Dieter Pflanz

Flirrendes Licht


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Frausein. Wahrscheinlich sogar verächtlich gewesen sei. „Deshalb habe ich Muttis alte Kaffeetischdecke wieder rausgesucht -. Extra für dich! Und du hast sie sogar erkannt, was mich erfreut. Warm erfreut. Aber das Geschirr ist neu!“

      Habe er natürlich bemerkt.

      „Doch du wirst lachen“ - sie habe auch noch das alte Geschirr, irgendwo im Keller. Das alte Porzellan der Aussteuer ihrer Mutter, das sie damals von Opa Paul zur Hochzeit bekommen habe. Einigemal sogar wieder benutzt, als viele Leute im Haus gewesen seien, die vom Naturschutz, und große Teller, Schüsseln fehlten.

      „Wann hatten die geheiratet?“

      „Drei Jahre vor deiner Geburt.“ Mutti habe einige Zeit zuerst einmal ohne Kinder leben wollen, später oft erzählt, auch dass sie deswegen von der Verwandtschaft schon unter Druck gesetzt worden sei. Solch unnatürliches, egoistisches Verhalten einer Frau! Doch sie sei mit der Hochzeit ihrem fürchterlich strengen Vater entkommen gewesen, habe nicht sofort schon wieder Sklave anderer Lebewesen werden wollen.

      So etwas habe sie ihr erzählt -?! Ihm nie, oder kaum je.

      „Du wolltest ja auch nichts wissen ... hast dich immer gleich in die Büsche geschlagen.“

      „Geschrieben hat sie mir viel. Später. Auch Persönliches, Gefühlsträchtiges. - Unterschwellig immer mit sehr viel Gefühl.“

      Ja. Später im Alter habe sie viel erzählt, auch Betrübliches. Dass sie zum Beispiel in den Zwanziger Jahren in Berlin als Mädchen, junge Frau aufgewachsen sei: - und von dieser tollen Zeit überhaupt nichts mitbekommen habe! Ihr Vater sie in Turnvereine gesteckt, anstatt in Tanzkurse, und jahrelang hatte sie in Höheren-Töchter-Schulen lernen müssen. Nähen, Kochen, Schneidern, Haushaltsführung. Geschneidert habe sie jedoch immer sehr gern.

      „All das hat sie später bedauert?“

      „Deshalb war sie so froh, dass ich es immer völlig anders gemacht habe. Sie war irgendwie stolz auf mich.“

      Er auch. Helmut lachte. Sehr sogar! Wenigstens einer von ihnen, der etwas geworden sei.

      „Ach. Ich war immer stolz auf dich, habe oft von dir erzählt. Das wussten alle meiner Freunde, dass du Schriftsteller geworden bist. Und wenn ich einen Brief von dir bekam, bin ich ausgeflippt -. Vor Glück. Auch das wussten viele, damals im Internat, Studium, im Büro - haben gelacht, mich geneckt. Etliche haben sich für mich auch gefreut, sogar hinten in Russland. Die Sonja, mit der ich in Kiew in einem Zimmer lebte. Der musste ich alles über dich erzählen!“

      „Du warst mein einziger Leser - . Doch unbeirrbar treuer ... was ich hoch anrechne.“

      Er mache sie wütend, schnaubte sie, wenn er sich selbst immer schlecht, klein mache. Was er sich getraut habe im Leben, hätte sie niemals gewagt. Mit Sicherheit nicht.

      Helmut sah ihr in die Augen, wo wieder Tränen schimmerten, drückte die Finger aufs Tischtuch. „Nein, Frey ... diesmal ganz im Ernst. Ich bin zufrieden mit mir: dass ich das Schreiben ein ganzes Leben lang durchgehalten und so viele Bücher, Manuskripte geschafft habe. Doch auf der anderen Seite hätte ich mir natürlich etwas mehr Erfolg gewünscht, ganz prosaisch: etwas bessere wirtschaftliche Ergebnisse. Sprich geldlichen Verdienst, da in dieser Gesellschaft alles und jedes stets in Geld umgerechnet wird.“ Ihm fehle nichts, er müsse nicht hungern, habe keine materiellen Wünsche, die er sich nicht erfüllen könne. Doch wenn einer sich durch sein ganzes Leben viel Mühe gegeben habe, so viel gearbeitet wie er, müsse das eigentlich auch von außen als Wert bestätigt werden. Das habe aber wohl allein mit Gefühlen zu tun. Negativen, beleidigten Gefühlen.

      Er sah sie lächelnd an, zuckte die Schultern. Sie legte die Hand auf seine, sagte, ihr ergehe es jetzt ähnlich. Seitdem sie die Arbeit verloren habe, den Beruf, spüre sie in sich, ganz tief drinnen, dieses unglaubliche Gefühl der Verletzung. Menschen müssten nun mal in der Gesellschaft bestätigt werden, über das Echo von außen, auch vor sich selbst. Als Wert, Werteinschätzung. Von den materiellen Werten ganz zu schweigen.

      Ja ... nein -. Schwierig zu entscheiden. Klar sei auf jeden Fall, dass die Einzelnen von der Gemeinschaft integriert werden müssten. Aber auf der anderen Seite seien gerade die Besten lange Zeit außenvor geblieben und später dafür sogar geehrt, gefeiert worden. Eigentlich erstaunlich, dass im Grunde allein den Abweichlern, egal welcher Art, im historischen Rückblick später das Urteil Groß zugesprochen werde. „Nach meiner Erinnerung haben wir beide darüber schon als Jugendliche diskutiert ... abends in unserm Stall! Und sind immer noch nicht zu einem Ende gekommen -. Wenigstens nicht ich.“

      Sie lachten. Seine Schwester zündete eine Zigarette an, legte das Streichholz in die Untertasse.

      „Dass wir auch dieses Thema abgehandelt haben, weiß ich nicht ... aber wir waren beide gut! Die besten Gespräche meines Lebens habe ich schon sehr früh geführt - und mit dir.“

      „Wir waren klasse, Frey -.“ Wie aber wohl alle Kinder klasse seien, bis man es ihnen schließlich ausgetrieben habe, meinte er lachend.

      „Schließlich … endlich!“ erwiderte sie. Erst dann beginne eine Gesellschaft, ihre Kraft, Wucht zu entwickeln, oder wie man es nennen solle, und das sei das wirklich Teuflische. Ohne Klasse der Jungen, was ja im Grunde Widerstand gegen Althergebrachtes sei, komme es zu keinen positiven Weiterentwicklungen, doch allein mit Klasse, den Widerständen in einer Gesellschaft, gehe es in ihren direkten Untergang.

      Wahrscheinlich, ja. Doch wenn alle untergebügelt würden, gehe es genau so schnell in den Untergang - . Wahrscheinlich die innere Balance, nüchtern: als Zahlen. Wenige die sich auflehnen - die meisten sich anpassend.

      Weisheit des Schwarms -?

      „Daran glaube ich nicht.“ Er kratzte sich sichtbar gewollt am Kopf. „Schwärme können verheerend irren - siehe Hitler, andre Politiker, die massiv umjubelt wurden. Das Freiheitsgerede bei uns: von Millionen, die Tag für Tag kaum über die Runden kommen oder sogar ganz arbeitslos sind. Die ständig neu aufkommenden Modewellen, Musikliedchenwellen, andere Wellen der Ergriffenheit. Oft sogar literarischen -.“ Er lachte. Ohne Schwarmverhalten sei wahrscheinlich sogar das ganze Literaturwesen oder -unwesen nicht zu verstehen. Einsicht seines fortgeschrittenen Alters. Doch ob so etwas mit Weisheit zu tun habe -?

      Bei Tieren funktioniere es. Oft, manchmal.

      Bei Fischschwärmen, Vogelschwärmen. Doch die gerieten auch häufig ins Verderben - bei Gebirgsüberquerungen, Wüstenüberquerungen. Die Vögel. - Der Unterschied zu Menschen sei wohl, dass Tiere dabei über sehr kurze Signale gesteuert würden, meistens wohl optischer Art. Reflexhaft von außen. Menschenschwärme jedoch über Gefühle.

      „Gefühle -?“ sagte Freya, stand auf. „Komm, wir hauen von diesem verdammten Kuchen ab.“

      „Der hat wirklich gut geschmeckt!“ sagte Helmut, trank den Kaffee aus.

      Sicher, und ihren gebackenen Kuchen lobten inzwischen auch alle. Nur sei er nichts, was auf Erden sie allein noch leisten möge -. Könne. Sie lachte. Eigentlich esse sie sogar nicht besonders gern Kuchen, wenn sie überhaupt gerne esse. Ihr Arzt sage, sie sei zu dünn, verdächtige sie sogar der Magersucht, doch etliches habe ihr nur den Hunger verschlagen. Vieles in der Welt, oder die Welt als ganzes. Oder auch, ihretwegen, das Schwarmverhalten in dieser Welt -. Zigaretten, das sei was, und Alkohol! Sie rauche zu viel, trinke zu viel - habe er wohl schon bemerkt.

      „Am Trinken nicht“, erwiderte er. „Auf jeden Fall hat mir der Kuchen gut geschmeckt! Nur Kaffee ist nicht mein Fall ... davon kriege ich immer so‘n seltsames Aufstoßen.“

      „Verdammt. Dabei habe ich bei dem Kaffee noch lange überlegt - was Mutti dazu gemeint, gesagt hat. Zu Kuchen gehöre allein Kaffee!, das ihr Urteil. Ich trinke auch eigentlich lieber Tee.“

      „Gerda war eine ausgesprochene Kaffeetante.“

      Ja, wie auch wieder ihre Mutter, Großmutter, wie eigentlich alle Frauen unserer Familie. Erkennungsmal des guten Bürgertums, bei ihnen im Land. In England könne es anders sein.

      „Die