Kim Scheider

"Brender ermittelt"


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nicht echt genug wirkten? Diese waren ihm aber nun wiederum zu echt. Irgendwann hatte er sich jedoch mit seinem schlechten Gewissen arrangiert und hatte klammheimlich auch das eine oder andere dieser Videos angesehen. So hatte er seinen Kopf frei gemacht für den Blümchensex am Abend mit der geliebten Elli und sich anschließend für seine eigene Doppelmoral gehasst.

      Bis er auf die Foltervideos gestoßen war, die Christoffer nun so in Bedrängnis brachten. Schockiert hatte Haferkorn mit angesehen, wie die Frauen ums Leben gekommen waren und hatte sofort den Bezug zur Serie erkannt. Und das nicht nur, weil der oder die Täter die Filmchen zynischerweise nach den Serienfolgen benannt hatten.

      Doch was damit tun?

      Ignorieren konnte er das nicht, zur Polizei gehen aber genauso wenig, ohne dass sein schmutziges Geheimnis aufgeflogen wäre.

      Dann kam ihm die rettende Idee. Er würde der Presse einen Hinweis geben und die würde sich dann schon an die Polizei wenden. So wäre er aus dem Schneider und könnte dennoch sicher sein, dass die Sache verfolgt wird.

      So hatte er sich das zumindest vorgestellt.

      Und es hätte sicherlich auch funktioniert, wenn er den Kopf noch ein wenig länger eingeschaltet gelassen hätte, bevor er handelte.

      Doch sein Kopf war schon in der Nähe von Hamburg, wo Elli bereits in ihrem kleinen Ferienhaus am See darauf wartete, dass sie endlich, mit einem Jahr Verspätung, ihre Silberhochzeit nachfeiern würden.

      Gefühlt alle fünf Minuten schepperte sein Telefon und Elli fragte nach, ob er schon unterwegs sei und wann er denn nun endlich kommen würde, er wisse doch, dass auch Freunde da wären und überhaupt habe sie die Nase voll davon, stets hinter seinen Firmenterminen zurück stehen zu müssen.

      So genervt Haferkorn dadurch auch war, musste er ihr doch recht geben. Sie hatte schon unendlich viel Verständnis gezeigt für seine meist spontanen und ach so wichtigen Termine. Aber nachdem er letztes Jahr die Silberhochzeitsfeier hatte platzen lassen, weil er meinte, unbedingt an diesem Tag mit den Dreharbeiten für die neue Brender-Staffel beginnen zu müssen, war es ihr dann doch zu viel geworden und er hatte eine ganze Weile Dackelaugen zur Schau tragen müssen, um sie zu besänftigen. Demzufolge hatte er zugesehen, dass er sie diesmal nicht wieder enttäuschte und endlich los kam.

      Doch als wäre eine stressende Ehefrau nicht schon genug gewesen, hatte Christoffer auch noch ein paar Termine telefonisch mit ihm abklären wollen, wofür er Freys Kalender brauchte. Also musste er noch einmal in dessen Büro und dass, wo er doch fast schon auf dem Weg zum Parkplatz gewesen war. Missmutig hatte er zugesehen, wie der PC langsam, nein, elendslangsam hochgefahren war. Denn zu allem Überfluss besaß Frey keinen ordinären Terminkalender, wie er auf Haferkorns Schreibtisch zu finden war, sondern selbstverständlich einen Organizer im Computer.

      „Was machst du eigentlich, wenn dein Computer mal abstürzt?“, hatte er seinen Freund gefragt, der am anderen Ende der Leitung hing und Haferkorns neuerliches Gefluche über die Lahmarschigkeit des PCs geduldig über sich ergehen ließ.

      „Vielleicht sollten wir einfach mal ordentlich aufrüsten, wenn wir mit der neuen Brender-Staffel durch sind“, lachte er. „Dann sind auch meine Termine vorerst sicher.“

      Schnell hatten sie die Termine abgeglichen, zwischendurch mit zwei Hörern gleichzeitig am Ohr, weil Kitty, die gute Seele des Hauses, ihm auch noch das Gerät aus dem Empfangszimmer herein brachte und an dem – welche Überraschung – Elli noch mal ordentlich Dampf machte.

      Glasklar erinnerte Haferkorn sich an jede noch so banale Situation dieses Tages vor nicht ganz einer Woche, nur nicht daran, was ihn geritten hatte, besagte Mail an Özkilic noch schnell von dort aus zu schicken, wo er sich gerade befand.

      Von Freys Computer!

      Was hatte er da nur angerichtet?

      Es war Herwig, der Frey und Haferkorn aus ihren trüben Gedanken riss.

      „Wir sind gleich da. Den Kollegen vor Ort zu Folge, werden wir es mit ziemlich ekligem Getier zu tun bekommen. Wir sind also in der zweiten Staffel angekommen.“

      Frey nickte nur bestätigend und sah wieder aus dem Fenster. Haferkorn holte tief Luft, als wolle er etwas sagen, schwieg dann aber doch. Vielleicht hatte sich ihm auch nur der Magen umgedreht. Nicht nur Frey fragte sich, welche Rolle Haferkorn wohl spielte. Er hatte zugegeben, Özkilic angeschrieben zu haben. Mit den Morden habe er, selbstverständlich, nichts zu tun. Die ganze Geschichte wurde immer verwickelter.

      „Worum geht es in diesem vierten Fall?“, fragte Müllenbeck von hinten. Er war der Einzige von ihnen, der es tatsächlich geschafft hatte, noch keine einzige Folge von „Brender ermittelt“ gesehen zu haben, was Herwig ihm ein bisschen neidete.

      „Sie müssen entschuldigen“, sagte Müllenbeck an Frey gewandt. „Ich muss gestehen, dass mir Ihre Serie bislang völlig unbekannt war.“ Frey zog eine eigenartige Grimasse. Vermutlich sollte es ein verständnisvolles Lächeln sein, sah jedoch ziemlich verrutscht aus. Da Herwig Müllenbeck offenbar keine Antwort auf seine Frage geben wollte, erläuterte der Schauspieler ihm den Inhalt von „Die Rache der Unschuldigen“.

      „Die Folge handelt von einem religiösen Fanatiker. Er rächt sich an Menschen, die nicht achtsam mit empfindungsfähigen Wesen umgehen. Seine Opfer sind sowohl Manager großer Ölkonzerne, als auch Forscher der Pharmaindustrie oder einfach wildfremde Leute, die, ohne es zu merken, in seinem Beisein eine Ameise zertreten haben.“

      Bereits an dieser Stelle brach Frey das erste Mal die Stimme, wie Herwig mit grimmiger Zufriedenheit zur Kenntnis nahm. Er dachte gar nicht daran, Frey diese Aufgabe abzunehmen. Er hatte sich den Mist ausgedacht, dann sollte er auch damit klarkommen.

      „Er hat … er hat ein großes Wasserbecken aus Glas, eine Art Aquarium oder besser Terrarium“, fuhr Frey zu Herwigs Überraschung zögerlich fort. Aber je länger er sprach, desto schwächer wurde seine Stimme, bis er nur noch schlucken und krächzen konnte. „Er legt die von ihm zum Tode Verurteilten gefesselt da rein und … Und gibt Unmengen an Maden, Würmern, Käfern und anderem Viehzeug mit in das Becken, verschließt es und beobachtet dann … Naja, den Rest können Sie sich wohl...!“ Ein kräftiges Schlucken beendete die Erzählung.

      Herwig sah in den Rückspiegel und konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. Gleich drei blasse Gesichter leuchteten ihn da an.

      „Ich glaub', so genau will ich es dann auch gar nicht wissen,“ kam es von Müllenbeck. So sehr er sich auch bemühte, seine Stimme männlich und fest klingen zu lassen, es gelang ihm nicht wirklich.

      Ben war noch nicht lange fester Bestandteil seiner Truppe. Er war mit gerade mal 29 Jahren der Jüngste in seinem Team und hatte noch nicht viel Erfahrung an der „Front“, wie Herwig ihren Arbeitsbereich zu nennen pflegte. Müllenbeck hatte, wie jeder von ihnen, nach der Ausbildung zum Kriminalbeamten erst mal eine Zeit lang bei der Schutzpolizei seinen Dienst verrichtet und sich dann auf Cyberkriminalität spezialisiert. Demzufolge hatte er fortan hauptsächlich in Büros und an PCs gesessen, was ihn im Vergleich zu seinen Anfängen bei der Polizei ein wenig behäbig hatte werden lassen. Herwig und Grzyek versuchten dem unauffällig entgegenzuwirken, indem sie ihn alle „Laufburschentätigkeiten“ verrichten ließen und ihn so ein wenig auf Trab hielten.

      Außer Rina und Ben gehörte noch Joachim „Jojo“ Karstens zu seinen Leuten, doch der Glückliche befand sich auf Hochzeitsreise und ahnte noch gar nicht, dass seine Kollegen gerade die Tage und Nächte durcharbeiteten, während er sich die Sonne auf den Bauch scheinen ließ.

      Als Grzyek nach links abbog, konnten sie gleich sehen, dass sie ihr Ziel erreicht hatten. Wie Leuchtreklame wiesen die zahlreichen Blaulichter den Weg, auch wenn ihnen die Sicht von einer ganzen Schar Schaulustiger versperrt war.

      Und natürlich von der Presse.

      Verschiedene Kamerateams hatten bereits ihre Gerätschaften aufgebaut und lauerten auf die erste offizielle Stellungnahme der Polizei. Die Wartezeit vertrieb man sich mit Interviews mehr oder weniger fragwürdiger Art und Live-Schaltungen zu sogenannten Experten. Denn, dass die aktuellen Morde, die der Polizeibericht verzeichnete