Wilma Burk

Tauziehen am Myrtenkranz


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zur Hochzeit. Mama stellte lange Listen all dessen zusammen, von dem sie meinte, dass es zur Feier unverzichtbar sei. Sie bombardierte Onkel Anton mit ihren Wünschen. Lachend hielt er sich schon die Ohren zu. Doch was tat er nicht gern für seine Schwägerin. Es war schon vorgekommen, dass er in besonders vergnügter Stimmung zu ihr gesagt hatte: „Du wärst die Einzige gewesen, die mich zur Ehe hätte bekehren können.“ Doch er zwinkerte mit einem Auge dabei.

      Konrad und ich machten uns auf den Weg zum Standesamt, um das Aufgebot zu bestellen. Die vorgeschriebene Wartezeit danach reichte gerade aus bis zu dem Termin, an dem wir heiraten wollten. Mit klopfendem Herzen ging ich neben ihm auf das alte Rathaus aus roten Backsteinen zu. Wir suchten hier das Standesamt vergebens. Auch das Rathaus war so vom Krieg beschädigt, dass nur noch wenige Räume genutzt werden konnten. In einem grauen unansehnlichen Anbau war es behelfsmäßig untergebracht. Ein kleiner hagerer Mann mit schneeweißem Haar nahm unsere Anmeldung entgegen. Er war sicher so alt, dass er eigentlich pensioniert sein müsste. Er musterte uns kurz durch seine dicke Brille, kontrollierte sorgfältig unsere Papiere und entließ uns wieder mit einem Kopfnicken.

      „Das war aber ziemlich ernüchternd“, sagte ich, als wir wieder draußen waren.

      „Was hast du erwartet?“, fragte Konrad. „Wir heiraten doch erst später.“

      Hatte ich wirklich erwartet, alles, was jetzt mit unserer Heirat zusammenhängt, könne nur noch feierlich sein? Nicht einmal der Pfarrer brachte das fertig. In einem unscheinbaren dunklen Raum neben der gewaltigen Kirche, die zum Glück vom Krieg verschont geblieben war, empfing er uns. Ich saß auf der Stuhlkante und hielt mich an Konrad fest, als der Pfarrer begann uns mahnend zu predigen, wir würden nun mit der Eheschließung füreinander Verantwortung übernehmen und sollten sie in gegenseitiger Treue und Achtung führen, im Sinne Gottes. Von Gott sprach er in jedem Satz, er war eben ein Pfarrer.

      Wir waren Protestanten. Bei uns Zuhause wurde nicht viel von Gott gesprochen, aber er war immer irgendwie gegenwärtig. Man ging zur Taufe, zur Einsegnung, zur Hochzeit in die Kirche, sonst kaum. Zur Beerdigung, da holte man auch noch einmal einen Pfarrer. Mama sagte stets: „Wenn du Gott im Herzen hast, so musst du ihn nicht auf der Zunge tragen.“

      Dann ging es daran zu überlegen, wer alles zur Hochzeitsfeier eingeladen werden sollte. Da gab es Tanten und Onkel, Cousinen und Cousins, die man nur selten sah. Doch zum Fest gehörten sie dazu, natürlich auch meine Freundin Brigitte.

      „Wen willst du einladen?“, fragte ich Konrad.

      „Ich weiß niemanden“, antwortete er. Doch dann verbesserte er sich: „Natürlich meine Wirtin.“

      Ich wollte es kaum glauben, Konrad hatte niemand, weder in den Westsektoren, noch im Ostsektor von Berlin, auch nicht in der Ostzone. Nur seine Wirtin, in deren Wohnung er ein möbliertes Zimmer gemietet hatte, wollte er dabei haben.

      Wir hatten beschlossen zu heiraten, aber wir wussten wirklich wenig voneinander. Auf meine Frage, ob es denn nicht irgendwo noch Verwandte geben würde, erklärte er: „Doch, im Allgäu, in Bayern lebt noch eine Großmutter und eine Tante von mir mit ihrer Familie. Das sind Mutter und Schwester meiner Mutter. Ich habe sie nur einmal in meinem Leben gesehen, als ich noch sehr klein war. Wir hatten nur wenig Kontakt miteinander. Meine Großmutter war gegen die Heirat meiner Eltern gewesen. Dass meine Mutter es dennoch tat, vergaß sie ihr nie.“

      „Das kann ich nicht begreifen. Wie können sich Mutter und Tochter so zerstreiten?“ Ich konnte mir nicht vorstellen, dass ich mich jemals so mit Mama zanken würde.

      „Bei euch ist das anders. Ihr seid ein richtiger Familienclan, da haben viele an eurem Tisch Platz. Bei uns war das nicht so. Mutter und Vater waren gern für sich. Sie pflegten auch nicht besonders Freundschaften. Mein Bruder und ich kannten das nicht anders und fühlten uns wohl dabei. Wir hatten unsere Schulfreunde, das genügte“, erklärte Konrad.

      Es ging immer unruhiger bei uns zu. Stoff für das Brautkleid musste beschafft werden, der Schleier, der Myrtenkranz. Wo bekam man das alles her? Onkel Anton war auch hier die Rettung. Durch seine Beziehungen zum Schwarzmarkt konnte er alles besorgen. Aber es kostete viel Geld. Das machte Papa nachdenklich.

      „Ist es wirklich richtig, in einer Zeit, wo alles knapp ist, so eine Hochzeitsfeier zu planen? Soll ich euch nicht lieber das Geld geben, damit ihr euch etwas für euern jungen Hausstand anschaffen könnt?“, fragte er eines Tages.

      Konrad wird ihm gleich beipflichten, befürchtete ich.

      Doch da war ja noch Mama. Sie protestierte sofort. „Und wenn die Zeiten noch schlechter wären, Heinrich, so müssten wir tun, was wir können, um Katrina diesen Tag so schön wie möglich zu machen. In der Regel heiratet man nur einmal im Leben. Hast du das vergessen?“

      „Schon gut, schon gut!“, wehrte er lachend ab. „Machen wir also das Beste daraus.“

      Sicher hatte Mama ihn an ihre eigene Hochzeit erinnert. Es gab ein ganzes Album voller Bilder davon. Es muss damals ein schönes Fest gewesen sein.

      Ich atmete auf. Die Feier war gerettet. Ich versuchte Papa noch zu beruhigen. Wir hätten doch beide Arbeit und mit dem jungen Hausstand würde sich das finden, erklärte ich ihm. Ich glaubte wirklich daran.

      Als Onkel Anton von Papas Bedenken hörte, lachte er schallend: „Das Wichtigste, was sie brauchen, ist ein Bett.“ Mir schoss wieder einmal die Röte ins Gesicht, was ihn noch heftiger lachen ließ, bis seine Haushälterin ihm mahnend in die Rippen stieß.

      Tante Emmy war schockiert, als sie erfuhr, dass wir unsere Ehe in Konrads möbliertem Zimmer bei der Witwe Willinger beginnen wollten. „Als Emil und ich geheiratet haben, war auch keine besonders gute Zeit. Doch mir wäre es nicht in den Sinn gekommen, ohne ein Mindestmaß an Aussteuer, ohne einen eigenen kleinen Hausstand zu heiraten. Die Liebe allein genügt nun einmal nicht. Kein Wunder, wenn Ehen heute so schnell zerbrechen. Klug wäre es, zu warten und später zu heiraten. Aber euch geht es ja nicht schnell genug.“

      Es war, als hätte sie vergessen, dass ihre Ehe zerbrochen war, trotz einer kleinen Wohnung und einer Aussteuer aus Bett- und Tischwäsche mit handgestickten Monogrammen, silbernen Bestecks, Rosenthalporzellan und sicher vielem mehr.

      „Lass man, Emmy!“, erklärte Mama daraufhin. „Die Kinder werden das bestimmt schaffen. Heute ist es eben so.“

      Emsig durchstöberte Mama seit einiger Zeit ihren Haushalt nach entbehrlichen Dingen. In meinem Zimmer wuchs eine Aussteuer, die bei einer angeschlagenen Suppenschüssel begann und bei einem geflickten Bettbezug aufhörte. Und ich fühlte mich reich damit.

      *

      Im Büro steckten meine Freundin Brigitte und ich jetzt tuschelnd die Köpfe zusammen. Fräulein Krause hatte häufig Grund, ungehalten zu fragen: „Was gibt's?“

      Monika und Waltraud, die Amiliebchen, wie wir sie nannten, blickten dabei zu uns herüber, als wären sie von Neid erfüllt? War bei all ihren prickelnden Erlebnissen eine Ehe auch für sie ihr sehnsüchtigster Wunsch? Ich hörte sie hinter meinem Rücken sagen: „Na, wenn man so überstürzt heiratet, da kann doch etwas nicht stimmen. Wir werden ja sehen!“ Und ich wusste, wie sie in der nächsten Zeit meinen Leib mit den Augen abtasten würden, nach der geringsten verfrühten Schwellung suchend, um triumphieren zu können: „Haben wir's nicht gesagt, sie musste heiraten, die Scheinheilige, die immer so brav tut.“

      Einmal besuchte ich mit Mama Konrad in seiner „möblierten Bude“, wie er sein Zimmer spöttisch nannte. Es war mitten in der Stadt, in einem richtigen alten Berliner Haus mit hohen Fenstern. Die Erker wurden von steinernen Figuren getragen, denen ein Arm, ein Bein oder eine Nase fehlte, Folgen des Bombenhagels und der Straßenkämpfe im Krieg. Es gab nur vereinzelt Balkons an der Stuck-Fassade mit dem bröckelnden Putz und den sicher einmal schönen Ornamenten. Wenn die Sonne auf die belebte Straße davor schien, so erreichte sie den Boden vor dem Haus nicht. Mit Getöse und rumpelnd fuhr eine Straßenbahn vorbei. Die schwere, geschnitzte Haustür quietschte, als wir sie öffneten und in die Kühle des hohen Treppenhauses eintraten. Blinder rissiger Marmor bedeckte die Wände und als Treppengeländer wand sich eine hölzerne Schlange zu den Etagen hoch.

      Konrad