Karl-Heinz Biermann

Im Zeichen des Rosenmonds


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Aber er war es gewohnt zu warten, zu Hause, wenn er auf Fahrgäste hoffend in der Schlange der Taxen anstand. Jetzt erging es ihm nicht viel anders, nur dass düstere Gedanken durch seinen Kopf gingen, wenn er den Zündschlüssel umdrehte, um ein paar Meter weiterzufahren, und jedes Mal zögerte er, bis er vor dem bulgarischen Beamten in seinem Häuschen angekommen war und der ihm einen Stempel in den Pass knallte. Yusuf atmete einmal tief durch. Danach ging es schleppend weiter, langsam ließ er das Taxi auf die türkische Grenzkontrolle zurollen und nahm sich vor, ruhig zu bleiben.

      Vorne, vor der langen Reihe der Pkws, verrichteten die türkischen Beamten gemächlich ihre Arbeit. Yusuf sah, wie sie jeden Wagen anhielten und ausgiebig in die Papiere und in die Fahrzeuge schauten, zwei Beamte gingen um jedes Auto herum. Und immer mussten die Fahrer den Kofferraum öffnen.

      Nervös sah er auf seine Uhr. Bei den nächsten Fahrzeugen merkte er sich, wie viel Zeit sich die Grenzbeamten für die Kontrollen nahmen. Er fand, dass sie sehr viel Zeit brauchten. Bei dem nächsten Auto schaute er wieder auf die Uhr und es dauerte acht Minuten, bis es passieren durfte. Er zwang sich, still sitzen zu bleiben, als er sich dabei ertappte, wie er auf seinem Sitz unruhig hin und her rutschte. Er suchte den Lastwagen mit Blohms Versteck, dabei bewegte er ganz langsam seinen Kopf, es sollte nicht auffällig wirken. Auf der rechten Seite, schräg hinter sich, sah er den türkischen Lkw, der in einer langen Reihe mit anderen Lastzügen auf seine Abfertigung wartete. Blohm musste jetzt in seinem engen Versteck mächtig schwitzen, dachte Yusuf. Er ließ das Taxi an und rückte auf, nachdem ein Pkw in der langen Schlange vor ihm weiterfahren durfte.

      Er sah nach den Lkws und wie Grenzbeamte die Frachtpapiere der Ferntransporter in den Händen hielten. Er sah auch, wie die Beamten manchmal mit den Fahrern zu einem Gebäude gingen.

      Fünf Autos standen jetzt noch vor ihm und es ging kaum voran. Er konnte sich nicht erinnern, dass es früher auch so lange gedauert hatte, als er im Urlaub in die Heimat gefahren und an diese Grenze gekommen war. Er trommelte nervös mit den Fingern gegen das Lenkrad. Unerträglich heiß war es im Inneren des Taxis geworden, die Nachmittagssonne schien kräftig und die Klimaanlage schaffte es nicht, in der kurzen Zeit des Anfahrens die Temperatur herunterzudrücken, wenn er wieder einmal aufrücken musste.

      Der Fahrer des Wagens, der jetzt bei den Grenzbeamten stand, wurde zum Mitkommen aufgefordert, nachdem er ihnen den Kofferraum gezeigt hatte und danach wieder im Wagen Platz nehmen wollte. Yusuf erkannte es an den Handbewegungen der Beamten, sie waren knapp und unmissverständlich. Der Fahrer verschwand mit einem der Grenzer in einer Tür des Gebäudes gleich hinter ihnen. Minutenlang starrte Yusuf gebannt auf diese Tür und konnte dabei nicht mehr klar denken.

      Dieser verdammte Blohm. Atomare Schmuggelware unter dem Auto! Seine düsteren Vorstellungen wichen nicht, auch als er sich die gewaltige Summe von sechzigtausend Euro abermals vor Augen führte. Als er den Blick auf die Grenzbeamten richtete, dachte er ans Gefängnis und er dachte es so, als sei es eine selbstverständliche Folge, nachdem sie ihn gleich überprüft haben würden. Ihm fiel wieder sein Traum ein und er schwitzte.

      Erneut suchte er den Lastwagen mit Blohm und sah ihn zu seiner Überraschung weiter vorne, als er es erwartet hatte. Der Lkw stand nicht mehr weit vom Schlagbaum entfernt, der türkische Fahrer hatte schon die Tür geöffnet.

      Wie es Blohm jetzt wohl ging? Er wollte keinen Gedanken an ihn verschwenden, doch plötzlich durchfuhr ihn die Sorge, dass Blohm ebenso hochgenommen werden könnte wie er selbst und dass es vorbei wäre mit dem vielen Geld. Jetzt stellte er sich diese Riesensumme wieder vor, ein unglaubliches Vermögen! Yusuf betete innerlich und er wusste, dass er kein allzu gläubiger Mensch war.

      Die Tür in dem Gebäude nebenan öffnete sich und sein Blick hing an dem Fahrer, der vorher dort hineingeführt worden war. Der Fahrer blinzelte im grellen Sonnenlicht und stopfte sein Hemd in die Hose, als er heraustrat. Yusuf erschrak bei der Vermutung, dass der Mann dort, der jetzt zu seinem Auto hinüberschlurfte, sich einer Leibesvisitation hatte unterziehen müssen.

      Ihn drängte es, aus dem Taxi zu steigen. Im Rückspiegel sah er in der langen Reihe hinter sich einige der Wartenden neben ihren Fahrzeugen stehen. Manche fächelten sich Luft zu. Er blieb im Auto, unruhig und schwitzend.

      Der Lkw mit Blohm unter der Koje war bei den Grenzern angekommen, als er wieder nach ihm Ausschau hielt. Zwei Beamte umkreisten den Lastzug, als hätten sie alle Zeit der Welt, während ein weiterer bei dem Fahrer stand, der ausgestiegen war. Yusuf konnte erkennen, dass der Grenzbeamte mit den Papieren beschäftigt war. Dann musste einer der Beamten den Fahrer wohl zu sich nach hinten gerufen haben, Yusuf konnte es auf die Entfernung nicht hören, aber er konnte sehen, wie der Fahrer eilig nach hinten ging und wie sie die Plombe an der Tür des Containers, den der Lkw transportierte, mit den Papieren verglichen.

      Yusuf beobachtete die Szene so gespannt, dass er nicht bemerkte, dass er an der Reihe war, vorzufahren. Erst der Pfiff eines Beamten ließ ihn zusammenfahren. Der Grenzer winkte ihn lässig mit zwei Fingern seiner erhobenen Hand heran, doch wirkte es auf ihn autoritär und drohend. Er wollte gelassen erscheinen und fragen, warum die Abfertigung heute so lange dauerte, aber er fürchtete, dass sie dann sein Taxi erst recht auseinandernehmen würden. Langsam rollte er vor die Grenzbeamten und versuchte, sich unscheinbar zu verhalten, so unauffällig, wie es gerade ging.

      „Ihren Pass bitte“, sagte der Beamte. „Zeigen Sie mir auch die Fahrzeugpapiere“, forderte er gleich hinterher, als Yusuf den Pass durchs Fenster reichte.

      Er griff ins Handschuhfach, wo er die Papiere wusste, die Blohm dort bei der Abreise hineingelegt hatte, den Fahrzeugbrief und den Fahrzeugschein zusammen mit den Dokumenten, die für den Verkauf des Taxis erforderlich waren. Er wusste, dass alles in einer Mappe zu finden war, aber in seiner Aufregung fand er nicht die Ruhe, den Fahrzeugschein dort herauszusuchen, und so reichte er dem Beamten die komplette Mappe hinaus. Erst als der Grenzer die Mappe aufschlug, wollte er durchs Fenster mit ausgestrecktem Arm auf den Fahrzeugschein zeigen, doch der Beamte wehrte ihn ab, indem er die Mappe zuklappte.

      Yusuf sank in den Sitz zurück. Der Grenzer begann, wieder in der Mappe zu suchen. Er fingerte den Fahrzeugschein hervor, den er dann mit einer Gelassenheit studierte, die Yusuf von einem orientalischen Beamten nicht anders erwartete.

      Er schwitzte immer mehr und bedauerte wieder einmal sein Übergewicht, das ihm zusätzlich zur Hitze im Auto zu schaffen machte. Er fächelte sich mit der flachen Hand Luft zu, erschrak aber gleich über seine eigenen Bewegungen, die ihm gegenüber den Beamten, die langsam das Taxi umrundeten, zu auffällig erscheinen konnten.

      „Ihre Papiere sind nicht in Ordnung“, hörte er den Beamten sagen, der mit der Mappe in der Hand wieder ans Fenster herantrat.

      Yusuf glaubte seinen Ohren nicht zu trauen, es kam ihm so unwirklich vor, die Stimme des Grenzers klang wie von weit her.

      „Dies ist doch ein deutsches Taxi, was wollen Sie damit in der Türkei?“

      „Ich bin nicht im Einsatz. Sehen Sie, ich habe kein Schild auf dem Dach.“ Yusuf wies mit dem Finger in die Höhe. „Ich will es nach Istanbul überführen und dort verkaufen.“

      „Aber es gehört Ihnen nicht, in diesen Papieren stehen Sie nicht als Besitzer.“

      Yusuf wusste nicht, was er darauf antworten sollte. Blohm hatte ihm nicht gesagt, wer in die Papiere eingetragen war. Und er selbst hatte bisher nicht ein einziges Mal daran gedacht, nachzuschauen, auf wessen Name die Fahrzeugpapiere ausgestellt waren.

      „Ja, sicher, es ist ein fremdes Auto. Wie ich schon sagte, ich überführe es nur.“

      „Wem gehört es dann?“ Wieder vernahm er die barsche Stimme des Beamten.

      „Einer Firma, das Auto gehört einer Firma in Deutschland“, sagte er auf gut Glück.

      „Arbeiten Sie für diese Firma?“

      „Ja, ich bin dort angestellt.“

      „Sie könnten das Auto gestohlen haben“, sagte der Beamte.

      „Ich handele im Auftrag der Firma.“ Yusuf hatte den Eindruck, dass der Beamte seine Angst spürte.

      Der Grenzer