Gloria Fröhlich

Kuckucksspucke


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irrten über Lines Gesicht.

      Es fiel ihr schwer weiter zu sprechen, und Line schwieg.

      Aber sie dachte, was sollte denn das nun, wieso denn ein Mann, welcher denn?

      Außerdem würde sie doch niemals mit einem Fremden mitgehen.

      Das war doch nur der dreckige Stock!

      Und was machte die Großmutter nun mit ihrer Unterhose, warum wendete sie die hin und her, wonach suchte sie? Line fand ihre Situation inzwischen mehr als unangenehm und dann sagte die Großmutter in einem Ton, der eine besondere Gefahr augenblicklich ausschloss:

      „Da ist nichts und geweint hat sie scheinbar auch nicht, sie macht auch keinen verstörten Eindruck, aber merkwürdig ist es schon“.

      Line saß schweigend und hilflos auf dem Stuhl.

      Und sie dachte, was hat meine Unterhose mit meinem juckenden Rücken zu tun,

      und sie war dann froh darüber, dass sie keine Zeit mehr mit dummen Fragen verplemperten.

      Aber Line spürte, dass sie sie beobachteten und so vorsichtig mit ihr umgingen, als würde sie gleich zu Staub zerfallen.

      Ihre Mutter wusch ihr mit unendlicher Zärtlichkeit den Rücken und betupfte einige Stellen mit der rotbraunen, stinkenden Flüssigkeit, die ihr Vater in einem braunen Pappkarton zurückgelassen hatte, als er für immer gegangen war, und die auf der Haut brannte, wie Line schon erfahren hatte, wenn sie sich die Knie aufgeschlagen und ihre Mutter sie damit verarztet hatte.

      An den Blicken ihrer beiden Erwachsenen spürte sie jetzt deutlich, dass sie noch immer „geheimnisumwittert“ war.

      Das gefiel ihr, und sie hütete sich, dieses großartige Geheimnis preiszugeben.

      Line würde auch niemals das Geheimnis preisgeben, das ihr Tim anvertraut hatte.

      Er war zwei Jahre älter als sie und sehr stolz auf die Streiche, die er allein oder zusammen mit seinem Freund machte.

      Sie hängten nachts Gartenpforten aus den Angeln und tauschten sie aus, so dass am nächsten Morgen unter den Besitzern ein riesiges Durcheinander und Aufregung beim Auffinden der richtigen Pforten herrschte.

      Tims bester Freund brach zum Beispiel mit ihm zusammen, nachts, wenn alle schliefen, durch die Dachluke in das Kühlhaus der eigenen Eltern ein und hatte einen Heidenspaß daran, sich mit dem familieneigenen, gekühlten Obst, die Taschen zu füllen.

      Sie machten Line zu ihrer Räuberbraut, nahmen ihren runden Handarbeitskorb mit auf ihre nächtlichen Raubzüge und füllten ihn mit reifen Äpfeln und Birnen.

      Line holte ihn am nächsten Tag aus dem ausgemachten Versteck, und schob ihn weit nach hinten unter ihr Bett, und war tagelang mit Obst versorgt.

      Damit sie nachts schneller vorankamen, benutzten sie fremde Fahrräder, die sie mit reichlich Entengrütze zwischen den Speichen auf den Weiden zurückließen, und die am nächsten Tag von den Besitzern vermisst, gesucht und fluchend gefunden wurden. Tim erzählte Line stolz, dass sie die Räder unterwegs über die Gräben werfen mussten, um weiter zu kommen und dabei würden sie schon mal in einem der Gräben landen.

      Und sie bestrichen bei Dunkelheit die Fensterscheiben der Häuser im Dorf mit Schlemmkreide, so dass es am nächsten Morgen keinen Durchblick mehr gab.

      Auf den Bauernhöfen füllten sie die abgestellten Gummistiefel bis obenhin mit Maulwurfshaufenerde, die sie vorher herangeschleppt und unauffällig deponiert hatten. Dabei hatten ihnen die Hofhunde gelangweilt zugesehen und auch nachts bei ihren Aktivitäten nicht gebellt, weil sie sie kannten.

      Tim vertraute Line und wusste seine Geheimnisse bei ihr gut aufgehoben, um ihr auch eines Nachmittags sein geheimstes Geheimnis anzuvertrauen.

      Und Tim erzählte und erzählte mit großem Eifer und betont wichtig, während er Lines staunendes und erwartungsvolles Gesicht genoss und es liebte, wenn ihre Augen an seinen Lippen hingen.

      Wenn das Wetter es zuließ, stand die Tür des Krämerladens gegenüber der Kirche offen.

      Eines Tages war Tim mit seinem Freund und einer ganz besonderen Absicht dort hineinspaziert. Und während Tim sich ausgiebig mit dem Ladenbesitzer unterhielt und so tat, als könnte er sich nicht entscheiden, ob er Brausepulver, Prickel Pitt, Kaugummi oder die Zitronenbonbons, von denen er leider immer einen wunden Gaumen bekam, kaufen sollte und deswegen beraten werden wollte, schaute sich sein Freund interessiert nach rechts und links zwischen den gut sortierten Angeboten um und strebte gezielt schlendernd dem kleinen Flur entgegen, der zu dem hinteren Ausgang führte.

      Vom Ladeninhaber unbemerkt, verschwand er dort im Dämmerlicht und stand dann vor dem großen, offenen Sauerkrautfass, in das er in aller Ruhe, wie mit Tim abgesprochen, hineinpinkelte. Verrichteter Dinge und zufrieden, wegen des gelungenen Streiches, kam er zurück zum Tresen.

      Dort sorgte Tim gerade für geringfügigen Umsatz.

      Sie schwatzten dann noch freundlich mit dem Krämer, bevor sie vergnügt den Laden verließen, ganz ohne Sorge vor Entdeckung, nicht einmal von denjenigen, die das Sauerkraut irgendwann kaufen und mit großem Appetit essen würden.

      Nach dem Geständnis von Tim, biss Line sich auf die Lippen und fragte in sein stolzes Gesicht: „Das habt ihr euch getraut?“

      Und Tim sagte: „ Na, klar!“

      Tim traute sich nicht nur viel, er gab auch gern an wie Graf Rotz.

      Eines Tages rief er alle Kinder zusammen und verkündete, dass er in genau einer Stunde etwas vorführen würde. Er machte die Sache ziemlich spannend und versprach ein Spektakel, das alles Bisherige in den Schatten stellen würde.

      Die viel versprechende Vorstellung sollte diesmal an einer Mauer stattfinden.

      Nicht an irgendeiner, sondern an dem beliebten, verschwiegenen Ort für diejenigen, die die Einsamkeit allein oder zu Zweit suchten, denn der Trampelpfad an der Mauer vorbei, führte, so weit das Auge reichte, ins Nirgendwo.

      Dort hatte Line vor einiger Zeit im langen Gras eine kleine, blaue Schachtel gefunden, aus der sie einen zusammengerollten und weiß gepuderten, transparenten, hellen Luftballon gefischt hatte. Es hatte lange gedauert, bis sie ihn aufgepustet hatte, weil ihr dabei schwindelig geworden war und sie einige Pausen machen musste. Aber er wurde riesig, bis in ihn kein einziger Atemzug mehr hineinging. So einen großen Luftballon hatte auch Lines Mutter noch nie gesehen. Vor Staunen war sie ganz blass geworden, als Line ihn umständlich durch die Tür vor sich her ins Wohnzimmer geschoben hatte. Lines Mutter hatte ihn nicht aus den Augen gelassen und gehaucht: „Woher hast du das?“

      Wieso „Das?“, „Den“, dachte Line und jubelte: „Den habe ich gefunden!“

      Und dann schien sich Lines Mutter doch etwas zu freuen, als sie Lines detaillierter Schilderung entnehmen konnte, dass er in einem weißen Puder gelegen hatte, bevor sie ihn zwischen die Lippen genommen und zu dieser enormen Größe aufgeblasen hatte.

      Aber Line konnte nicht verstehen, warum ihre Mutter plötzlich so ernst wurde und ihr verbot, mit dem Luftballon zu spielen und wenn schon das nicht, ihn doch wenigstens behalten zu dürfen, was mit Empörung ausgeschlossen wurde. Lines Mutter hatte es dann mit seiner Vernichtung sehr eilig gehabt. Sie hatte hektisch nach einer Stecknadel im Nähkasten gesucht und ihn vor Lines entsetzten Blicken und durch einen gezielten Piecks in seine dickste Stelle mit lautem Knall zerplatzen lassen und das schrumpelige Elend dann mit spitzen Fingern in die Küche getragen, in der er für immer verschwunden blieb.

      Line hatte wie ein Rohrspatz geschimpft und war wegen der daraufhin tröstenden Worte ihrer Mutter mehr als empört gewesen, hatte sie doch absichtlich für Lines Ärger gesorgt.

      Am nächsten Tag beschwerte sie sich bei Tim über diese Gemeinheit.

      Aber der hatte sich die Hände vor das Gesicht gehalten und gerufen:

      „Mensch, Line, das hast du aufgeblasen, das ist ja eklig!“

      Line sah durch ihn hindurch, als