Wilma Burk

Tauziehen am Myrtenkranz


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Wohnung. Der Korridor war dunkel, in den wir eintraten. Die Luft darin schien so alt zu sein wie seine Tapeten und Portieren. Irgendwo in der Dämmerung steckte jemand neugierig seinen weißhaarigen Kopf aus einer Tür und rief uns einen schnellen Gruß zu, ehe er wieder verschwand. Das war die Witwe Willinger, Konrads Wirtin.

      „Es ist alles ein wenig unmodern hier“, versuchte Konrad, seine Umgebung zu entschuldigen. „Doch als ich aus der Gefangenschaft zurückkam, war ich froh gewesen, hier überhaupt eine Unterkunft zu finden. Mit meiner Wirtin kann man gut auskommen. Wenn wir uns erst eigene Möbel anschaffen, können wir die alten hinten in der Korridornische abstellen. Das hat sie vorgeschlagen.“ Wollte er mit seinem eifrigen Reden seine Verlegenheit verbergen? Endlos lang erschien mir der düstere Korridor bis zu seinem Zimmer.

      Doch als er die Tür dazu öffnete, atmete ich auf. Durch ein großes Erkerfenster sah ich auf einen sonnigen, verwilderten Park gegenüber der Straße. Dass die Gardinen alt und vergilbt waren, bemerkte ich kaum. Meine ganze Aufmerksamkeit galt einem Schaukelstuhl, der davor stand. „Noch nie habe ich in einem Schaukelstuhl gesessen“, rief ich, lief darauf zu und ließ mich hineinfallen.

      „Vorsicht!“, mahnte Konrad. „Man kann auch damit umfallen.“

      Ich lachte sorglos. „Gehört er auch deiner Wirtin?“

      „Nein, er gehörte meiner Mutter. Sie saß so gern darin.“ Zum ersten Mal sah ich Konrads Augen dunkel werden von Trauer erfüllt. „Ich fand ihn in der Laube, die mir noch geblieben ist. Warum sie ihn dort hingebracht hatte, werde ich nie erfahren. So ist er das Einzige, was ich noch von meinem Elternhaus besitze.“

      Mama stand derweil und schaute sich schweigend um. Ich sah, wie ihr Blick abschätzend alles aufnahm. Es war ihr anzusehen, dass ihr nicht besonders gefiel, was sie hier vorfand. Bedrückt erhob ich mich wieder aus dem Schaukelstuhl und suchte nach etwas, das mich noch begeistern könnte. Und mein Blick blieb wieder an den hohen Fenstern hängen.

      „Sieh mal, Mama!“, rief ich ihr aufmunternd zu. „Auf diesen breiten Fensterbrettern kann ich viele Blumentöpfe hinstellen. Dann wird alles gleich freundlicher aussehen, wenn sie blühen.“

      „Das Zimmer liegt nach Norden“, warf Konrad ein. „Die Sonne erreicht die Fenster nicht.“

      „Das ist schlecht für blühende Pflanzen“, erklärte Mama knapp.

      „Ach, das macht nichts, dann nehme ich eben Schattengewächse. Die sind auch schön.“ Nein, ich wollte alles so freundlich sehen, wie es irgend ging.

      Doch gelang mir das? Ich folgte Mamas Blick. In einer Ecke ragte bis zur stuckverzierten Decke ein riesig erscheinender Kachelofen, mit vielen verspielten Ornamenten. War es schwer, ihn zu beheizen? Massige Mahagonimöbel füllten das Zimmer. Sicher waren sie einmal der Beweis für einen hohen Wohlstand gewesen. Jetzt aber wirkten sie, als seien sie voll gesogen mit Vergangenheit, mit Geschehen, was sich lange vor uns hier abgespielt hatte. Mir war, als könnten sie nun von unserem Leben nichts mehr in sich aufnehmen. Bedrückt blickte ich zu Konrad.

      Mit einem hilflosen Lächeln stand er da, der sonst so Selbstsichere.

      „Aus diesem Zimmer kann man bestimmt etwas machen. Warte nur, wenn wir uns erst neu einrichten können. Du sagtest doch, deine Wirtin hätte nichts dagegen, Konrad?“ Wen wollte ich trösten, Konrad, Mama oder mich? Doch in diesem Augenblick glaubte ich fest an das, was ich sagte.

      Noch ehe Konrad antworten konnte, mischte sich Mama ein. Sie stand nachdenklich vor einer Couch. Erstaunlich, dass es diese hier gab, viel besser hätte ein weinrotes Plüschsofa hierher gepasst.

      „Auf dem Boden haben wir noch ein altes Feldbett. Ich denke, wir werden es für Katrina herbringen. Sie kann so lange darauf schlafen, bis ihr euch eine neue Schlafstatt anschaffen könnt“, schlug sie vor.

      „Das ist eine gute Idee“, pflichtete ihr Konrad bei. „Ich hatte auch schon überlegt, was wir machen können.“

      Zweifelnd sah ich Konrad an. Meinte er das im Ernst? Glaubte er, ich würde oft darauf liegen? Sicher, ich sah, eigentlich war die Couch zu schmal für zwei, doch für einen auch wieder bestimmt zu breit. Ich konnte mir nicht vorstellen, neben ihm zu liegen, ohne ihn zu spüren. Mama sah fragend zu mir herüber. Verdammt, wieder wurde ich rot bei meinen Gedanken.

      „Doch, doch“, beeilte ich mich, zu versichern, „das ist gut.“

      Damit war die Besichtigung beendet. Konrad brachte uns durch den dunklen Flur zur Korridortür. Als wir die knarrende Treppe hinuntergingen, nahm ich noch wahr, dass in den kleinen von Hinterhäusern umgebenen Hof die Sonne schien. Quietschend fiel die schwere Haustür hinter uns ins Schloss.

      „Das wird bald dein Zuhause sein“, sagte Mama, als wir zur Haltestelle der Straßenbahn gingen. Und sie dachte sicher an die zwar kleinen, aber freundlichen, hellen Räume ihrer Wohnung, die bisher mein Zuhause waren. Ihre Augenbrauen hatte sie zusammengezogen. Ich wusste, sie war besorgt.

      „Bestimmt ist das nicht für lange Zeit“, versicherte ich ihr – und war überzeugt davon.

      „Wer weiß?“, meinte Mama nur.

      *

      Doch keine Sorgenfalte zeigte ihr Gesicht, als wir eines Sonntags Konrad in seiner Laube besuchten. Es war ein herrlicher Frühsommertag. Die lange Fahrt mit der Straßenbahn führte uns immer weiter hinaus aus der Stadt. Bald lösten kleine anheimelnde Häuser in blühenden Gärten die hohen Stadthäuser ab. Schließlich fuhren wir nur noch durch Felder. An einem kleinen Wald war die Endhaltestelle der Bahn. Von hier aus gingen wir eine Chaussee entlang, an der sich links und rechts verschiedene Vereinsanlagen der Schrebergärten befanden. „Frohsinn“ hieß der Verein, zu dem Konrad gehörte. Durch ein großes Tor betraten wir den breiten Weg zwischen den Gärten, der uns zu Konrad führte.

      Traudel sprang aufgeregt vor uns her, Bruno versteckte seine Neugier hinter gespielter Langeweile, Mama balancierte ihren selbstgebackenen Kuchen, den sie heil hinbringen wollte, und Papa ging gemessenen Schrittes neben ihr.

      Ich war voller Spannung und Bangen. Nach der Besichtigung von Konrads „möblierter Bude“, fragte ich mich, wie es hier sein würde. Ängstlich sah ich immer wieder zu Mama und Papa je näher wir unserem Ziel kamen.

      Der Sand des Weges knirschte unter unseren Füßen. Aus den angrenzenden Gärten wurden wir von neugierigen Blicken begleitet. Fremde Menschen, die unter einem Schatten spendenden Baum saßen, drehten sich nach uns um. Ein Stück weiter arbeitete jemand in seinem Garten und hielt in der Arbeit inne. Endlich entdeckte ich Konrad. Er schaute über das Gartentor hinaus nach uns. Ich begann schneller zu laufen und Traudel folgte mir.

      „Konrad, hier ist es wunderschön!“, rief Mama, als sie durch die Gartenpforte trat.

      „Das kann man wohl sagen“, pflichtete ihr Papa bei.

      Es machte nichts, dass die hölzerne kleine Laube längst einen neuen braunen Farbanstrich gebraucht hätte - wer konnte das damals schon -. Es störte auch nicht, dass die kleinen Fenster nur zum Teil Glas hatten und sonst mit Platten vernagelt waren. Auch hier am Rande der Stadt waren sie geborsten bei einem Bombenangriff. Unter einem alten Kirschbaum hatte Konrad um einen Tisch zusammengetragen, was er an Sitzgelegenheiten zu bieten hatte. Bruno lümmelte sich gleich in einem Sessel. Traudel lief neugierig umher und zählte auf, was alles in den Beeten wuchs: Radieschen, Tomaten, Salat, Kohlrabi.

      „Sogar Erdbeeren gibt es hier“, rief sie aus einer Ecke des Gartens mit vollem Mund, was verriet, dass sie genascht hatte.

      „Traudel, man fragt erst“, tadelte Mama. Sie suchte einen Teller für ihren mitgebrachten Kuchen und verschwand in der Laube. Kurz darauf hörte ich sie hell auflachen.

      „Katrina, komm her!“, rief sie.

      Gespannt ging ich zu ihr. Sie stand in der kleinen Küche vor einem gusseisernen Herd, in dem es leise knisterte und auf dem ein dampfender Wasserkessel vor sich hin blubberte. An diesem herrlich warmen Frühsommertag trieb die Hitze, die von dem Herd ausging, den Schweiß aus allen Poren.

      „Da