Nina Lührs

Nela Vanadis


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ärgerte sie sich auch, weil sie die Chance verstreichen ließ, Tristan, Jarick und die anderen besser kennen zu lernen. Doch ihre Probleme beschäftigten sie so sehr, dass ihr nicht zum Plaudern zumute war. Wenn sie eine kurze Rast einlegten, beschränkten sich die Gespräche nur auf das Nötigste. Meistens sprachen die Männer über die weitere Route.

      Das Glück war auf ihrer Seite, da die Regenwolken über sie hinwegzogen. Erleichtert atmete Nela durch, als sie die Sonnenstrahlen auf ihrem Gesicht spürte. „Die Sonne scheint“, hielt Nela ihr Gesicht den warmen Strahlen entgegen.

      „Es ist schön, Euch lächeln zu sehen“, begann Runa plaudernd ein Gespräch.

      „In meinem Herzen befindet sich unendliche Trauer“, erwiderte Nela schwermütig.

      „Das wird vergehen. Ihr müsst stets daran denken, dass Eure Familie bei Euch ist. Auch nach dem Tod bleiben die Ahnen beschützend an der Seite ihrer Sippe. Sie werden zu unseren Fylgjen, zu unseren Schutzgeistern. Seit Eurer Geburt begleitet Euch bereits eine Fylgja, die Euch möglicherweise schon einmal in einem Traum begegnete. Meistens zeigen sie sich in der Tiergestalt, die die Seele des Schützlings widerspiegelt. Erst wenn wir sterben, offenbaren sie uns ihre wahre Identität und begleiten uns ins Totenreich.“ Interessiert hörte Nela der Elfe zu.

      „Haben Sie Ihre Fylgja im Traum gesehen? Welchem Tier gleicht sie?“

      „Eine Luchsin“, antwortete Runa stolz.

      „Zweifellos haben Sie Augen und Ohren wie ein Luchs, aber Sie wollen doch gewiss niemanden etwas abluchsen, oder?“, witzelte Nela, und Runa schenkte ihr einen amüsierten Blick. In ihren Erinnerungen suchend, dachte Nela über ihre Fylgja nach. Ein weißer Schwan.

      „Die Sippe ist ein mächtiger Verbund. Zu ihm gehören die Lebenden wie die Toten. Stets kehren wir in den Schoß unserer Familie zurück, denn dort ist unser vorgesehener Platz“, fügte Runa gefühlvoll hinzu.

      „Meine Sippe ist tot“, flüsterte Nela bedrückt.

      „Nein. Erst, wenn es keine Nachfahren mehr gibt, stirbt eine Sippe gänzlich“, widersprach Runa energisch, unverzüglich driftete Nela mit ihren Gedanken zurück zu ihrem Kummer.

      „Tristan, wo ist Euer Schwert?“, fragte Jarick nach einer Weile des Schweigens.

      „Ich habe keins.“ Dankbar für die Ablenkung, die ihr diese Unterhaltung bot und sie aus ihren Sorgen herauszog, schaute Nela zwischen den beiden Männern hin und her, die unmittelbar vor ihr ritten. Jarick setzte an, um nachzuhaken, aber Tristan kam ihm zuvor und gab ihm ohne Aufforderung die Antwort. „Ich gehöre zu dem Orden Elhaz und bin ein Walkür, aber ich bin kein Wächter, deshalb besitze ich keins. Allerdings habe ich mir das Kämpfen selbst angeeignet, indem ich in unserer Welt Schulen besuchte, in denen es unterrichtet wird.“

      Verstehend nickte Jarick. „Trotzdem solltet Ihr ein Schwert besitzen. Zu einem Wächter gehört auch ein Schwert!“

      „Aber…“, wollte Tristan protestieren.

      „Nein“, unterbrach Jarick ihn konsequent, „ich habe schon sehr viele Walkür kennen gelernt, Tristan. Einige waren für die Aufgabe des Wächters geeignet und andere nicht. Ihr seid als Wächter geboren. Ihr habt es in Eurem Blut. Der Orden in Midgard mag es Euch nicht zugestehen, aber das Schicksal tut es.“

      „Wer hat sich solch eine dumme Regel ausgedacht, dass Ihr kein Schwert habt? Ihr seid ein Walkür!“, mischte Bado sich verständnislos ein.

      „Damit nimmt man Euch die Möglichkeit, ein Alvare zu werden. Kaum ein Meister würde Euch wählen“, wusste Runa.

      „Es sei denn, es ist vom Schicksal bestimmt“, fügte Till noch hinzu.

      „Was ist das? Alvare?“ Nela konnte sich die Nachfrage nicht verkneifen.

      „Die Alvaren sind Gesetzeshüter und sorgen für Recht und Ordnung in unserer Welt. Eine Einheit besteht meistens aus einem Meister, einer Walküre und einem Wächter, die die Blutsbrüderschaft Threnning eingegangen sind. Für die Alvaren gibt es einen eigenen Codex“, antwortete Tristan.

      „Wer ist der Meister?“

      „Meister sind…“, begann Jarick, hielt aber inne, als er das markerschütternde Heulen eines Wolfes hörte. Hektisch schaute Nela sich um, doch sie konnte nirgends das Tier ausmachen. Unweigerlich sah sie die Zähne fletschenden Wölfe vor sich. Alarmiert schauten sich die anderen um.

      „Wir sollten weiterreiten“, drängte Bado ernst, bevor er sein Pferd antrieb. Die anderen folgten ihm galoppierend.

      Langsam versank die Sonne am Horizont und färbte den Himmel in unterschiedliche Rottöne. Wehmütig betrachtete Nela diesen wunderschönen, schon fast magischen Moment der Dämmerung. Noch bevor es dunkel wurde, schlugen sie ihr Lager für die Nacht auf. Mühselig stieg Nela von ihrem Pferd, weil ihre Beine vom Muskelkater und den wundgescheuerten Innenseiten ihrer Oberschenkel schmerzten.

      Jarick verteilte die Aufgaben. „Nela, Ihr sucht Brennholz in der Nähe.“ Ohne Widerworte machte sie sich auf den Weg. Allerdings taten ihr die Beine bei jedem Schritt weh, deshalb presste sie die Zähne zusammen, damit ihr kein Wehlaut versehentlich entfuhr. Vorsichtig bückte sie sich, um die kleinen Äste aufzusammeln, die auf dem Boden verstreut herumlagen.

      Mit einem Arm voll Brennholz stand sie vor dem Nachtlager und schaute den anderen beim Zeltaufbau zu. Till und Tristan spannten eine Plane von einem zum anderen Baum. Mit einem langen Stab hob Runa mittig die Plane an, danach breitete sie eine Decke auf den Boden aus, währenddessen Bado die Pferde versorgte. Jarick hingegen kümmerte sich ums Lagerfeuer. Beeindruckt schaute Nela ihm dabei zu, wie er die kleinen Zweige zum Brennen brachte. Ermattet ließ sie das gesammelte Brennholz neben der Feuerstelle fallen.

      Anerkennend schenkte Jarick ihr ein Lächeln und sprang aus der Hocke auf. „Till, lass uns gehen und nachsehen, was oder wer sich hier in der Nähe herumtreibt.“ Die beiden ehemaligen Gardisten verließen das Nachtlager in unterschiedlichen Richtungen.

      Vorsichtig, sich möglichst selbst keine Schmerzen verursachend, setzte Nela sich ans Feuer. Runa reichte ihr Brot und Obst. Hungrig biss Nela in das Stück Brot, als auch der Berserker und der Walkür sich zu ihnen ans Feuer gesellten, um ihren Hunger zu stillen. Kaum miteinander redend, saßen sie vor dem flackernden Feuer. Alle waren von den Strapazen des Tages müde, daher wollten sie sich nur noch zur Ruhe begeben. Zuerst verabschiedete Runa sich und machte es sich unter dem großen Segelzelt gemütlich. Nur kurz darauf folgten ihr Bado und Tristan.

      Zwar war Nela auch sehr müde, aber sie ließ ihren Körper und ihre traurige Seele noch weiter vom Feuer wärmen. Diese Wärme tat ihr so unheimlich gut. Außerdem gab es noch einen Grund: Die Innenseiten ihrer Oberschenkel schmerzten höllisch. Sie wähnte sich alleine, als sie vorsichtig den Rock hochhob, um die wunden Stellen zu untersuchen. Leider hatte sie keine Salbe. Warum hatte sie ihre Hose nicht unter den Rock gezogen? Missgestimmt nahm sie die Feldflasche, anschließend goss sie etwas Wasser auf ein Tuch. Den nasskühlen Lappen legte sie vorsichtig auf eine ihrer wundgescheuerten Stellen.

      „Die Salbe wird Euch helfen“, ertönte plötzlich Jaricks Stimme neben ihr. Erschrocken fuhr sie zusammen und ließ den Lappen fallen. Fürsorglich hockte er sich neben sie und bot ihr die kleine Schatulle an, in der sich der beruhigende Balsam befand. Schnell bedeckte Nela ihre Beine.

      Zögernd griff sie danach. „Danke.“ Jarick erhob sich, um sich ihr gegenüber auf die andere Seite des Feuers zu setzen. Fasziniert betrachtete Nela, wie die Flammen ihn in einen magischen Schein hüllten. Sein Blick hingegen war in die Dunkelheit gerichtet, dennoch wartete Nela mit dem Verarzten ihrer Beine und stellte die Schatulle neben sich auf den Boden.

      „Worauf wartet Ihr?“, wollte Jarick wissen.

      „Ich…“, stotterte Nela verlegen und starrte in die Flammen. Wie sollte sie das nur ausdrücken?

      Plötzlich stand er vor ihr. „Soll ich Euch helfen?“, bot er ihr allen Ernstes an.

      „Nein“, entfuhr es ihr hastig.

      Wieder