Karl-Heinz Biermann

Im Zeichen des Rosenmonds


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      Zwei Stunden später ließ er anhalten und sie vertraten sich für eine halbe Stunde die Beine. Yusuf merkte, wie ihm die frische Luft guttat, aber nachdem sie wieder unterwegs waren, überfiel ihn umso mehr die Müdigkeit. Mit einem Blick auf Blohm schaltete er die Klimaanlage zwei Grad runter, um sich wach zu halten, aber der tat so, als sei ihm dies egal.

      Ob er im Hotel geschlafen hatte? Vielleicht hatte er sich doch ein Zimmer gegönnt. Yusuf schielte hinüber. Einen ausgeruhten Eindruck machte er ihm allerdings nicht. Blohm döste vor sich hin und ab und zu schloss er die Augen. Die Rückenlehne war auch jetzt noch immer aufrecht eingestellt und sein Kopf fiel irgendwann gegen das Seitenfenster.

      Am späten Nachmittag verspürte Yusuf Hunger und er stellte sich vor, wie er und Blohm zu Abend speisten. Budapest war jetzt nicht mehr weit und er war gespannt darauf, ob Blohm einen Schnellimbiss an der Autobahn anfahren wollte oder ob er ein Restaurant vorziehen würde. Die Vorstellung von einem guten Essen vergnügte ihn und hielt ihn weiterhin wach. Er freute sich darauf, bald endlich eine Pause machen zu können.

      Es war achtzehn Uhr, als er auf die Armaturen schaute, und sie hatten Budapest fast umrundet, aber Blohm döste immer noch vor sich hin.

      Yusuf räusperte sich. „Soll ich den nächsten Rastplatz anfahren, einen mit Hotel?“

      Blohm schreckte hoch. „Was? Nein, egal, sehen Sie nur zu, dass wir tanken und eine Kleinigkeit essen können.“

      Yusufs Hoffnung auf ein gutes Abendessen schwand dahin.

      „Und wie ist es mit Übernachten? Ich bin jetzt sechs Stunden gefahren.“

      „Wir halten eine Stunde. Danach fahren wir gleich weiter bis Arad. Das sind noch ungefähr vier bis fünf Stunden. Dann sind wir auch schon in Rumänien. Dort schlafen Sie sich bis zum Morgen richtig aus.“

      Was aufmunternd klingen sollte, empfand Yusuf als Zumutung. Als sie sich kurze Zeit später auf einem Autobahnrasthof gegenübersaßen, sprachen sie nicht viel miteinander. Er aß wieder Spiegelei mit Brot und trank eine Flasche Wasser in kurzer Zeit leer. Warum wollte Blohm noch in der Nacht die rumänische Grenze passieren? Und warum ließ er ihn die vielen Stunden durchfahren, abgesehen von dieser kurzen Pause? Er wollte ihn nach dem Grund fragen, ließ aber davon ab. Vielleicht wird nachts an der Grenze weniger streng kontrolliert? Dann müsste Rumänien tatsächlich vom Schengener Abkommen ausgenommen sein. Er sah nachdenklich auf Blohm, der seinen letzten Bissen des schnellen Abendessens nahm.

      *

      Sie verließen die Autobahn E 75, bogen bei der Stadt Szeged auf die Straße nach Arad ab und fuhren dem Ort Nagylac entgegen. Yusuf wusste, dass sie dort auf den Grenzübergang zwischen Ungarn und Rumänien treffen würden. Er sah hinüber zu seinem Fahrgast. Der schlief jetzt nicht mehr und döste auch nicht, saß ruhig in seinem Sitz und schien entspannt.

      Nicht so er selbst. Ihn befielen unruhige Gedanken, er chauffierte immerhin jemanden, der ihm undurchsichtig genug vorkam. Es gefiel ihm nicht. Wie schnell hatte er zugesagt, ohne große Überlegung. Leicht verdientes Geld? Gefährlich konnte es werden, verdammt gefährlich. Und verrückt kam es ihm vor, als er sich zum ersten Mal bewusst vorstellte, wie er auf dem Rückweg die Diamanten durch unbekanntes Gelände schmuggeln sollte. Einfach nicht mehr mitmachen und umkehren? Wie würde Blohm reagieren, wenn er nicht mehr weiterführe? Nochmals warf er einen unauffälligen Blick auf ihn. Von wegen Geschäftsmann. Einen Kriminellen, der ihn nicht schlafen ließ, fuhr er durch die Gegend. Ein abgebrühter Kerl saß da, den die bevorstehende Grenzüberfahrt nicht zu bekümmern schien. Jetzt einfach aufhören und umkehren! Yusuf dachte wieder an die Summe von fünfzigtausend Euro und er dachte an seine Frau.

      Kurz vor dem Grenzübergang wurde er ruhiger, seine düsteren Gedanken verflogen und er konzentrierte sich darauf, die Grenze zu passieren.

      Noch auf ungarischem Boden fuhren sie ohne anhalten zu müssen an geschlossenen Schaltern vorbei. Auf der rumänischen Seite lag die Grenzstation in grellem Licht. An allen Durchlässen standen Beamte, stoppten jedes Auto und schauten ins Innere der Fahrzeuge. Yusuf sah ihre Taschenlampen aufblitzen. Ein Beamter winkte sie als nächste heran, langsam ließ Yusuf den Wagen rollen und stoppte ihn genau bei dem Grenzpolizisten. Er öffnete das Seitenfenster und reichte seinen Pass hinaus. Blohm tat es ihm nach, indem er sich über ihn hinweg zum Fenster beugte. Yusuf spürte seinen eigenen Arm zittern und auch seinen Atem, ganz leicht; bei Blohm bemerkte er nicht die Spur einer Regung, nur dessen Gesicht sah im Licht der Taschenlampe fratzenhaft aus, als ihr Schein ins Auto fiel. Dann verlangte der Beamte nach den Fahrzeugpapieren. Yusuf war erstaunt, denn der Beamte sagte es auf Deutsch. Ein zweiter Grenzpolizist kam hinzu und sie hielten die Papiere ins Licht. Blohm sah mit starrem Blick geradeaus durch die Frontscheibe. Es schien so, als sähe er durch den Beamten hindurch, der gerade das Nummernschild vorne am Auto überprüfte.

      Der Grenzbeamte gab seinem Kollegen einen Wink und der gab die Papiere zurück. Auf Deutsch wünschte er gute Fahrt. Langsam fuhr Yusuf das Taxi durch die Station.

      „Zeigten Sie vorhin Ihren richtigen oder Ihren falschen Pass?“, fragte er, als er kurz darauf wieder Fahrt aufgenommen hatte.

      Blohm erwiderte nichts.

      Um Mitternacht erreichten sie die Stadt Arad. Blohm, der vorher in seinen Papieren geblättert hatte, offensichtlich um nach einer Übernachtungsmöglichkeit zu suchen, wies ihn an, die Autobahn zu verlassen, und nannte ihm den Namen eines Hotels, das er wohl in seinen Unterlagen gefunden hatte. Wenig später fiel Yusuf vor Übermüdung ins Bett. Blohm hatte für sie zwei Zimmer gebucht.

      *

      Yusuf sah in den Außenspiegel. In der weiten Ebene fiel Arad immer weiter zurück. Vor ihnen türmten sich die bewaldeten Hänge der Südkarpaten auf. Blohm hatte ihm beim Frühstück Ruse als Ziel genannt, die Stadt gleich hinter der bulgarischen Grenze, und eine weitere Übernachtung in Aussicht gestellt. Das behagte ihm, denn nachts zu fahren war keine angenehme Angelegenheit auf den osteuropäischen Straßen; oft waren es die Fernfahrer, die mit ihren Lkws rücksichtslose und riskante Manöver fuhren.

      Er fühlte sich ausgeschlafen und bekam eine spürbar bessere Laune, wozu die Aussicht beitrug, nach acht Stunden Fahrt wieder anständig übernachten zu können. Er streifte noch einmal seine trüben Gedanken der letzten Nacht, bevor er sie beiseite wischte. Die Bilder Istanbuls, fern und verschwommen, führte er lieber herbei, und sie wurden ihm immer deutlicher, und über diesen Bildern, am Ende dieser Reise, sah er die Summe von fünfzigtausend Euro.

      Auch Blohm schien guter Dinge, er drückte die Knöpfe am Radio, das ihn bisher nicht interessiert hatte. Er blieb bei einem Sender mit orientalischer Musik hängen, und Yusuf wunderte sich, dass diese ihm wohl gefiel, denn er sah, wie Blohm mit den Fingern auf seinem Oberschenkel den für an westliche Klänge gewohnte Ohren ungewöhnlichen Takt schlug.

      Yusuf wollte wieder über Blohm nachdenken, doch er führte sich stattdessen einmal mehr die gewaltige Summe von fünfzigtausend Euro vor Augen, die er bekommen würde und was dies für ihn bedeutete. Ein eigenes Taxi wäre, als er es genauer betrachtete, nicht unbedingt sein größter Wunsch. Er war schon so lange im Geschäft und er konnte sich keine Klarheit verschaffen, ob er wirklich noch mal neu anfangen wollte, selbst wenn er dann einen eigenen Betrieb besitzen würde.

      Er dachte darüber nach, was er mit fünfzigtausend Euro anstellen konnte, wenn er zurück in die Türkei ginge. Immerhin, mit der Rente aus Deutschland später und dem Geld von Blohm käme er in der Türkei gut zurecht. Ein kleines Haus auf dem Land, vielleicht als Hobby ein wenig Viehzucht, obwohl er keine Kenntnisse darüber besaß. Auf jeden Fall ließe es sich gut leben, ohne arbeiten zu müssen.

      Bisher hatte er keine Vorstellung davon gehabt, wie das Leben als Rentner sein würde, ob in Deutschland oder in der alten Heimat. Er fühlte sich mehr als Deutscher, tief im Herzen aber war er ein Türke, und er wusste, dass er immer ein Türke bleiben würde. Und von seiner Frau dachte er es genauso. Sie hatten noch nie darüber gesprochen, er und seine Frau, ob sie jemals wieder in die Türkei zurückgehen wollten. Die Vorstellung davon gefiel ihm plötzlich, vielleicht, weil er nach so langer Zeit wieder auf dem Weg dorthin war? Ihn überkam wieder die Vorfreude, bald in der Türkei