Karl-Heinz Biermann

Im Zeichen des Rosenmonds


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ich hab kein gutes Gefühl dabei.“ Unwillig setzte er den Wagen in Bewegung. „Ich lag mit meiner Vermutung also doch richtig, dass etwas mit dem Auto nicht stimmt“, sagte er und es sollte triumphierend klingen, aber es wirkte eher trotzig, wie bei einem Kind. Er wartete, wie Blohm reagierte, aber der blätterte in einer Mappe mit Papieren. „Das Gewicht des Bleies.“ Mit einem kurzen Auflachen untermauerte Yusuf seine Erkenntnis. „Das Blei ist es, was den Wagen schwerer macht.“

      „Durch Ihr unsinniges Verhalten ist jetzt ein Teil meines Planes zunichte, das ist es, was alles erschwert“, sagte Blohm, während er auf seine Papiere schaute.

      Yusuf erwartete, dass er wieder Vorwürfe zu hören bekäme.

      „Ich kann nicht mit Ihnen zusammen im Taxi in die Türkei einreisen, ich erklärte es Ihnen bereits“, fuhr Blohm fort.

      „Warum sind Sie nicht im Bus geblieben? Sie brauchten doch nicht zurückzukommen, nur um mich zu überwachen.“

      „Werden Sie nicht auch noch frech.“

      „Es ist aber so“, wehrte sich Yusuf, „wären Sie im Bus geblieben, wären wir schon längst in der Türkei, ich hätte Sie bald eingeholt.“

      Blohm blätterte wieder in seinen Unterlagen. „Der nächste Bus nach Istanbul geht erst morgen“, sagte er. So ungehalten, wie Blohm es auch sprach, für Yusuf schien es gespielt.

      „Jetzt weiß ich, warum Sie mit dem Bus einreisen wollten. Ich allein würde in den Knast wandern, sollte an der Grenze die Ladung entdeckt werden.“

      „Ich musste Sie allein einreisen lassen, Sie fallen als Türke mit dem Taxi an der Grenze nicht so auf. Aber ich habe keine Lust mehr, Ihnen das immer wieder und wieder zu erklären.“ Unwirsch klappte Blohm die Mappe zu.

      Yusufs Gedanken wechselten zur bevorstehenden Grenzüberfahrt. Was wäre, wenn sie tatsächlich auffielen? Vielleicht hatte Blohm guten Grund für seine Behauptung, sich nicht mit ihm zusammen an der Grenze sehen lassen zu dürfen. Das würde sie teuer zu stehen kommen, wenn man sie mit dem Atomkram erwischte. Die türkische Justiz und ihre Gefängnisse waren nicht umsonst berüchtigt.

      Er rang mit seinen Gedanken. Natürlich musste Blohm aus dem Taxi verschwinden. Oder er versagte ihm den Dienst, und zwar sofort, wie er es vor zwei Tagen schon einmal überlegt hatte. Er suchte nach anderen Möglichkeiten.

      „Wenn Sie in einem Lastwagen unterschlüpfen, kommen Sie unbemerkt in die Türkei.“ Yusuf wartete darauf, wie Blohm seinen Vorschlag aufnehmen würde. Der schaute mit fragendem Blick auf.

      „Sozusagen als Anhalter“, bekräftigte Yusuf seine Überlegung.

      „Sie meinen, ich soll mich in einem dieser Lastwagen verkriechen?“ Blohm zeigte nach vorne durch die Scheibe auf einen Lkw, den sie gerade überholten wie einige schon vorher. „Da kann ich ebenso entdeckt werden.“

      „Das Risiko müssen Sie eingehen, genau wie ich, oder glauben Sie, ich fahre nachher mit Vergnügen über die Grenze, jetzt da ich weiß, worauf ich sitze.“

      Blohm sah ihn kopfschüttelnd an. „Absurde Idee“, erwiderte er und tat dann so, als schaute er gelangweilt aus dem Seitenfenster zum rechten Straßenrand hinaus. „Wir müssten erst mal einen Fahrer finden, der das mitmacht.“

      „Bezahlen Sie ihn großzügig, an Geld mangelt es Ihnen doch nicht.“

      Blohm schien den Unterton überhört zu haben. „So wie ich das hier auf der Karte gesehen habe, gibt’s vor der Grenze keinen größeren Rastplatz mehr, jedenfalls ist da offiziell keiner verzeichnet.“

      „Wir halten einen türkischen Lkw an, ich mach das schon, ich werde einen Fahrer überreden. Sagen Sie mir nur, wie viel Ihnen das wert ist.“ Yusuf hoffte auf Blohms Zustimmung. Innerlich triumphierte er schon.

      „Sehen Sie, wie gut es war, Sie zu engagieren? Jetzt machen Sie sich so langsam bezahlt“, sagte Blohm.

      „Genau, und ich koste jetzt zehntausend mehr!“

      *

      Blohms wütende Reaktion hatte Yusuf nicht anders erwartet, nachdem er mehr Geld gefordert hatte. Aber er glaubte, ihn in der Hand zu haben. Er drohte ihm noch mal, nicht mehr weiterzufahren, wenn er nicht zehntau­send Euro zusätzlich bekäme. Blohm beschimpfte ihn, dass durch seine Schuld der Zeitplan durcheinander gekommen sei. Yusuf erwiderte, ob das überhaupt eine Rolle spiele, wenn sie zwei oder drei Stunden später in Istanbul eintreffen würden. Immerhin habe er ihn ja ohne große Pausen bis in die Nacht hinein fahren lassen, da müssten sie doch genug Vorsprung haben. Blohm bekam wieder einen Wutausbruch, lenkte aber schließlich ein und erhöhte die Summe auf sechzigtausend Euro.

      Yusuf sah immer wieder zum Straßenrand nach parkenden Lastwagen. Nach Schildern, die auf einen größeren Rastplatz hinwiesen, hielt er vergeblich Ausschau. Anscheinend gab es keinen mehr bis zur Grenze, genau wie Blohm es gesagt hatte.

      „Wofür wird eigentlich das Atomzeug in der Türkei gebraucht?“, wollte er wissen.

      „Das weiß ich nicht, ich bin nur der Überbringer“, stieß Blohm mürrisch hervor.

      Yusuf hatte das Gefühl, dass Blohm über seine Forderung nach mehr Geld noch nicht hinweg war.

      „Vielleicht für Waffen? Oder Atomforschung? Auf jeden Fall für eine illegale Sache, vielleicht sogar für den Iran“, legte er nach.

      „Ich weiß es nicht. Ich müsste genauso spekulieren wie Sie“, beharrte Blohm.

      „Es wird weiter in den Iran geschafft, die experimentieren doch dort an so einem verbotenen Atomprojekt.“

      „Was Sie nicht sagen.“ Blohm zeigte aus dem Fenster. „Beobachten Sie lieber die Straße nach einem geeigneten Lastwagen für mich.“

      „Noch heute Abend suchen wir diesen Händler in Istanbul auf, egal wie spät wir ankommen“, sagte er nach einer Weile. „Er wird das Taxi entgegennehmen. Ich kümmere mich um die Rohre, die Verkaufsverhandlungen für den Wagen überlasse ich Ihnen. Da halte ich mich raus. Mal sehen, was Sie draufhaben.“

      „Da bin ich aber gespannt, was wirklich in den Rohren ist“, erwiderte Yusuf.

      „Das lassen wir mal, da sind Sie nicht dabei. Sie könnten doch verstrahlt werden.“ Blohm lachte kurz auf, es klang spöttisch. „Wenn wir das erledigt haben“, fuhr er fort, „kümmern Sie sich gleich morgen um unseren dritten Mann.“

      „Sie wissen, dass ich in Istanbul niemanden kenne.“

      „Früher sind Sie doch immer nach Izmir gefahren, rufen Sie dort jemanden an, dem wir vertrauen können.“

      „Wie ich schon sagte, mein Cousin ist ein einfacher Bauer, der kann von seinem Land nicht weg.“

      Sein Jugendfreund fiel ihm ein, sein Freund aus Kindertagen, den er schon vor Ewigkeiten aus den Augen verloren hatte. Als Jungen hatten sie in den Ferien, die er oft bei seinem Onkel in einem kleinen Dorf bei Izmir verbrachte, zusammen gespielt.

      Tief aus seinem Innersten tauchten die Erinnerungen auf. Wie schön es damals gewesen war, und dieses Mädchen später. Und wie er sich jedes Jahr aufs Neue auf die Ferien gefreut hatte, um das Mädchen wiederzusehen, immer mehr, je älter er wurde. Gülay hieß sie. Gülay … In Gedanken sprach er den Namen und er sprach ihn langsam, als wollte er ihn sich auf der Zunge zergehen lassen. Er hatte lange nicht mehr an sie gedacht, an ihre gemeinsame Freundin in diesem kleinen Dorf. Sein Freund und er waren damals gleichermaßen in Gülay verliebt. Wenn man überhaupt von Liebe sprechen konnte, sagte er sich in seinen schwärmerischen Gedanken, sie waren doch noch Kinder damals. Wenigstens so lange, bis sein Freund und Gülay eines Tages heirateten.

      „Ich wüsste jemanden, auch in der Nähe von Izmir.“

      Blohm horchte auf.

      „Ich hab aber nichts über ihn, keine Telefonnummer, nichts mehr. Ich weiß gar nicht, wo ich ihn erreichen kann, vielleicht lebt er inzwischen ganz woanders.“

      „Wie