Karl-Heinz Biermann

Im Zeichen des Rosenmonds


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schon saß, er hatte kein Zeitgefühl mehr. Wie sehr hatte er sich gefreut, Istanbul wiederzusehen, am Abend in die Stadt hineinzufahren; wie schön hatte er sich das vorgestellt. Verfluchter Blohm. Ihm gingen rachelüsterne Gedanken durch den Kopf, die in Hilflosigkeit endeten, und er wurde mit der Zeit unter dem monotonen Geräusch der Klimaanlage träge und duselte. In seiner Apathie hörte er nicht, wie der Schlüssel im Türschloss gedreht wurde. Erst als die Tür aufging, sah er müde auf.

      Ein Beamter winkte nach ihm. „Der Kommissar will Sie noch mal sprechen.“

      Der Beamte führte ihn in denselben Raum, in dem er am Nachmittag gesessen hatte. Auch den Mann, der hinter dem Tisch saß, erkannte Yusuf als denselben wieder, der ihn vor Stunden vernommen hatte.

      „Kommen wir noch mal zu diesen Steinchen hier“, sagte der Mann und machte eine ausladende Handbewegung über die Diamanten, die in mehreren Schalen auf dem Tisch lagen. „Wir haben uns die Mühe gemacht, jeden einzelnen von ihnen genau zu prüfen. Jetzt frage ich Sie: Warum in aller Welt führen Sie Glassteine mit sich? Was soll dieser Blödsinn? Was bezwecken Sie damit?“

      Yusuf verstand nicht, was der Mann meinte.

      „Ein Koffer gefüllt mit falschen Diamanten, da mach sich einer einen Reim drauf.“ Der Mann stand auf, ging ein paar Schritte zu einem Schrank und nahm den kleinen Koffer, der dort obendrauf lag. Er stellte ihn vor Yusuf auf den Boden. „Sie haben doch irgendetwas damit vor.“

      „Ich kann nur wiederholen, dass ich von Diamanten nichts gewusst habe.“

      „Es sind Imitationen aus Glas, es sind keine echten. Tun Sie nicht so, als wüssten Sie es nicht.“ Der Mann wurde laut. „Glassteine!“, sagte er abfällig und dehnte das Wort, als wollte er es Yusuf eintrichtern.

      „Sie meinen, es sind gar keine echten Diamanten?“

      „Spielen Sie hier nicht den Ahnungslosen“, herrschte der Mann ihn an, „nehmen Sie Ihre Steinchen und spielen Sie meinetwegen Murmel damit. Packen Sie die schleunigst wieder ein und dann gehen Sie. Verschwinden Sie hier!“

      Er griff zu einem Schlüsselbund auf dem Tisch und nahm ihm die Handschellen ab.

      Yusuf schaute weiter irritiert und massierte seine Handgelenke. „Ich kann gehen?“

      „Ja, gehen Sie, es gibt kein Gesetz, wonach ich Sie wegen Schmuggel von Glassteinen verhaften kann. Sie haben uns nur unnötig Arbeit und Ärger gemacht.“

      Hastig füllte Yusuf die Samtbeutel und legte sie in den Koffer. Der Mann beobachtete ihn dabei ungehalten, glaubte er aus den Augenwinkeln zu erkennen.

      „Vergessen Sie das hier nicht.“ Der Mann schob ihm die Mappe mit den Dokumenten rüber, der Fahrzeugschein lag obendrauf. Yusuf klemmte sich die Mappe unter den Arm, ohne sich Zeit zu nehmen, den Fahrzeugschein hineinzulegen, er steckte ihn einfach in die Hosentasche. Dann nahm er den Koffer und ging zur Tür hinaus, die der Mann ihm aufhielt. Grußlos schlug er die Tür hinter ihm zu.

      Draußen blinzelte Yusuf im Licht der Abendsonne und suchte das Taxi. Er streifte bei seinem Rundblick die Kolonne der Autos vor den Grenzbeamten und es bereitete ihm Unbehagen. Dann sah er das Taxi an der Hauswand eines Gebäudes hinter sich. Er ging langsam hinüber. Der Wagen war nicht verschlossen und der Schlüssel steckte im Zündschloss. Yusuf sah sich bedächtig um, ganz vorsichtig und immer noch voller Angst. Und dann sah er sich das Auto genauer an, er tat es unauffällig, um nicht aufzufallen. Aber er entdeckte nichts, was darauf hinwies, dass sie das Taxi auseinandergenommen hätten.

      Als er eingestiegen war, suchte er auch das Innere des Fahrzeugs nach irgendwelchen Spuren ab. Die Türverkleidungen sah er sich gründlicher an, aber nichts deutete auf einen Eingriff der Grenzer hin; nicht der geringste Kratzer war zu sehen, den ein Ausbau der Verkleidungen möglicherweise hinterlassen haben könnte. Den kleinen Koffer legte er auf den Beifahrersitz und die Mappe obendrauf. Gleich stieg er wieder aus, ihm war der Fahrzeugschein eingefallen, der in seiner Hosentasche steckte. Er holte ihn hervor und legte ihn auf die Dokumentenmappe. Dann setzte er sich wieder ans Steuer.

      „Sie fahren langsam rückwärts in die Reihe zurück. Achten Sie auf meine Anweisungen.“ Yusuf erschrak, er hatte den Beamten nicht gesehen, der ihm beim Einfahren in die Spur vor der Schranke behilflich sein wollte und hinter ihm mit den Armen ruderte.

      Er schaute über die Schulter nach ihm und lenkte den Wagen in die Reihe der wartenden Fahrzeuge. Er sah sich als erster vor der Schranke stehen und wie sie geöffnet wurde. Ungläubig starrte er nach vorne. Der Grenzbeamte trat neben ihm ans Auto und winkte nur mit einer kurzen Handbewegung in Richtung des Durchlasses. Yusuf fuhr ganz langsam. Als er auf die Hauptfahrbahn einscherte, gab er Gas, mächtig Gas. Erst ein Verkehrsschild mit dem Hinweis auf die zulässige Geschwindigkeit erinnerte ihn daran, wieder Fahrt wegzunehmen.

      *

      Er verspürte Hunger und ihm fiel ein, dass er seit dem Frühstück nichts mehr gegessen hatte, außer den Falafeln an der kleinen Raststätte vor der Grenze. Er schaute auf die Anzeigen im Armaturenbrett, es war kurz nach neunzehn Uhr.

      Noch immer verspürte er die Schrecken, die hinter ihm lagen. Er sah instinktiv in den Rückspiegel. Warum transportierte Blohm Diamantenimitationen, einfache Glassteine? Er begriff es nicht, es gab für ihn keine Erklärung.

      Er überlegte, ob er Blohm damit konfrontieren sollte. Aber er kam dahin, dass er besser Stillschweigen darüber bewahrte, er müsste sonst preisgeben, dass die Steine an der Grenze entdeckt worden waren und er in Gewahrsam genommen worden war. Das wollte er ihm nicht sagen. Zunächst noch nicht. Er würde Blohm auf den Zahn fühlen, später, bei diesem Händler in Istanbul vielleicht, wenn sie das Taxi dort abgaben. Wie hatte Blohm gesagt? „Da sind Sie nicht dabei.“ Wir werden sehen, dachte Yusuf. Nur für die Verspätung musste er sich noch eine Rechtfertigung einfallen lassen. Er rechnete aus, dass er nicht vor zweiundzwanzig Uhr in Istanbul eintreffen würde. Dann der starke Verkehr, der dort auch noch nachts anhielt. Es würde spät werden, bis er das verabredete Hotel im Stadtteil Fatih erreicht hätte.

      Er beschloss, in Edirne anzuhalten, er sah gerade das Schild, das die Abfahrt ankündigte. Er wollte in die Stadt hinein, sich ein Restaurant suchen, in dem er gut zu Abend essen konnte. Er war bereits verspätet, es kam ihm nicht mehr darauf an.

      Stattdessen fuhr er auf einen Autobahnrastplatz und bevor er ausstieg, wollte er den Fahrzeugschein in die Mappe stecken, die auf dem kleinen Koffer die ganze Zeit neben ihm gelegen hatte. Er las die Adresse auf dem Schein, auf welche das Taxi eingetragen war. Erstaunt las er den Namen des Taxiunternehmens in Hamburg, bei dem er angestellt war. Er traute seinen Augen nicht und las noch mal. Dort stand tatsächlich der Firmenname seines Arbeitgebers.

      Dieser ausgebuffte Blohm, dachte er, und es leuchtete ihm ein, dass er dadurch bei der Überprüfung an der Grenze davongekommen war. Er blies die Backen auf und stieß dann wie zur Erleichterung die Luft hinaus. Danach legte er die Mappe ins Handschuhfach und den kleinen Koffer brachte er in den Kofferraum, er wollte ihn außer Sichtweite haben.

      Die Leuchtreklame des Autobahnrestaurants blinkte ihm grell entgegen. Er dachte an eine Rote Linsensuppe, sie müsste so schmecken wie zu Hause, wenn seine Frau sie kochte, aber er war sicher, dass sie so nicht sein würde, wenn es dort überhaupt eine gab. Es kam ihm komisch vor, erst jetzt wieder an seine Frau zu denken. Eine Leere überfiel ihn, hier weit weg von zu Hause, allein in der beginnenden Dämmerung. Er wandte sich um und ließ den Wagen an. 240 Kilometer bis Istanbul, las er auf dem Entfernungsschild, als er wieder auf die Autobahn fuhr.

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