Dieter Pflanz

Flirrendes Licht


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Irgendwas mit Sel.“

      „Siele!“ schrie Freya. „Noch ganz jung, fast BDM-Mädchen. Sommersprossen. Sehr schöne rotblonde Haare, kurz geschnitten.“

      „Ja -: rote Haare, Sommersprossen sind des Teufels Volksgenossen!“

      „Das kam immer von dir - ich liebte sie innig.“

      „Du warst auch ihr bevorzugter Liebling -.“

      „Wir beide! Weil wir aus Berlin kamen, wo sie mit Sicherheit gerne hingegangen wäre, und weil unser Vater strenger Nazi war. Nazi auch sie ... jeden Morgen mit Deutschem Gruß!“

      „Wann ist unser Führer Adolf Hitler geboren?“ schmetterte Helmut. „Suchender Blick im Klassenraum, der am Größten, Stärksten von uns hängen blieb. Kläuschen, du! - Äh, äh ... eben wusste ich‘s noch. - Sag du es ihm, Freya! - Kerzengrade hoch, und mit laut tragender Stimme: Am 20. April 1884, Fräulein Siele, in Braunau am Inn! In Österreich. - Sehr gut, Freya, an dir könnte sich das Kläuschen wirklich ein Beispiel nehmen. Doch es gibt heute kein Österreich mehr, sondern nur noch ... was -? Freya? - Das Großdeutsche Reich, Fräulein Siele!“

      „Neiiin -“, schrie sie, „das hast du gerade alles erfunden. Ich kenne dich!“

      Sie wischte sich mit einem Taschentuch Gesicht, Augen ab. Auf jeden Fall das Beste, was ihnen als Kinder hatte passieren können … dieser Umzug nach hier. Ständig unterwegs: Beeren sammeln, Pilze sammeln, Bucheckern, Brennholz. - Schwimmen gehen, Fische fangen.

      Nur nie den Hund bekommen, meinte Helmut, weil die Zeiten zu schlecht waren. Angeblich. Dabei sei der wirkliche Grund Omas Phobie gegen Hunde gewesen, gegen den Dreck den sie ins Haus tragen, die Haare die sie verlieren. - Hunde hätten ihr Leben wirklich noch bis zum Äußersten verfeinert. „Einen für dich ... einen für mich. Aber jetzt hast du endlich einen.“ Er zeigte auf Kalle, der seinen Topf blank geleckt hatte, nun neben ihnen auf dem Teppich lag.

      „Ja -.“ Ihre Augen! Gesicht völlig entspannt, sie war tief in ihm drin.

      „Weißt du noch, wie wir mit Zehn, Elf unbedingt, sofort einen Hund haben wollten?! Das muss schon nach dem Krieg gewesen sein: du etwa Zehn, ich Zwölf. Und wie wir uns ständig ausmalten, wie es sein würde, endlich den Hund zu haben. Abends: - wochenlang.“

      Sie hob die Schultern.

      „Du erinnerst dich nicht? Er sollte immer in deinem Bett schlafen, aber unten, am Fußende. Und tagsüber, wenn wir draußen herumliefen, wolltest du ihn vorn in die Bluse und deine Jacke stecken, weil er noch ein Welpe war, nicht richtig rennen konnte. Und er sollte nie Halsband oder Leine tragen, nie im Leben! Er sollte immer ganz frei sein.“

      „Das soll ich gesagt haben -?“

      „So war dein Entwurf des freien Lebens eines freien Hundes - weiß ich noch genau!“

      Jetzt werde ihr vieles klar -. Die Hundeerzieherin, die, wohin sie ab und zu mit Kalle gehe, sage oft: Der Hund nimmt Sie nicht ernst! Ich hatt’s vorhin schon erwähnt, sie lachte. „Und wirklich ... tief drinnen freut es mich immer irgendwie, wenn der nicht so ganz blind gehorcht -.“

      Freya: die Freie! Wenn‘s auch ein Naziname gewesen sei - wie seiner. Mut wie Mut und hel wie groß, ganz.

      „Meinst du?“

      „Unsere Namen standen bestimmt auf der Liste zeitgemäßer Kindernamen - damalsdamals. Vorausschauend aufs kommende Große, mit Sicherheit.“

      „Meinen Namen habe ich immer gemocht.“

      „Ich auch“, sagte er, „deinen! Meinen nicht so besonders.“

      Und welchen habe er dafür lieber gehabt -?

       William, Ernest, Knut - . Und Anton, Mark, Henry David, Saul. Stanislaw Jerzy, Lew...

      „Wer ist Henry David?“ fragte sie.

      „Henry David Thoreau ... astrein. Über die Pflicht zum Ungehorsam gegen den Staat!“

      Kenne sie nicht. Klinge aber gut, müsse sie dann mal lesen.

      Unbedingt! Nur einige Seiten. Gelebt ungefähr Achtzehnhundertfünfzig.

      „Und keine Frauen?“ sagte sie forschend.

      Er hob langsam die Schultern, lachte. „Ich war, bin doch ein Mann. Du hast nach den mir lieberen Vornamen gefragt.“

      „Eins zu Null. - Doch nur Schriftsteller -? Keine anderen Helden?“

      „Nein ... andere nicht. Später nicht. Als Kind einige Militärs, wie Rommel. Also Erwin. Der aber wirklich als Kind: sehr früh. Danach nur Schreiber. Die anderen haben mir kein Herzklopfen gemacht, nicht das geringste! All dieses Kroppzeugs, das da rumlief: Verkäufer, Richter, Unternehmer, Pastöre, Ärzte, Politiker, Millionäre -. Nicht das geringste. Wirkliches Herzklopfen lösten nur die Schreiber aus!“ Er überlegte. „Und vielleicht Physiker, Mathematiker. Wenn ... dann. Wenn dafür Begabung gehabt. - Herzklopfen nur durch Schreiber, aber auch Frauen - weil du eben fragtest. Carson, Alice, Kathrine, Virginia, Astrid wären in diese Richtung die Namen.“

      Alice aber auch von einem Mann! sagte sie.

      Nicht Alice Wonderland. Die auch Klasse, natürlich - Alice Munro! Kanadierin.

      „Kenn ich nicht.“

      „Ziemlich unbekannt, Kurzgeschichten. Oft sehr schöne Geschichten: - alles von der Frau aus geschrieben. Doch die Beste: Astrid, aus Schweden! Hast du die noch nachholen können, so lange nach unserer Zeit -?“

      „Ja, jetzt im Krankenhaus, in der Psychiatrie. Pippi Langstrumpf.“

      Sie lachten, sahen sich lange an.

      „Und dann noch Freya -“, sagte er plötzlich langsam, „die hat mir auch Herzklopfen gemacht. Schon mit Sechs. Seit sie sich mit drei oder vier mit Hilfe meiner Schulbücher selbst das Lesen, Schreiben beigebracht hatte. - Das hat mich wirklich geschockt - wohl weil mir selbst das Lesen-, Schreibenlernen so schwer fiel. Seitdem wusste ich, dass ich mich vor dir in acht zu nehmen hatte!“

      Auch sie habe immer das Gefühl gehabt, gleichberechtigt zu sein - ja. Obwohl Mädchen und zwei Jahre jünger. - Dafür bedanke sie sich -!

      Sie versuchte übertrieben lächelnde Verbeugung, die aber misslang, und als sie den Kopf hob, sah er, dass die Augen wieder feucht waren.

      „Jetzt will ich dir aber dein Zimmer zeigen“, sagte sie, stand schnell vom Tisch auf. „Und anschließend, wenn du nichts dagegen hast, möchte ich noch ein wenig raus.“

      Sie gingen nach oben. Die Wände sehr hell gestrichen, kahl, im Flur stand drückende Wärme. Sie riss Fenster, Türen auf, versuchte Durchzug zu machen, erzählte, dass diese Hitze schon mehr als eine Woche anhalte. Für Ende August sehr warm! Doch wenigstens der Sommer sei noch einmal zurück gekommen. Nur würden dann die Zimmer im Obergeschoss oft unerträglich heiß, unten sei es besser wegen der dickeren Mauern. - Dies das Zimmer, wo er schlafen könne. Übrigens der Raum, wo sie im Krieg gewohnt: - sie zusammen mit Mutti.

      „Kommt mir alles unbekannt vor -“, Helmut lachte.

      Er müsse sich die vielen Möbel damals dazudenken. Das Haus sei völlig zugestellt gewesen, mit Möbeln aus Omas, Opas Haus und aus ihrer Wohnung in Berlin. „Private Evakuierung, Opas Idee! Alle Menschen, Möbel rüber ins Sommerhaus!“ Und sein Riecher nicht schlecht: ihre Wohnung völlig ausgebrannt und bei Omas, Opas Haus der obere Stock. - Guter Riecher! Aber Opa sei auch vier Jahre Sanitäter in Frankreich gewesen. „In dem Lazarett im Elsass, wo sie aus Verdun die Zusammengeschossenen hingekarrt hatten. Der wusste, was Krieg bedeutet!“

      An Opa habe er kaum Erinnerung, sagte Helmut.

      Sie starke - habe sich oft mit ihm unterhalten. Sei für sie die männliche Bezugsperson gewesen. „An Opa Paul gehangen. Der erzählte gern von früher, oft richtig spannend. Wenn ich später aus dem Studium zu Hause war, immer sofort zu Opa hoch!“

      „Ich