Wilma Burk

Tauziehen am Myrtenkranz


Скачать книгу

Mama traurig erwidern: „Ja meint ihr, ich gäbe euch nicht auch lieber etwas anderes mit?“

      Einige Wochen war es bereits her, dass ich mit essbaren Schätzen von Tante Luise nach Hause gekommen war. Genauso lange kannte ich jetzt Konrad. Ich fieberte jeder Verabredung mit ihm entgegen. Ich schmiegte mich inzwischen an ihn, wenn er mich zärtlich in den Arm nahm und küsste. Eigentlich müsste ich jetzt Mama von ihm erzählen. Auch an diesem Morgen überlegte ich das. Doch ich schob es auf, bis zur Mittagszeit, bis ich von der Arbeit wieder nach Hause kam.

      Obwohl sonnabends nur wenige Stunden gearbeitet wurde, verging mir die Zeit an diesem Tag viel zu langsam. Ungeduldig sah ich auf die Uhr.

      „Na, du kannst es wohl nicht erwarten?“, neckte mich Brigitte und musterte mich neidisch, wie mir schien.

      Ich lachte, packte mittags schnell meine Sachen zusammen und lief zur Tür.

      „Da brauche ich dich wohl nicht zu fragen, ob du heute Zeit für mich hast?“, rief sie mir nach. „Oder habe ich vergessen, dass wir uns heute treffen?“

      „Natürlich treffen wir uns wieder, wie immer in letzter Zeit. Das weißt du doch!“, antwortete ich vieldeutig.

      „Ach, ja!“, antwortete sie. „Habe es schon verstanden.“ Sie wusste, dass sie meine Ausrede war, wenn ich mich mit Konrad traf.

      Die Köpfe von Monika und Waltraud flogen herum. Sie spürten, da war etwas Geheimnisvolles. Fräulein Krause sah prüfend auf die Uhr, ob ich auch nicht eine Minute zu früh das Büro verließ. Ich atmete auf, sobald ich draußen war.

      Als ich mich unserem Haus näherte, ging meine Schwester Traudel vor mir her. Ihre roten Zöpfe hingen ihr weit über die Schulter. Unter dem Arm trug sie ihren Schulranzen. Sie band ihn sich nie mehr auf den Rücken. „Das machen doch nur Babys“, konnte sie mit der Herablassung ihrer zwölf Jahre sagen. Sie bettelte seit Langem um eine richtige große Aktentasche. Doch Papa meinte, der Ranzen sei wenigstens aus Leder, dagegen sei eine Aktentasche, wie man sie heute kaufen könnte - wenn überhaupt - nur aus Ersatzmaterial. Das wäre viel zu teuer und würde der Behandlung durch Traudel sicher nicht lange standhalten. Traudel gab dann ihrem Ranzen heimlich einen herzhaften Fußtritt und murrte: „Ich pfeif was auf Leder!“ Aber der Ranzen aus Leder ging eben trotz der Fußtritte nicht entzwei.

      Kurz vor der Haustür holte ich Traudel ein. Zu ihrem Missfallen hielt ich sie an ihren Zöpfen fest.

      Unser Haus in dieser Straße sah aus wie alle anderen hier, die den Krieg überstanden hatten. Es war teilweise beschädigt und die Klingeln an der Haustür funktionierten nicht mehr. Es gehörte zu einer Siedlung, die man damals modern nannte, mit glattem Putz und vielen Balkons. Das waren keine Altberliner Häuser mit hohen Fenstern und Stuckaturen. Früher quollen hier die Balkonkästen über von Sommerblumen und machten neben den herrlichen Rotdornbäumen am Straßenrand die Gegend freundlich. Wenn sie blühten, hatte das sonntags viele Spaziergänger aus der Innenstadt angezogen.

      Die Räume in diesen Häusern waren nicht so hoch wie in einem Altberliner Haus, die Wohnungen nicht so groß. Trotzdem hatte ich hier ein eigenes Zimmer. Es war klein. Gerade ein Schrank, ein Bett, ein Tisch und ein Stuhl hatten Platz darin. Aber es war mein Reich. Als wir vor Beginn des Krieges hier einzogen, hatte Bruno gemault und gemeint, ihm, als einzigem Jungen, stünde das Zimmer zu. Doch Papa hatte mit einer Handbewegung seine Einwände beiseite geschoben, „Katrina ist die Älteste“, bestimmte er. So bekam Bruno sein Bett auf der Couch im Wohnzimmer jeden Abend zurechtgemacht und Traudel schlief auf einem Sofa bei den Eltern im Schlafzimmer.

      Schon im Treppenhaus roch es nach gebratenen Zwiebeln. Wie jeden Sonnabend stand mittags dampfende Kartoffelsuppe auf unserem Tisch in der Küche, um den sich die Familie versammelte. Wie jeden Sonnabend warf Bruno flehentlich seinen Blick zur Decke und sagte: „Und jetzt ein paar Bockwürste dazu!“, ehe er nach seinem Löffel griff.

      Anfangs hatten wir darüber gelacht, doch dann mahnte Papa: „Lass den Unsinn!“ Und schließlich achteten wir kaum noch darauf. Nur Traudel nahm ihren Löffel nie auf, ehe ihr vergötterter großer Bruder nicht seinen Spruch getan hatte.

      Als sich Papa nach dem Essen zu einem Mittagsschlaf ins Schlafzimmer zurückzog, war eigentlich der Moment gekommen, Mama zu sagen, dass ich mich heute mit Konrad treffe. Doch ich konnte es nicht - noch nicht - später, nahm ich mir vor.

      Nach dem Essen half ich Mama in der Küche das Geschirr abzuwaschen. Eifrig redete ich, um damit mein schlechtes Gewissen zu verbergen. Als wir fast fertig waren, sagte ich beiläufig: „Ich treffe mich gleich mit Brigitte. Wir wollen bei dem schönen Wetter ins Grüne, an die Havel fahren.“ War ich erleichtert, dass mir die Ausrede wieder leicht über die Lippen ging - nur putzte ich wohl den Teller, den ich in der Hand hielt, besonders lange trocken.

      Mir entging nicht, wie Mama mich von der Seite her ansah. „Gut!“, sagte sie zustimmend. Doch nach einer Pause: „Ist der Teller nicht schon trocken genug?“ Und sie lächelte seltsam dabei, so dass ich vor Verlegenheit errötete und mich fast verraten hätte.

      Ich stutzte. Ahnte Mama etwas? Unmöglich! Sicher lächelte sie, weil ich wieder gewartet hatte, bis Papa schlief, um ihr das zu sagen. Papa konnte so unbequeme Fragen stellen: Wohin? Mit wem? Wann zurück? - Ich war froh, dass sie es wieder war, die all seine Fragen beantworten musste. Und darin hatte sie im Laufe der Jahre viel Übung bekommen.

      *

      Es war ein schöner warmer Tag im Mai. Wer Zeit hatte und nicht damit beschäftigt war, das Notwendige fürs tägliche Leben zu beschaffen, der strebte hinaus in die Natur. Mein Weg zur S-Bahnstation war nicht weit. Zwischen all den Menschen dort, sah ich Konrad sofort. Mit seinem warmen Glanz in den Augen sah er mir entgegen. Längst näherte ich mich ihm nicht mehr zögernd, sondern lief die letzten Schritte und sprang ihm regelrecht in die Arme. Jede Geste, jeder Blick von mir musste ihm verraten, wie sehr ich ihn liebte. Die Zeit, da ich versuchte, dies zu verstecken, war längst vorbei. Eng umschlungen, miteinander vertraut, gingen wir auf den Bahnsteig und stiegen in den Zug. Dicht beieinander standen wir zwischen all den anderen Menschen im vollen S-Bahnabteil und fuhren hinaus nach Wannsee zur Havelchaussee.

      Das Wasser der Havel dümpelte leise plätschernd an den Strand und strich immer wieder den feinen Sand, von vielen Füßen zertreten, glatt. Auch in meine Schuhe drang dieser Sand, so dass ich kaum noch laufen konnte.

      „Komm!“, sagte Konrad. „Lass uns hinaufgehen in den Wald.“

      Mir war es recht. Vom ersten Moment an, als wir uns begegneten, hatte ich nie den Wunsch verspürt, mich gegen seinen Willen aufzulehnen. Was Konrad tat war richtig, ich hatte Vertrauen. So verließen wir die vielen Menschen am Strand der Havel und stiegen hinauf in den schattigen Wald der Havelberge.

      Es war schön, neben ihm zu gehen, sich an ihn zu lehnen. Ich war so jung und an ihm war nichts Jungenhaftes mehr. War er auch nur einige Jahre älter als ich, so machte es zwischen uns viel aus. Er ging so sicher und wusste, was er wollte.

      Bald lenkte Konrad unsere Schritte vom Weg ab. Ein schmaler Pfad verlor sich im Wald. Kein Mensch war mehr um uns herum. Aufgeregt, beklommen und ängstlich schmiegte ich mich in seinen, mich fester umfassenden Arm. Vor uns öffnete sich der Wald und wir traten geblendet hinaus auf eine sonnenüberflutete Lichtung. Wir blickten hinunter auf die Straße und zu dem Strand am Ufer der Havel. Gedämpft klang das Stimmengewirr der Spaziergänger von dort unten zu uns hoch, auch das leise Plätschern der Wellen auf dem Fluss. Hier war ein warmer Platz, einsam, als wäre er für Verliebte geschaffen.

      Konrad zog sich seinen Mantel aus, legte ihn auf das Gras mit den ersten grünen Halmen und setzte sich darauf. „Komm! Lass uns hier verweilen. Der Boden ist schon warm“, forderte er mich auf und zog mich zu sich hinunter.

      Ehe ich mich versah, lag ich neben ihm auf seinem Mantel. Ein seltsames Gefühl der Unruhe befiel mich. Ich fühlte mich wie erstarrt, bereit zur Abwehr. Konrad drehte sich mir zu, blickte mich forschend an und grinste, als wüsste er, was in mir vorging. Sacht griff er nach meiner Hand zwischen uns und hielt sie fest. „Ich träume gerne so in den Himmel. Komm, lass uns das zusammen tun“, forderte er mich auf und sah zu den einzelnen Wolken hoch. Träumen,