Florian konnte nicht verstehen, was sie sprachen. Dann war das Mädchen wieder bei ihm.
„Wir wollen zusammen mit einem Taxi nach Hause fahren.“
„Jetzt gleich?“
„Nein. In der Nacht.“
„Ich wollte sie nach Hause bringen.“ Das Mädchen sah ihn an.
„Das müssen sie nicht.“
„Ich würde sie gern nach Hause bringen.“
„Grünau ist weit.“
„Für sie ist nichts zu weit.“ Das Mädchen näherte sich Florians Mund und berührte ihn mit ihrem Mund. Es war ein kurzer flüchtiger Kuss. Florian war gerührt. Er drückte das Mädchen an sich und küsste es. Seine Lippen waren geöffnet und bald öffneten sich auch die Lippen des Mädchens.
„Jetzt müssen wir du sagen.“
„Ich heiße Angelika.“
„Florian.“
„Florian, der Hühnerdieb.“
„Genau der.“
Sie tanzten die ganze Nacht. Sie ließen kaum einen Tanz aus. Sie tanzten immer enger zusammen. Das Mädchen wohnte mit ihrer Freundin im Schwesternwohnheim. Sie hatten in dem Krankenhaus ihre Ausbildung gemacht. Sie kamen beide aus einem kleinen Ort im Harz.
Nach Mitternacht endete die Musik. Die Musiker packten ihre Instrumente ein. Die Tanzfläche war jetzt nicht mehr so voll gewesen. Das Tanzen war leichter gewesen. Sie gingen zur Garderobe und das Mädchen gab Florian ihre Marke. Er sah zum ersten Mal ihren Mantel, den er noch oft sehen sollte. Und das bunte Tuch, das er auch noch oft sehen sollte. Sie waren jetzt vier junge Leute. Die beiden Mädchen und der gutaussehende junge Mann und Florian. Sie fanden vor der Halle ein Taxi. Sie saßen zu dritt hinten und der gutaussehende junge Mann saß neben dem Taxifahrer. Sie fuhren durch die schlafende Stadt. Es dauerte einige Zeit bis sie in Grünau vor dem Schwesternwohnheim angekommen waren. Das Taxi fuhr davon. Die beiden Paare küssten sich und gingen auseinander. Florian ging mit dem jungen Mann zur nächsten S-Bahn. Es dämmerte schon etwas als er vor dem Haus stand, in dem er ein Zimmer hatte. Nur ab und zu ging jemand an ihm vorbei. Florian ging die Treppen hinauf. Er ging leise. Er wollte niemand stören um diese Zeit. Vorsichtig öffnete er die Wohnungstür und ging in sein Zimmer. Heute hatte er keine Vorlesungen. Er zog sich aus und legte sich auf sein Bett. Das Betttuch war angenehm. Er wurde müde. Bevor er einschlief dachte er an den vergangenen Abend. Es war ein schöner Abend gewesen. Er hatte dieses Mädchen kennen gelernt. Es hieß Angelika. Sie hatten sich geküsst. Sie konnten sich leiden. Er war sich sicher. Sie hatten sich verabredet für das nächste Wochenende. Sie würden zusammen bleiben. Er würde nicht mehr allein sein. Die Einsamkeit hatte ein Ende.
3.
Florian erwachte erst gegen Mittag. Er war noch müde, aber er fühlte sich gut. Immer wieder waren die Bilder des vergangenen Abends da. Die riesige Halle, die Trompeten und Saxophone mit ihrer Musik, das Mädchen, das Taxi, die S-Bahn. Es klopfte. Die Wirtin brachte ihm einen kleinen Teller mit einem Brötchen mit Käse und etwas Kaffee. Die Wirtin war immer freundlich. Er wusste nicht, warum sie ihn mochte. Er sprach gern mit der Frau, die allein in der Wohnung war.
Er zog sich an und sah aus dem Fenster. Unten auf der Straße gingen Leute. Es war Sonntagnachmittag. Auf der Straße fuhren nur wenige Autos. Es war keine wichtige Straße. Er dachte an den nächsten Tag. Er hatte ein Referat zu halten. Es war noch nicht ganz fertig. Er musste es fertig machen. Er hatte noch Zeit bis zum Abend. Er legte sich wieder auf sein Bett und schlief ein. Als er erwachte fing es schon an zu dämmern. Er suchte sich das Referat und die Bücher und kam gut voran. Als er das Referat beendet hatte, ging er es nochmals durch ohne den Text vor sich zu haben. Er wollte sein Referat frei halten. Das machte er immer so. Er fand das besser als einen Text abzulesen. Er konnte das. Nicht alle Studenten konnten das. Er hatte das schon in der Schule so gemacht.
Am Abend verließ er die Wohnung, in der er jetzt allein gewesen war. Er ging die Straße entlang und bog dann um die Ecke in eine andere Straße. In beiden Straßen standen Kastanien am Rand der Fahrbahn. Er öffnete die Tür der Gaststätte und ging hinein. Die meisten Tische waren besetzt. Viele Stimmen. Männliche und weibliche. Er ging durch den ersten Raum in den zweiten Raum, der sich dahinter befand. Hier waren einige Tische frei. An einem Tisch saß ein junger Mann. Florian begrüßte ihn und setzte sich.
„Hast du schon bestellt?“
„Ich habe auf dich gewartet.“
„Ein großes Bier wie immer?“
„Wie immer.“ Nach einiger Zeit kam der Kellner und sie bestellten ihr Bier. Sie saßen sich gegenüber. Ein Lächeln war in ihren Gesichtern. Es dauerte nur kurz.
„Wie war die Woche?“
„Nichts Besonderes. Es geht um den Plan. Wir müssen ihn erfüllen.“
„Werdet ihr ihn erfüllen?“
„Wir brauchen die Prämie.“
„Machen alle mit?“
„Alle brauchen die Prämie. Dieter und Fritz haben Probleme. Ihre Maschine ist oft kaputt.“
„Dafür können sie nichts.“
„Ich weiß nicht. Sie könnten vorsichtiger sein.“
„Was sagen die anderen dazu?“
„Sie lassen sie schon merken, was sie erwarten.“
„Und der Leiter?“
„Der auch.“
„Wie ist das Klima in eurer Brigade?“
„Wir verstehen uns gut. Freitags gehen wir zusammen ein Bier trinken.“
„Hast du das Ersatzteil bekommen von dem du mir erzählt hast?“
„Es dauerte etwas. Aber dann ist es gekommen. Es war auch das Richtige.“
„Vor einer Woche hast du dir Sorgen gemacht.“
„Das habe ich. Wie läuft es bei dir?“
„Ich habe morgen ein Referat.“
„Bist du aufgeregt?“
„Ich rege mich nicht mehr auf.“
„Worüber sprichst du?“
„Über die Minnesänger und ihr Verhältnis zu den Bauern.“
„Sehr interessant.“ Florian wusste, dass sein Freund das nicht interessant fand.
Sie sprachen noch über andere Sachen. Nach dem dritten Bier verabschiedeten sie sich und gingen auseinander. Der Freund ging zur U-Bahn und Florian in die Wohnung. Die Wirtin war jetzt da. Er erzählte ihr von dem Mädchen, das er kennen gelernt hatte. Die Wirtin meinte, er solle sein Studium nicht vernachlässigen.
5.
Florian dachte immer wieder an den kommenden Sonnabend. Schließlich war es soweit. Er machte sich fertig und ging zur S-Bahn-Station. Es war ein sonniger Nachmittag, der zu Ende ging. Er fuhr gern mit der S-Bahn. Er beobachtete die anderen Menschen und dachte über sie nach. Die Fahrt nach Grünau dauerte einige Zeit. Er musste zweimal umsteigen. Dann stand er wieder auf der Straße, auf der er eine Woche zuvor gestanden hatte. Damals war es dunkel und nur von den Straßenlaternen etwas erhellt. Jetzt war alles in helles Licht getaucht. Er war sich etwas unsicher, in welche Richtung er gehen musste. Sie hatten sich vor dem Schwesternheim verabredet. Ein Schild zeigte in Richtung Krankenhaus. Das musste richtig sein. Er ging los. Es war eine Straße mit alten Linden. Er konnte sich nicht genau an die Bäume erinnern. Das Krankenhaus war dann auf der rechten Seite. Es war ein roter Klinkerbau. Florian stand vor einer eisernen Tür und wusste nicht, was er tun sollte. Dann ging er durch die Tür und folgte einem Pfeil zum Pförtner.