Kim Scheider

"Brender ermittelt"


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versuchen Sie am besten gar nicht erst, uns an der Nase herumführen zu wollen. Ihr gottgegebener Charme wird Ihnen bei uns nicht viel nutzen. Wir haben hier jeden Tag mit Schauspielern wie Ihnen zu tun, die auf Kommando losheulen oder dem Wahnsinn verfallen können. So etwas zieht hier nicht.“

      Wie auf einen geheimen Wink verließen die drei Kriminalbeamten den Raum und ließen Frey einigermaßen ratlos zurück. Schon halb zur Tür heraus, drehte Grzyek sich noch einmal zu ihm um.

      „Wir werden uns jetzt mit einer Tasse Kaffee den fahlen Geschmack aus dem Mund spülen gehen und Sie sollten die Zeit gut nutzen, sich zu überlegen, was Sie zu unseren Vorwürfen zu sagen haben, Herr Frey. Oder sollte ich besser Herr Lenz sagen...?“

      Die ersten Minuten nachdem man ihn alleine in dem kargen Büro zurück gelassen hatte, saß Frey einfach nur da und versuchte dem Gedankenchaos in seinem Kopf Herr zu werden. Heute Morgen hatte er noch nichts ahnend mit Walter Haferkorn, dem Haupteigentümer der Produktionsfirma und Bernd Breckerfeld, ihrem Steuerberater und Pressesprecher, im Besprechungsraum der Firma gesessen, um die Vorpremiere der dritten Staffel von „Brender ermittelt“ im Kölner Cinedom zu besprechen.

      Kein idealer Termin an einem Ostersonntag und nur mit Leuten zu machen, die keine auf den Osterhasen wartenden Kinder zu Hause hatten. Mitten in die Sitzung hinein waren Herwig und seine Leute marschiert, hatten ihn und sein halbes Büro in Polizeifahrzeuge gepackt und mitgenommen. Und nun saß er – zwar in einem Büro und nicht in einer Zelle, immerhin – und wurde verdächtigt drei Frauen bestialisch ermordet zu haben, um besagter neuen Staffel einen makaberen Werbefeldzug zu verschaffen.

      Das konnte doch alles nicht wahr sein. War hier womöglich eine Kamera versteckt?

      Er ertappte sich dabei, wie er verstohlen nach Hinweisen auf einen versteckten Guido Cantz schielte. Selbst wenn es ein sehr bösen Scherz wäre: Immer noch besser, bei der „Versteckten Kamera“ gelandet zu sein, als des Mordes beschuldigt zu werden!

      Da lief irgendwo ein Irrer durch die Gegend und folterte Frauen vor laufender Kamera zu Tode und -

      und das war das eigentlich Schlimme daran -

      er hatte ja tatsächlich sozusagen die Drehbücher dazu geschrieben. Die drei ihm zur Last gelegten Morde hatten ganz klaren Bezug zu der von ihm geschaffenen Fernsehserie. Soweit musste er den Beamten der Kripo ja noch recht geben. Jede der Frauen war auf eine der Arten ums Leben gekommen, wie die Opfer der ersten Staffel. Die erste Frau war über mehrere Tage hinweg elendig verdurstet, in einem schummrigen Kellerraum angekettet und den rettenden Krug voll Wasser ganz knapp, aber dennoch unerreichbar vor sich stehend.

      Wie in der allerersten Folge „Durst nach Liebe“.

      Dort hatte ein mit Minderwertigkeitskomplexen beladener Dauerversager auf eben diese Weise an verschiedenen Frauen Rache genommen, die seine Liebe einst nicht erwidern wollten. Sie hatten verdursten müssen, so wie er am Durst nach ihrer Liebe verdurstet war. Lars Brender, dem Held der Serie, war es dann gelungen, den Irren ausfindig zu machen und sein letztes Opfer noch rechtzeitig zu befreien.

      Im Gegensatz zur Polizei, die bei „Brender ermittelt“ weniger gut weg kam, was vielleicht auch einen Teil der ganz offensichtlichen Abneigung der Polizeibeamten gegenüber Frey erklärte. Aber selbst wenn er die Rollen der Polizisten etwas dümmlich angelegt hatte und die Fälle zugegebenermaßen recht blutrünstig und brutal waren, so machte einen das doch noch nicht zum Mörder!

      Man konnte ihm vielleicht eine kranke Fantasie vorwerfen, doch das hieße noch längst nicht, dass diese auch seinem Wesen entsprach. Da müsste man ja bald jeden Schriftsteller in Sicherheitsgewahrsam nehmen.

      Aus dem Augenwinkel nahm Frey eine schwache Bewegung wahr und er suchte nach ihrem Ursprung. Augenblicklich drehte sich ihm wieder der Magen um. Müllenbeck hatte vor dem Verlassen des Raumes die Videosequenzen neu gestartet und erneut wurde Frey Zeuge, wie eine Frau das durchleiden musste, was er sich als Geschichte ausgedacht hatte.

      Um zu unterhalten und nicht als Gebrauchsanweisung zum Mord!

      Dort auf dem Monitor wurde gerade eine Frau mit einer Stacheldrahtpeitsche systematisch blutig geschlagen. Frey wusste, wie es weiterging, er selbst hatte es so geschrieben.

      Nachdem er sich an der Frau ausgetobt hatte, wickelte der Mörder ihren nackten geschundenen Körper in Militärstacheldraht ein und lud sie in irgendeinem abgelegenen Waldstück ab, wo sie noch stundenlang oder schlimmstenfalls sogar noch Tage so gelegen hatte, bevor der Tod sie erlöste und man ihre Leiche gefunden hatte.

      Wie in Folge zwei – „Läuterung tut weh“.

      Wütend stoppte Frey das Video und schlug die Hände vor das Gesicht. Darauf, nun noch einmal „Die Hexenverbrennung“ aus dem nächsten Fall nachgestellt zu sehen, konnte er gut verzichten. Zumal dies das junge Mädchen war, dessen Tod ihn schon zuvor so berührt hatte.

      Sie wollten ihm das also anhängen.

      Zusätzlich zu der nach wie vor anhaltenden Übelkeit wurde ihm nun auch noch schwindelig.

      In lebensbedrohlichen Situationen zieht das ganzes Leben wie im Zeitraffer an einem vorüber – so hatte Frey es erzählt bekommen. Anscheinend befand sein Körper die gegenwärtige Situation als lebensbedrohlich. Er begann zu zittern und konnte nicht verhindern, dass Szenen seines bisherigen Lebens in Sekundenschnelle vor seinem inneren Auge vorbeizogen.

      Geboren im Juli 1980 hatte er eine sehr glückliche Kindheit erlebt, mit fürsorglichen Eltern, die ihm Liebe und Geborgenheit im Überfluss schenkten. Er sah vor sich, wie seine Mutter den hübschen und charmanten Knirps mit offenen Armen auffing, ihn lachend herumschwenkte und vor seinen Verehrerinnen „beschützte“, denn er war allgemein beliebt und hatte schon in der Grundschule so manches Herz gebrochen. Was seinem Ansehen jedoch erstaunlicherweise keinen Abbruch tat. Er hatte schon früh gelernt, die Sonnenseiten des Lebens auszukosten.

      Bis zu jenem grauenhaften Tag, an dem seine Eltern umgekommen waren und den er selbst nur knapp überlebt hatte.

      Bis heute saß er des Nachts im Traum wieder als 10jähriger auf der Rückbank des Autos, hörte den Regen auf das Dach prasseln und seine Eltern vorne lachend und scherzend über den Kinofilm reden, den sie gerade noch zusammen gesehen hatten.

      Dann der Wagen, der sie überholte.

      Das laute Wummern der Lautsprecher, das bis zu ihm herüber drang und alle anderen Geräusche übertönte.

      Die Grimassen schneidenden Jugendlichen in dem Fahrzeug.

      Der entgegenkommende Wagen, quietschende Bremsen und kreischendes Metall, während er durch die Luft segelte und beim Aufschlag jeden einzelnen Knochen im Leib brechen hörte.

      Die Flammen.

      Und die Schreie der Eltern, die sich mit dem Wagen um den nächsten Baum gewickelt hatten und in dem Wrack verbrannten, lange bevor Polizei und Rettungsdienste überhaupt eingetroffen waren. Da war der Fahrer des Unfall verursachenden Fahrzeugs aber schon kilometerweit entfernt gewesen.

      Nach monatelangem Krankenhausaufenthalt war Frey als Vollwaise ohne nähere Verwandtschaft durch verschiedene Kinderheime gereicht worden, bis er schließlich zu Pflegeeltern kam, die ihn bei sich aufnahmen. Sie versorgten ihn mit allem was er brauchte und wachten besonders über seine Schullaufbahn, die unter den vorherigen Ereignissen etwas gelitten hatte, so dass er ein Schuljahr wiederholen musste, um weiterhin das Gymnasium besuchen zu können. Das ansonsten kinderlose Ehepaar meinte es sicher gut mit ihm und ihm mangelte auch materiell an nichts, aber wirkliche Geborgenheit und Liebe konnten sie ihm nicht geben, trotz ihrer innigen Gläubigkeit, die vor allem in der Pubertät für größere Differenzen zwischen ihnen gesorgt hatte.

      Immerhin gehörte er wieder irgendwo hin und er hatte Unterstützung in ihnen, als er vor Gericht mit seiner Aussage maßgeblich dafür sorgte, dass der Fahrer des Unfall verursachenden Wagens für ein paar Jahre ins Gefängnis kam.

      Tom Lorenz.

      Niemals würde Frey diesen Namen vergessen. Den Namen des Mannes, der durch sein rücksichtsloses Verhalten im besoffenen Kopf dafür