Karl Zbigniew Grund

Wie das Leben so spielt


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noch ziemlich neu im Geschäft. Das wird nicht einfach werden.

      „Tja, den Umständen entsprechend. Und ich muss gestehen, dass ich neugierig bin, neugierig auf sie und ihre therapeutischen Fähigkeiten“.

      Sie lächelt leicht dezent. „Muss mir auch erst mal ein Bild machen und dann die Frage beantworten, ob Vertrauen möglich ist, bevor wir uns ernsteren Problemen zuwenden“, fahre ich fort.

      „Wie fühlen sie sich denn so, wenn man überhaupt fragen darf?“

      Diese Gegenfrage ist nicht sonderlich beliebt bei den Psychos, sie untergräbt die notwendige Distanz.

      „Natürlich dürfen sie fragen. Also mir geht es gut, bin auch nicht hier untergebracht wie sie“.

      „Sie haben recht, es ist nicht freundlich hier, aber hier gedeiht auch alles, was ihr psychologisches Herz höher schlagen lässt. Hier schenkt man sich Neurosen, Depressionen und manchmal auch Psychosen. Ich kann mich leider noch nicht entscheiden“, antworte ich.

      Sie lächelt mich viel sagend an und schaut mir in die Augen. „Ich nehme alles an, bin da nicht sonderlich wählerisch“, sagt sie einfach so.

      Ich stelle sie mir plötzlich ganz anders vor. Ihre weiche Haut, ihre Rundungen, alles offen für mich. „Ich habe noch die Halluzinationen vergessen, die man hier so bekommen kann“, sage ich noch, ebenfalls leicht lächelnd.

      „Haben sie welche?“

      „Also, momentan stelle ich mir vor, wie sie mich begleiten in den tiefen dunklen Wald und mir helfen, dort mein Gesicht zu finden. Können sie damit was anfangen?“

      Sie schaut mich etwas ungläubig an.

      „Ich glaube auch so, dass sie Probleme haben“. „Ja, unterbreche ich sie, „und sie glauben gar nicht, wie schnell man sein Gesicht verlieren kann“.

      Die Gemeinschaftszelle

      So, jetzt komm langsam in die Gänge. Was spielst du denn? Immer mit der Ruhe, Jungens, wir spielen Pik – Pikus der Waldspecht. Du kommst raus, sagt Roger zum Stefan. Ist doch nicht dein Ernst, da gebe ich dir direkt einen mit – Kontra, sagt Frank.

      Die drei Untersuchungsgefangene spielen Skat. Peter, der vierte in der Runde, ist vorhin zum Besuch abgeholt worden. Stefan ist der jüngste und der einzige, der nicht wegen Drogen im Knast gelandet ist. Dummerweise ist er bei seinem allerersten Wohnungseinbruch erwischt worden. Es ist auch sein erster Aufenthalt in einer Haftanstalt. Am meisten macht ihm die Trennung von seiner Freundin zu schaffen. Er hofft auf eine baldige Entlassung. Seine drei Mithäftlinge haben dagegen grundsätzlich andere Probleme. Roger ist immer noch mit seinem Methadonentzug beschäftigt. In den letzten zwei Wochen war er fast bewegungsunfähig. Inzwischen geht es ihm etwas besser. Er kann sich von seinem Bett herunter gleiten lassen und kann auch ein paar Schritte gehen, wenn es unbedingt sein muss. Ebenso kann er wieder essen ohne zu würgen und zu kotzen. Es hätte ihn auch härter treffen können. Kalter Entzug von Methadon ist lebensgefährlich. Inzwischen wird die Angelegenheit etwas abgemildert. Die ersten Tage bekommt man noch etwas Methadon, das aber in wenigen Tagen auf Null herunter gefahren wird. Dramatisch genug. Frank hat sich dagegen in weiser Voraussicht gar nicht erst auf dieses Ersatzmittel eingelassen. Der Entzug von Heroin verläuft nur wenige Tage richtig dramatisch und krass. Ab dem vierten Tag geht es meistens wieder aufwärts.

      Frank und Peter sind schon lange dabei. Sie kennen sich aus in den Knästen und therapeutisch angehauchten Einrichtungen. Als Vollblut-Polytoxikomane durfte Peter auch schon mal die Heilkunst einer psychiatrischen Klinik in Anspruch nehmen. Leider ohne Erfolg.

      Im Knast werden Drogenabhängige in der Regel zuerst auf einer Gemeinschaftszelle untergebracht, weil man ihnen suizidale Absichten unterstellt.

      Hoffentlich lässt sich unser Peter nicht erwischen, bemerkt Frank, während er eine Karte aufspielt. Glaub ich nicht, erwidert Roger, so blöd ist er nicht. Peter ist ein alter Hase. Ja schon, aber es kommt darauf an, wer den Besuch abhält. Manchmal hast du da so einen Knallkopf mit am Tisch sitzen, der dir ununterbrochen auf die Finger schaut. Ein falsches Wort, eine falsche Bewegung und er bricht den Besuch einfach ab. Peter ist abgewichst, dem wird schon was einfallen. Es gibt immer eine Möglichkeit. Stell‘ dir mal vor, die Alte bringt nichts mit, sagt Frank, dann kriegt er seine Befehle. Sie unterbrechen das Kartenspiel. Dann kriege ich aber auch Befehle, dann häng‘ ich mich weg. Jou, da mache ich direkt mit, dann können wir hier Probehängen veranstalten.

      Ihr seid ja vielleicht drauf, meldet sich Stefan zu Wort, der sich aus den Fachgesprächen meistens heraus hält. Sei du mal still, Kleiner, unterbricht ihn Frank, lern‘ erst mal, wie man einen richtigen Bruch macht, wie man eine Tür vernünftig und sauber aufkriegt, bevor du dich mit Erwachsenen unterhälst. Ach, der macht sich wegen seiner Perle ganz verrückt, sagt Roger, die Sorgen müsste ich auch mal haben. Frank dreht sich eine Zigarette.

      Hoffentlich muss er sich nicht ausziehen. Dann muss er das Zeug nämlich schlucken und wir können dann mindestens zwei Tage warten, bis er es wieder auskackt. Das halte ich nicht aus. Ach was, ein paar Kannen Salzwasser trinken, dann kotzt er das schon wieder aus. Da sorge ich für.

      Roger nimmt seine Karten wieder auf. So, was spielen wir hier eigentlich? Pik, sagt Stefan leise, du spielst Pik. In diesem Augenblick wird die Tür aufgeschlossen. Peter kommt herein. Die Tür wird sofort wieder verriegelt. Peter gibt sich lässig, geht langsam zu seinem Schrank und legt dort paar Päckchen Tabak und Süßigkeiten ab. Die anderen sitzen wie erstarrt am Tisch. Keiner sagt ein Wort. Also, viel ist es nicht, aber besser als nichts, sagt er betont gelassen. Ich könnt dich knutschen, begeistert sich Frank, jetzt mach mal fertig, bin schon ganz fertig mit den Nerven. Immer mit der Ruhe, ich komm ja schon, sagt Peter und greift sich seinen Teelöffel. Frank steht auf, geht zum Fenster und holt dort unter dem Gitter ein Päckchen hervor. Ich bin Zweiter, sagt er, holt schon mal einer die Zitrone. Bist du positiv?, fragt Roger während er Zitronensaft aus seinem Schrank holt. Weiß ich nicht, antwortet Frank, Aids kann heute jeder von uns haben. Heißes Wasser durch jagen und dann ist das schon in Ordnung. Peter setzt sich an den Tisch. Er öffnet einen kleinen unscheinbaren Beutel, benetzt seinen Zeigefinger mit der Zunge und nimmt eine kleine Probe von dem bräunlichen Pulver. Das Zeug soll ziemlich stark sein, meint meine Frau. Wir sollten die Sache vorsichtig angehen. Mit dem Messer schaufelt er sich eine kleine Portion auf den Löffel, fügt dann ein paar Tropfen Zitronensaft hinzu und etwas Wasser. Frank reicht ihm fürsorglich sein Feuerzeug und hat auch schon einen kleinen Filter fertig gerollt. Nach einer Weile zieht Peter die hellbraune Flüssigkeit mit der Spritze auf. Wir brauchen ein neues Instrument, sagt er nachdenklich. Die Pumpe hier, die ist schon durch den halben Bau gewandert. Peter braucht seinen Arm nicht abzubinden. Er hat da noch eine Vene, die er auf Anhieb trifft. Passt auf, Jungens, das Zeug kommt gewaltig, sagt er, während Frank ihm die Spritze abnimmt und sie kurz mit kaltem Wasser durchspült. Peters Gesicht hat sich inzwischen dramatisch verändert. Seine Pupillen sind völlig verengt. Er kratzt sich langsam an der Nase. Frank hat noch eine brauchbare Vene am unteren Bein. Beim zweiten Versuch trifft auch er. Jetzt greift sich Roger die Spritze. Zwischenzeitlich hat er bereits Wasser mit dem Tauchsieder erhitzt, aber es kocht noch lange nicht.

      Denk daran, wir haben nur die eine Pumpe. Die ist bald hinüber, wenn du die zu lange auskochst, bemerkt Peter während sein Kopf langsam zur Tischkante hinab sinkt. Mach dir keine Sorgen, ich mach das schon, sagt Roger. Er spült die Spritze mit dem lauwarmen Wasser einmal kurz durch. Wie sagt man so schön: gib Aids eine Chance, bemerkt er noch und bindet sich den Arm ab. Aber auch beim dritten Versuch trifft er nicht. Das angezogene Blut droht zu gerinnen.

      Soll ich es dir machen?, fragt Frank. Ich kann das wirklich gut. In Ordnung, nimm aber besser den Hals, sonst geht es nicht. Roger hält die Luft an, damit die Halsschlagader anschwillt. Frank, der alte Routinier, trifft sofort.

      In der Zwischenzeit torkelt Peter zum Klo. Man hört ihn kotzen. Könnt ihr mir auch etwas abgeben?, fragt Stefan, der die ganze Zeit kein Wort