Dieter Pflanz

Flirrendes Licht


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jetzt nicht mehr laufen muss.“

      Auch der Hund sprang auf, bellte, kletterte durch die offen stehende Tür ins Auto. Sie lachten. Der sei ganz verrückt aufs Autofahren, meinte seine Schwester, obwohl erst ein Jahr alt. Noch nicht mal ein Jahr, aber Autofahren bereits gelernt. Helmut legte den Rucksack in den Kofferraum, drückte den Deckel zu.

      „Ich kann hier nicht drehen“, sagte sie, er fand das Schloss des Sicherheitsgurts, hakte ein. Sie fuhr weiter bergab, setzte unterhalb der Grashaufen rückwärts in den abgehenden Forstweg, wendete. Helmut hatte den linken Arm um die Lehne gelegt, berührte den Hund, und der spielte mit, biss ihn in die Hand, knabberte. Aber sehr vorsichtig, nass.

      Helmut erkundigte sich nach den riesigen Grasbergen. Irgendwie ungewöhnlich riesige, habe er sich vorhin schon Gedanken drüber gemacht.

      Die seien dabei, Trockenrasen zu machen, sie lächelte ironisch. All dies sei jetzt Naturschutzgebiet, ihre rechte Hand machte eine Bewegung durchs ganze vordere Auto, und deshalb kippten sie das gemähte Gras immer unten vorm Wald ab.

      „Das sieht fürchterlich aus.“

      „Das sieht nicht nur aus, das ist fürchterlich. Das Zeug fault, und die ganze Brühe läuft in den Wald. Da stinkt‘s nur noch. - Eigentlich wollen sie alles auf Sondermülldeponien entsorgen, doch wer soll das bezahlen.“

      Sondermüll -?, sagte Helmut entsetzt.

      „Ja, die heben alle ab. Bei so etwas dreht sich mir natürlich der Magen um -. Ich habe schon zig mal gefordert, die Flächen richtig zu mähen und wie früher Heu zu machen! Die verpackten Ballen könnten sie den Rinderzüchtern schenken oder den vielen Pferdehaltern, die es jetzt gibt. Die würden sich das Heu sogar selbst abholen, mit Kusshand, für umsonst. Oder sie könnten es sogar verkaufen.“ Sie hatte sich in Erregung geredet, hielt an. „Aber nein! Sogar der Ansgar, mit dem ich wirklich gut kann, lacht nur, wenn ich mich so aufrege. Ich müsse immer groß denken!, sagt er nur stets. Der Ansgar ist hier zuständig, für den Naturschutz. Aus Süddeutschland, irgendwo unten vom Bodensee, spricht noch markanten Dialekt. Groß denken! sagt der immer, Naturschutz muss denen etwas kosten. Viel! Sonst nehmen sie das nicht ernst. Je mehr er kostet, desto wertvoller werde er ihnen: - und desto mehr Geld würden sie anschließend dafür noch herausrücken.“

      Sie schüttelte verständnislos den Kopf. Er sah sie von der Seite an. „Ja -.“

      „Nicht ja ... nein! - Ich sei immer noch viel zu sehr Ossi, denke zu kleinräumig. Ich hätte das geltende Prinzip noch immer nicht richtig kapiert! Groß denken -. Wenn die Grashaufen endlich groß genug geworden seien, würden sie entsorgt werden, zur Sondermülldeponie. Das erzählt mir ständig der Ansgar - wenn ich mich über das Gras aufrege -, und mit dem verstehe ich mich inzwischen wirklich gut. Inzwischen verstehen wir uns gut.“

      Sie lachten. Freya schüttelte noch immer den Kopf, atmete schwer.

      „Verdammt, ich war Ökonomin!“ sagte sie bitter. Sie hatte die Hände schlaff auf dem Lenkrad, sah nach vorn ins Weite. Irgendwie weit in die Weite, Helmut sah sie von der Seite an. Der Hund biss auf seiner linken Hand herum, nicht mehr auf einzelnen Fingern, sondern auf der halben Hand. Vorsichtig, ohne dass es wehtat, doch begeistert.

      „Ich wusste gar nicht, dass du mit so vielen Männern zusammenlebst“, sagte er plötzlich nachdenklich, ernst, „hätte ich das gewusst, würde ich mir wirklich überlegt haben zu kommen.“

      Sie fuhr herum. „Ich lebe mit keinen Männern zusammen, Helmut, ich bin allein. Ich lebe in dem Haus ganz allein!“

      „Da bin ich mir nicht mehr sicher“, sagte er traurig.

      „Der Ansgar ist nur ein guter Freund, ein ferner Freund, ach, Bekannter. Der ist fünfundzwanzig Jahre jünger als ich, der hat Frau und Kinder. Wir waren fürchterlich aneinander geraten, im Anfang, und jetzt arbeiten wir zusammen. Beim Naturschutz. Diese ganze riesige Fläche ist Naturschutzgebiet geworden. Weil ich hier nun mal wohne, fand ich es sinnvoll, da mitzumachen. Doch auch sonst. Ich finde es sinnvoll, sich um die Umwelt zu kümmern, sehrsehr sinnvoll. Und nötig. Wir haben nur gleiche Interessen, müssen uns ständig austauschen, abstimmen, wie wir weiter vorgehen. Zu uns gehören noch zig andere Leute, wir sind eine richtig gute Gruppe, und weil ich hier wohne, am Rande des neuen Naturparks, treffen wir uns häufig bei mir. Manchmal ist das Haus ganz voll. Da wird dann richtig geschrien, diskutiert. Gestritten!“

      Das Gesicht in Eifer verzogen, ihre Pupillen groß.

      Er wiegte den Kopf, murmelte: „Ich weiß nicht -.“

      Sie hob wieder heftig an zu erklären, als sie bemerkte, dass etwas nicht stimmte, sah seinen rücklings verdrehten Arm, den kauenden Hund, lachte. „Ach, Helmut ... an deinen Humor muss ich mich auch wirklich erst wieder gewöhnen - .“

      Sie schlug mit der Stirn gegen seinen Kopf, traf links oberhalb der Schläfe.

      „Au ... dass das ein Mann ist, ein sehr Liebe bedürftiger, wirst du wohl nicht abstreiten!“ sagte er streng.

      „Das ist Kalle. Ich hatte dir von ihm erzählt.“

      „Hast du nicht.“

      „Mit Sicherheit habe ich dir von ihm geschrieben. Oder am Telefon erzählt, mit Sicherheit.“

      Er könne sich nicht erinnern.

      Doch! Eigentlich habe sie überhaupt keinen Hund haben wollen, doch Freunde von früher hätten sie überredet. Wenn sie in dieser Wildnis wohne, brauche sie einen Hund. Und ein Freund, mit dem sie zusammen Examen gemacht habe, züchte nun Hunde. Davor sei er Hauptmann gewesen. Jetzt seien sie zurück nach Rügen, woher sie ursprünglich stammten, er züchte Terrier und sie habe da oben eine eigene Praxis aufgemacht. Zum Glück sei sie Zahnärztin gewesen. Halbwegs liefe es jetzt mit ihnen, nur habe er auf einmal Prostatakrebs bekommen. „Irgendwie logisch“, sagte sie.

      Er wiegte zweifelnd den Kopf. „Klingt zwar logisch - aber im Grunde weiß keiner, woher so etwas kommt. Da streiten sie sich noch.“

      „Sicher ... keine Kausalitäten, nicht: so etwas kommt mit Sicherheit von dem da. Doch ein Mann in den besten Jahren, dem plötzlich alles genommen wird: sein Beruf, das bisherige Leben, die ganzen täglichen Abläufe. Und er war mit Leib und Seele Soldat. So etwas muss doch auf die Eier gehen, auf die Prostata.“

      „Genau weiß das keiner -.“ Er zog die Nase kraus. „Prostata ist bei Männern inzwischen die häufigste Krebsart, bei Frauen Brust, und all diese Männer sind keine plötzlich entlassenen Soldaten.“

      Egal - wenn es auch nicht wirklich egal sei. Doch seine Hunde seien gut: Irische Terrier! „Die sollen ganz tollkühn sein, unglaublich mutig. Gradezu irre mutig, sollen es sogar mit Löwen aufnehmen. Ich weiß zwar nicht, woher man das weiß, da es hier keine Löwen gibt, aber vielleicht haben die Engländer früher diese Hunde mit in ihre Kolonien genommen -. Unglaublich tollkühn, tapfer ... der Kalle soll mich verteidigen bis aufs Blut!“ Sie machte Kunstpause. „Bisher weiß ich aber eigentlich nur, dass er immerfort gestreichelt werden will - .“

      Jetzt lachte sie, dass ihr Tränen über die Wangen liefen.

      „Der ist noch sehr jung ... kein Jahr alt, sagtest du.“

      „Sicher. Er ist wahnsinnig anhänglich, und ich hänge auch an ihm. Wahnsinnig.“ Doch sie wolle alles richtig machen. Da sie wenig Ahnung von Hunden gehabt habe, sei sie mit ihm in die Welpenschule gegangen, danach in die Grundausbildung, jetzt in noch etwas anderes ganz Wichtiges. Die Frau von der Hundeschule habe bei ihnen auch früher irgendetwas ganz Anderes gemacht, sehr sympathische Frau, sie möge sie. Sehr belesen in Hundedingen. Und diese Frau sage ihr oft, wenn sie sie beide beobachte, den Hund, sie, ihr gemeinsames Verhalten, den Umgang miteinander: „Der nimmt sie nicht ernst! - Und das ist korrekt. Das wirklich Schlimme ist nur, dass es mich im Stillen freut, wenn er nicht richtig gehorcht - . Natürlich spreche ich dann streng zu ihm, schimpfe, wenn er nicht macht, was er soll, doch in Wirklichkeit freue ich mich. Ganz tief im Inneren freue ich mich dann - wenigstens ein bisschen.“

      Sie