicht schön, wenn unsere Kinder eine hätten? Oder was meinst du?“

      Auch dazu sagte Konrad nichts.

      „Was ist? Hast du mir zugehört?“ Ich griff nach seiner Hand, beugte mich vor und sah ihn fragend an.

      Konrad nahm einen tiefen Zug aus seiner Pfeife, ehe er fragte: „Sind dir Kinder wirklich so wichtig?“

      Ich erschrak. „Wie kannst du das fragen?“

      „Du bist noch sehr jung. Hast dir über die Kriegszeit hinaus Träume bewahrt.“

      „Ja, aber …“

      „Es ist der Krieg, Katrina!“ unterbrach er mich. „Der verändert alles. Das Geschehen an der Front kann dich nicht unberührt lassen, die ständige Gefahr und das Sterben der Kameraden, die vielleicht gerade Freunde geworden waren. Niemand hatte sie je vorher gefragt, ob sie ihr Leben einsetzen wollten. Du hast mit ansehen müssen, wie Menschen zu Tieren wurden, gepeitscht von der eigenen Angst, von der Gewalt, die sie vielleicht selbst erfahren mussten. Da ist es schwer, an das Gute im Menschen zu glauben. Bald denkst du, es kann überhaupt keine Zeit auf Erden ohne Kriege geben. Und in diese Welt werden Kinder geboren. Kann einem da nicht der Gedanke kommen, ob es nicht besser sei, keine Kinder in die Welt zu setzen, um ihnen dies zu ersparen?“

      Mich fröstelte. Ich zog meine Hand zurück. Konrads Vergangenheit stand plötzlich zwischen uns, zwischen mir und all meinen Erwartungen.

      „Und dann kommst du nach Hause“, redete er weiter. „Alles würdest du am liebsten hinter dir lassen und möglichst vergessen. Doch du stehst nur vor Trümmern. Keiner ist mehr da, der sich darüber freut, dass du überlebt hast. Da fragst du dich, warum du nicht gefallen bist wie die andern. Warum konnte nicht an meiner Stelle einer nach Hause kommen, um den jetzt geweint wird?“

      „Konrad, und jetzt? So kannst du doch nicht mehr denken, oder?“, fragte ich ängstlich.

      „Nein, Kleines, jetzt gibt es dich und mein Leben hat wieder einen Sinn.“ Sacht legte er seinen Arm um mich. „Nur, die Erlebnisse dieser Jahre kannst du nie ganz ablegen, sie haben dich geprägt.“

      Ich schmiegte mich dichter an ihn, wusste nichts darauf zu antworten. Schweigend hingen wir unseren Gedanken nach. Ein leichter Wind war aufgekommen und raschelte in den Zweigen.

      Konrad nahm erneut einen tiefen Zug aus seiner Pfeife, so dass der Tabak im Pfeifenkopf rot aufglühte und sprach weiter: „Manchmal denke ich, mein Vater könnte noch leben. Doch das ist wohl nur eine trügerische Hoffnung. Man hat mir versichert, von dem Trupp, mit dem er losgezogen sei, wären alle durch einem Volltreffer vernichtet worden. Das hätte keiner überleben können. Gelegenheit, dies zu prüfen, hatten sie allerdings nicht, da die Russen zugleich vorgerückt waren. Darum hat man meinen Vater für vermisst erklärt. So sollte ich eigentlich wissen, dass es keine Hoffnung mehr gibt. Und dennoch! Als Vater vom letzten Urlaub an die Front zurückfuhr war er in einer schlimmen Verfassung gewesen. Mein kleiner Bruder, sechzehn Jahre alt, war gerade bei einem Bombenangriff als Flakhelfer in einem Vorort von Berlin umgekommen. Ich hatte daraufhin Heimaturlaub bekommen. Nie werde ich den Tag vergessen, als ich da nach Hause kam. Meine Mutter klammerte sich an mir fest und weinte hemmungslos. ‚Warum? Warum?’, schluchzte sie. Mein Vater konnte mich nicht ansehen. Er stand am Fenster und seine mageren Schultern zuckten unter dem Schluchzen, das ihn schüttelte. Ja, warum musste ein sechzehn Jahre alter Junge für diesen verdammten Krieg sterben. ‚Für Volk und Vaterland’, so hieß es damals. Mein Vater und ich, wir machten uns große Sorgen um meine Mutter, die wir ja allein lassen mussten in ihrem Schmerz. Ich glaube, das war es, was meinem Vater am schwersten fiel, als er wieder an die Front fuhr. Ich weiß nicht, ob er noch erfahren hat, dass eine Bombe mein Elternhaus und auch meine Mutter vernichtet hatte. Ich kann den Gedanken auch nicht ertragen, wie ihn das getroffen haben muss. Sein Schicksal wird sicher immer im Dunkeln für mich bleiben.“

      Still saßen wir nebeneinander. Zum ersten Mal hatte er mir ausführlicher von sich und seiner Vergangenheit