Wilma Burk

Tauziehen am Myrtenkranz


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Sonne, als hätten wir sie bestellt. Ich war voller Erwartung. Es war der Tag meiner Hochzeit.

      Mama hatte die letzten Tage kaum noch geschlafen. Jede Stunde, die der Strom jetzt nicht abgeschaltet war - aus Versorgungsgründen der Stadt während der Blockade - hatte sie ausgenutzt, um vorzukochen und zu backen, was für die Festtafel nötig war.

      „Beruhige dich, wir schaffen das!“, hatte sie mich jedes Mal beschwichtigt, wenn ich durchdrehen wollte und befürchtete, dass alles nur schiefgehen könne.

      Und Mama schaffte es. Alles verlief wie geplant, als würde es nicht das ganze politische Geschehen geben. Ausreichend Wachskerzen für die Stromsperren lagen auch bereit. Natürlich wurden sie von Onkel Anton besorgt. Papa hatte seinen alten Smoking ausgemottet, der ihm sogar noch passte. Bruno dagegen fühlte sich in seinem Einsegnungsanzug sichtlich unwohl. „Wenn nur schon alles vorbei wäre“, stöhnte er. Doch Traudel in ihrem kurzen rosa Kleidchen, mit einem Kranz aus weißen Blüten im Haar, sah süß aus. Die Feier konnte beginnen.

      Nachdem wir am Morgen mit Trauzeugen zum Rathaus gegangen waren, in dem unschönen Anbau „Standesamt“, und in einer profanen Zeremonie vor dem Gesetz zu Mann und Frau erklärt wurden, konnte nun die kirchliche Trauung folgen. Fertig angezogen und geschmückt wartete ich auf Konrad, erregt und voller Spannung.

      Und dann stand er vor mir. In seiner Hand hielt er einen Strauß von zwanzig Teerosen. Zwei weiße Seidenbänder hingen davon herab, an deren Enden kleine Myrtenkränze baumelten. Gut sah er aus und feierlich in dem ausgeliehenen Smoking. Leise zog Mama die Tür meines Jungmädchenzimmers hinter sich zu. Wir waren allein. Er traute sich nicht, mich in den Arm zu nehmen, aber sein warmer liebevoller Blick umarmte mich viel mehr. Oh, Konrad, ich liebe dich! Nichts sonst erfüllte mich.

      „Weißt du, dass du schön bist“, sagte er und reichte mir die Rosen.

      Er sagte es so, dass ich es glauben musste. Mochten die andern auch geteilter Meinung sein, für ihn war ich schön.

      Hinter der Tür in der Diele wurde es unruhig und holte uns in die Gegenwart zurück.

      Gäste, die zu uns gekommen waren, brachen auf und fuhren mit bestellten Taxis zur Kirche. Es wurde auch Zeit für uns. Jetzt sah ich doch, dass die Revers an Konrads geliehenem Smoking schon ziemlich blank waren, dass seine Fliege schief saß. Es war nicht zu übersehen, wie fremd und unbequem er sich in diesem Aufzug fühlte. Ich war glücklich, dass er dies mir zuliebe auf sich nahm.

      Für mich war es nicht einfach, mit dem ungewohnt langen Kleid an Konrads Arm die enge Treppe hinunterzugehen. Vor der Haustür drängten sich Kinder, Nachbarn und Neugierige. Sie reckten die Köpfe und hielten Ausschau nach uns. Mit Ah und Oh wurden wir empfangen. Konrad hielt mich fest, damit ich vor Aufregung nicht stolperte. So schwebte ich mehr als dass ich ging durch das Spalier der Neugierde und Bewunderung zur Kutsche, die vor dem Haus auf uns wartete. Es war eine weiße, hohe und geschlossene Hochzeitskutsche mit zwei Schimmeln davor, die ungeduldig schnaubten. So eine Kutsche konnte man bei einem Fuhrunternehmen im alten Rixdorf in Neukölln seit einiger Zeit bestellen - wenn man Glück hatte. Ohne Onkel Anton hätten wir auch das sicherlich nicht geschafft, aber er machte es möglich - ich weiß nicht wie! Ohne Onkel Anton hätte wohl diese ganze Hochzeitsfeier nicht stattfinden können.

      Konrad ließ sich aufseufzend in die alten, leicht abgeschabten Polster der Kutsche fallen. Er war froh, den neugierigen Blicken entronnen zu sein. Von der Sonne aufgeheizt, war es stickig in der geschlossenen Kutsche. Konrad wedelte sich ein wenig Kühlung mit seinem Zylinder zu - mit dem Zylinder, der beinahe einen Familienkrach ausgelöst hätte. Erst nach langem Überreden hatte er sich dem allgemeinen Wunsche der Familie gebeugt und bereit erklärt, einen Zylinder zu tragen. Doch was er heute der Familie mit pfiffigem Gesicht präsentierte, war ein geliehenes Exemplar, das wenigstens zwei Nummern zu klein war. „Es war unmöglich, etwas anderes aufzutreiben“, versicherte er treuherzig. So trug er, dem Wunsche der Familie entsprechend, einen Zylinder, aber nur in der Hand.

      Mit ihren Hufeisen auf dem Asphalt der Straße klappernd trabten die Pferde mit unserer Kutsche zur Kirche. Auf dem Bock saß ein jüngerer Mann, der in dem für ihn viel zu weiten grauen Frack fast verschwand. Auf dem Kopf trug er einen grauen Zylinder, der ihm aber passte. Konrad grinste, als er ihn sah. Sicher stammten die Sachen aus einem Bühnenverleih, der den Krieg überstanden hatte. Vielleicht war der junge Mann arbeitslos und verdiente sich etwas Geld nebenbei mit diesen Fahrten. Jedenfalls verstand er es, höflich die Tür für uns aufzuhalten und mit den Pferden umzugehen. Links und rechts der Straße unterbrachen die Menschen ihre Geschäftigkeit - so eine Kutsche erregte Aufsehen -, sie blieben stehen und versuchten mit fröhlichen Gesichtern durch die Scheiben zu uns hereinzuschauen. „Alles Gute!“, rief uns so manch einer laut nach. Ich begann vor Aufregung in der Wärme zu schwitzen und befürchtete, dass meine Locken unter dem Schleier sich auflösen könnten. Konrad sah von der Seite her zu mir. Amüsierte er sich über mich? Behutsam nahm er meine Hand und sein warmer Händedruck sagte mir, dass er mich beruhigen wollte. Es gab keinen Grund, aufgeregt zu sein. Er war ja bei mir. An ihm konnte ich mich festhalten.

      Kurz bevor wir die Kirche erreicht hatten, setzte das Glockengeläut ein. Mein Herz schlug bis zum Hals. Welch ein tiefes Gefühl von Feierlichkeit überkam mich. Fast drohte es mir Tränen in die Augen zu treiben. Das fehlte noch, vor Rührseligkeit zu heulen. Dann würde Konrad lachen, vermutete ich und unterdrückte sie mit Erfolg.

      Die Kutsche hielt. Wieder öffnete uns der Kutscher höflich die Tür und war mir behilflich, all den Stoff des Kleides und den Schleier heil durch die enge Tür der Kutsche herauszubekommen. Jetzt dröhnten die Glocken über uns, man konnte kein Wort mehr verstehen. Wieder gingen wir durch ein Spalier. Diesmal waren es unsere Gäste mit Blumen in den Händen.

      Vor uns stand der Kirchendiener mit einem einstudiert feierlichen Gesicht und hielt uns ein kleines silbernes Tablett entgegen. Ich zitterte vor Aufregung, als ich den schmalen Silberreif vom Finger der linken Hand zog und darauf legte. Wieder spürte ich den vertrauten beruhigenden Händedruck von Konrad. Beeindruckte ihn das alles wirklich so wenig, dass er so ruhig bleiben konnte?

      Um uns herum fluteten die Gäste in die Kirche hinein. Dieser oder jener nickte mir dabei im Vorübergehen ermutigend zu. Der Pfarrer in seinem langen schwarzen Talar kam gemessenen Schrittes auf uns zu. - War das nicht der Mann, der eben noch auf dem Fahrrad unsere Kutsche überholt hatte? - Dröhnendes Orgelspiel setzte ein. Ich ergriff Konrads Arm und hielt mich daran fest. Feierlich und langsam folgten wir dem schwarzen breiten Rücken des Pfarrers durch den Gang der Kirchenbänke dem Altar entgegen. Durch die hohen bunten Fenster neben dem Altar mit dem goldenen Kreuz, fielen ein paar Sonnenstrahlen in das sonst dämmerige Kirchenschiff unter der sich darüber mächtig wölbenden Decke. Das also war der Moment, der große Tag, von dem ich so oft erwartungsvoll geträumt hatte. Und neben mir ging Konrad, den ich über alles liebte, der nun zu mir gehören würde wie ich zu ihm.

      Drei Stufen, die mit einem schon abgetretenen Teppichläufer belegt waren, führten zu den beiden bekränzten Stühlen vor dem Altar hoch. Mein Kleid war ungewohnt lang. Bereits auf der ersten Stufe stand ich auf meinem Saum. O Schreck! Mit jeder Stufe stieg ich weiter in mein Kleid hinein und wurde immer kleiner neben Konrad. Er sah erstaunt zu mir. Da, auf der dritten Stufe hörte ich es Krachen. Geräuschvoll war der Stoffsaum meines Kleides geplatzt. Erschrocken darüber, fielen mir die Rosen aus der Hand. Blitzschnell bückte sich Konrad, hob sie auf und gab sie mir. Sichtlich belustigt schaute er mich dabei an. Wäre ich nicht sowieso schon rot vor Aufregung gewesen, jetzt spürte ich, wie mir das Blut in den Kopf schoss. Dabei wurde mir in diesem Augenblick erneut bewusst, dass Konrad die ganze feierliche Zeremonie dieses Festes als unnützes Getue betrachtete, als einen großen Spaß, den er mir zuliebe mitmachte.

      Der Pfarrer predigte und predigte. Was sagte er? Ich weiß es nicht. Immer wieder holte er aus dem schwarzen Talar ein großes weißes Taschentuch, womit er sich die Nase wischte. Ob er erkältet war? - Komisch, was einem von solchen, doch feierlichen Momenten, in Erinnerung bleibt. - Hinter uns hörte ich ab und an ein Schniefen und Schnäuzen. Da flossen wohl Tränen der Rührung. Dann befiel mich noch die Angst, an der falschen Stelle mein Jawort zu sagen. Feierlich still war es, als wir die Ringe an die rechten Hände wechselten. Sogar Konrad war ernst. Auch er empfand wohl,