Frank Habbe

Taschengeld


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scheinbar im Widerspruch stand, kam Schlosser auf den Mann zugeschossen und begrüßte ihn mit einem markanten Händedruck. Viele der so Beehrten waren schon unter dieser Kraft in die Knie gegangen, er aber war aus Erfahrung vorbereitet. Ruhig blickte er zu Schlosser hinunter.

      „Und?“ Im Austausch von Small Talk war er ungeübt, es lag ihm auch nichts daran. Er wolle die Sache hinter sich bringen. Anerkennend tippte ihm Schlosser mit dem Zeigefinger auf die Brust.

      „Das mag ich an dir. Gleich zum Wesentlichen kommen. Lass uns nach oben gehen.“ Dabei deutete er auf die neben der Tür befindliche Treppe. Der Mann ließ Schlosser den Vortritt, der rasch die Stufen in den ersten Stock erklomm. Es herrschte allgemeine Unordnung, überall lagen Papiere und zerfledderte Ordner auf dem Boden verstreut.

      „Entschuldige das Chaos, aber die Herren haben es leider nicht für nötig befunden, nach ihrem Besuch aufzuräumen.“ Schlosser drehte sich zu dem auf einer Kommode stehenden Radio und mit einem Mal wurde der Raum mit wummernder, trompetengesättigter Musik beschallt. Schlosser hob nur entschuldigend die Schultern und zeigte augenzwinkernd auf ein neben dem Radio stehendes Plastkfigürchen. Ein Playmobil-Polizist. Dann winkte er den Mann zu sich und begann ihm ins Ohr zu flüstern. „Bei Marschmusik sollen sie angeblich am wenigsten verstehen. Naja, glaube ich das mal.“ Belustigt zuckte er mit den Schultern.

      Der Mann beugte sich etwas weiter herunter. Bei der lauten Musik war es schwer, den betont leise sprechenden Schlosser zu verstehen.

      „Mir ist gestern eine meiner Sendungen abhanden gekommen. Sie ist irgendwo da draußen.“ Er machte eine Pause, verbunden mit einer unbestimmten Armbewegung in Richtung Fenster. „Also habe ich dich gerufen. Schließlich lieferst du immer zuverlässig.“

      „Zum letzten Mal.“

      „Ich weiß, ich weiß. Aber das ist es wert. Es geht um fast dreihunderttausend Euro!“ Nachdenklich schaute Schlosser durch das Fenster hinauf in den wolkenverhangenen Himmel, fuhr sich mit der Hand über die Glatze „Dabei konnte ich mich bisher immer auf die beiden verlassen. Gut, wir hatten gestern ein paar Probleme mit den Männern in Grün. Vielleicht sind sie deshalb nicht gekommen. Aber, seitdem sind die Jungs verschwunden. Nicht auffindbar!“ Schlosser seufzte. „Es gibt da allerdings eine Möglichkeit. Malik, einer der beiden, hat eine Freundin, in die er ganz vernarrt ist. Jedenfalls hat er immer erzählt, was für tolle Sachen er ihr kauft von dem Geld, das er bei mir verdient.“ Bedeutungsvoll sah Schlosser zu dem Mann hinauf.

      „Sie heißt Rania.“ Schlosser ging zu seinem Schreibtisch und schrieb die Adresse auf einen Notizzettel, riss diesen vom Block und schob ihn herüber. Der Mann nahm das Blatt, warf einen kurzen Blick darauf, faltete es sorgsam zu einem Viertel und steckte es in die Brusttasche seines Mantels.

      „Nimm einen von meinen Wagen. Piet wird Dir die Papiere fertigmachen. Und, ruf hier nicht an. Ich warte noch auf ein neues Telefon. Mit der neuen Nummer melde ich mich dann bei dir.“

      Der Mann nickte und ging zur Tür. Er war schon fast draußen, als ihm Schlosser noch hinterher rief.

      „Bin froh, dass du den Job machst!“

      Dieses eine Mal noch, dachte der Mann. Ein lächeln umspielte seine Lippen. Zum ersten Mal seit dem Anruf.

      Piet stand bereits am Fuße der Treppe und schaute ernst zu dem Mann herauf. Von der kleinen und breiten Statur her ähnelte er seinem Chef. In seinem ölverschmierten Arbeitsoverall und der speckigen Rollrandmütze sah er allerdings eher wie ein Mechaniker aus. „Der Wagen steht auf dem Hof. Ein gebrauchter Mondeo. Nichts Besonderes. So wie du es magst. Die Papiere liegen in der Ablage.“ Damit überreichte er ihm die Schlüssel und trat beiseite, um ihn vorbei zu lassen. Wortlos nahm der Mann den Schlüssel und ging hinaus. Es regnete noch immer.

      Der Ford sah gut aus. Ein älteres Modell, dunkelblaue Farbe, kein Metallic und nicht frisch gewaschen. Ein Wagen, an den sich später niemand würde erinnern können. Perfekt.

      04:06:29

      Seine Erfahrung hatte ihn gelehrt, dass auch vermeintlich einfache Jobs ihre Komplikationen mit sich bringen konnten. Also steckte der Mann für den Besuch bei Maliks Freundin Messer und Schlagring ein.

      Schon an ihrer Tür erkannte der Mann, dass sich seine Vorsicht auszahlen sollte. Auf sein Klingeln hin trat ihm ein breitschultriger Mann entgegen und starrte ihn misstrauisch an. Unwillkürlich umfasste der Mann den in der Manteltasche verborgenen Schlagring fester. Doch Faris, Ranias älterer Bruder, überhaupt etwas sagen konnte, hatte sich der Mann bereits wendig an ihm vorbei in Ranias Wohnung gedrückt. Mit wenigen Schritten gelangte durch den Flur in die Wohnküche. Dort saß ein weiterer, etwas jüngerer, dafür aber umso muskulöserer Mann am Tisch und blickte überrascht von einem Magazin zu ihm auf. Erdan, Bruder Nummer zwei

      In Anbetracht der beiden Schwergewichte verlor der Mann keine Zeit. Ehe Erdan zu dem vor ihm liegenden Brotmesser greifen konnte, war der Mann mit einem kurzen Satz bei ihm. Kurz blitze im Schein der hell leuchtenden Deckenlampe der Schlagring auf, bevor er krachend in Erdans linker Gesichtshälfte sein Ziel fand. Ein kurzes knirschen erklang, als die Faust Erdans Jochbein zertrümmerte. Der Getroffene heulte laut auf und stieß mit dem Kopf rücklings gegen die Wand. Faris, der ebenfalls in den Raum getreten war, hob beschwichtigend die Hände, als sich der Mann sich geschmeidig zu ihm wendete. Sein nächster Schlag erfolgte ebenfalls blitzschnell und schon krümmte sich auch Faris mit schmerzverzerrtem Gesicht. Hilflos keuchend schnappte er nach Luft, als der Mann ihm wortlos bedeutete, sich neben seinen Bruder an den Tisch zu setzen. Mit einem sorgenvollen Seitenblick auf das verletzte Gesicht seines Bruders folgte er der Aufforderung schwerfällig. Erdan schien durch den Schlag in einen Schockzustand versetzt worden zu sein, er gab keinen Laut von sich. Immerhin atmete er. Als sich jeder an seinem vorgesehenen Platz befand, schaute sich der Mann neugierig in dem Raum um. Es sah so anders als bei ihm aus. So bunt. Die Wände schimmerten in einer Mischung aus Orange- und Grüntönen, dazu hingen an jeder freien Stelle buntbemalte Seidentücher. Es hatte die Anmutung eines Korallenriffs.

      „Hol sie her.“ Zur Unterstreichung seiner Worte tätschelte der Mann Erdans rechte Wange.

      Widerstand schien Faris aussichtslos und so deutete er mit gesenktem Kopf in Richtung einer vom Flur abgehenden Tür. „Sie ist im Badezimmer.“

      Reglos blieb der Mann neben Erdan stehen. Dessen immer lauter erklingendes Wimmern zeugte allerdings davon, dass sein Peiniger den Druck seiner Hand auf die Wange verstärkt haben musste.

      Fügsam humpelte Faris der verschlossenen Badezimmertür. Noch vor Minuten hätte er jeden verlacht oder zu Boden geschlagen, der ihm ein derart demütiges Verhalten prophezeit hätte. Die Durchschlagskraft des Unbekannten hatte ihn jedoch eines Besseren belehrt und so leistete er stumm der Aufforderung des Eindringlings Folge.

      „Wohin ist er gefahren?“

      Verängstigt blickte Rania vom Sofa aus zu dem Mann hinüber. Sie hatte nur einen kurzen Blick auf Erdans blutendes Gesicht werfen können, als der Fremde die beiden Brüder in das Badezimmer geschlossen hatte. Rücken an Rücken hatte er sie auf den Fliesenboden gesetzt und mit Kabelbindern ihre Daumen zusammengebunden. Erdan hatte schlimm ausgesehen und sie war sicher, dass er rasch einen Arzt brauchte. Was hatte Malik nur wieder angestellt, dass ein derartiger Racheengel über sie hergefallen war? Sofort musste sie an das Geld denken, dass er bei sich gehabt hatte. Unbewusst huschte ihr Blick zu der Kommode, in die sie die beiden Bündel gestopft hatte, um sie vor ihren Brüdern zu verstecken. Einen kurzen Moment nur verweilte sie mit ihren Augen auf der obersten Schublade. Er reichte jedoch aus, denn ihr Gegenüber drehte sich, ihren Blick auffangend und verlängernd in Richtung Tür. Ruhig stand er auf und trat an die Kommode. Er fand die Scheine sofort.

      Nachdenklich wog er die Bündel in der Hand. Fünf bis zehntausend Euro, schätzte er. Leider ein deutliches Zeichen, dass es sich nicht mehr um eine bloße Verkettung unglücklicher Zufälle handelte. Dieser Malik schien das Geld tatsächlich an sich genommen zu haben. Was ihn wiederum zu seinem Kunden machte.

      Der Mann schob das Geld in die Tasche seines Mantels Er strich sich nachdenklich