Hanna Goldhammer

Ohne mich


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Erde kennst. Aber es gibt einige Besonderheiten. Zum einen, wenn dir die Einrichtung hier nicht gefällt, kannst du dir einfach eine andere wünschen. Aber das mit „alles ist hier so wie du es haben möchtest“ habe ich ja bereits versucht zu erklären. Doch stell dir einmal vor, heute magst du ein Himmelbett haben und morgen lieber ein Wasserbett, und Schwupp es ist immer genau so wie du es haben möchtest! Ist das nicht der absolute Wahnsinn? Gut, noch kannst du das Ganze nicht wirklich nachvollziehen, aber glaub mir, es IST der absolute Wahnsinn! Eine weitere Besonderheit ist dieser Raum hier!“ David deutete auf die einzige geschlossene Tür, die ich sehen konnte. Direkt daneben war wohl die Küche und gerade befanden wir uns im Wohnzimmer.

      „Was glaubst du wohl, was sich hinter dieser Tür verbirgt?“, fragte David begeistert. Er schien aufgeregter zu sein als ich.

      Ahnungslos zuckte ich mit den Schultern. Ich hasste es etwas erraten zu sollen, vor allem wenn ich nicht die geringste Ahnung hatte.

      „Dieser Raum ist voll mit Türen, die dich direkt zu deinen bereits verstorbenen Liebsten bringen. Verwandte, Freunde, Bekannte. Sie alle findest du im Himmel ganz schnell wieder, wenn du durch die jeweilige Tür gehst. Natürlich kannst du auch einfach aus deinem Haus rausgehen und irgendwelche Leute treffen. In einer Stadt sind schließlich auch immer Menschen unterwegs. Aber wenn du zu jemandem Bestimmten willst, bist du in diesem Raum genau richtig!“

      Verstorbene Verwandte, Freunde oder Bekannte treffen? Daran hatte ich noch gar nicht gedacht. Aber jetzt löste dieser Gedanke eine wohlige Wärme in meinem Herzen aus. Ich würde Oma wiedersehen. Endlich. Eigentlich war „endlich“ übertrieben, schließlich war sie erst vor einem Jahr verstorben. Aber eben deshalb war der Schmerz noch so frisch. Ich hatte sie so sehr vermisst. Und jetzt würde ich sie wiedersehen, dann wäre ich auch nicht so alleine an diesem so sonderbaren Ort. Ich atmete noch einmal durch, dann ging ich einen Schritt nach vorne und öffnete die Tür.

      Leer. Der ganze Raum war leer! Es gab keine einzige Tür, außer die mit der man den Raum betreten konnte. Ansonsten war der Raum einfach komplett leer. Es gab nichts! Sollte das ein schlechter Scherz sein? Irritiert blickte ich zu David. Dieser schob sich nun an mir vorbei in den Raum. Verblüfft schaute er sich um. Die Verwirrung stand ihm ins Gesicht geschrieben. Also sollte es wohl kein Scherz von ihm sein. Aber wieso zur Hölle gab es dann keine einzige Tür? Es gab doch verstorbene Menschen an denen mir etwas lag, Menschen die ich sehr gerne wiedersehen würde!

      „Da stimmt anscheinend irgendetwas nicht. Da muss wohl irgendein Fehler vorliegen. Ich meine, das kann doch gar nicht sein!“, stellte David nachdenklich fest, „Ich werde mich am besten sofort bei meinem Vorgesetzten darüber informieren. Warte am besten hier im Haus irgendwo.“ Kopfschüttelnd verlies David den Raum. So etwas hatte er noch nie gesehen.

      Ich beschloss ins Wohnzimmer zu gehen und etwas zu fernsehen, um mir die Zeit zu vertreiben. Ich wusste nicht genau was ich erwartet hatte, als ich den Fernseher anschaltete, doch als ich die gleichen Programme sah die es auch auf der Erde gab, war ich doch überrascht. Hier ist alles möglich. Ist das nicht der Wahnsinn? Davids Worte hallten in meinen Ohren wieder. Wann ich mich daran wohl gewöhnen würde? Ich zappte durch die Fernsehprogramme und musste feststellen, dass es doch nicht genauso war wie auf der Erde. Hier liefen genau die Dinge die ich sehen wollte! Ich war so begeistert von dem Fernseher, dass ich gar nicht merkte wie David das Haus betrat. Auf einmal stand er neben mir.

      „Und?“, fragte ich erwartungsvoll, doch Davids Anblick ließ mich zögern. Wo war die Begeisterung? Das „Alles-ist-der-absolute-Wahnsinn“ Gefühl?

      „Es liegt kein Fehler vor“, antwortete David trocken, „Es ist wegen deinem Wunsch. Wenn du niemals auf der Erde existiert hast, gibt es niemanden den du hast. Es gibt keinen einzigen Toten, der dich kennt oder dem du viel bedeutest, schließlich hast du dir gewünscht, dass es dich niemals gegeben hat. Deshalb bist du türenlos.“

      Wortlos starrte ich David an. Ich konnte einfach nicht begreifen was er gerade gesagt hatte. Und dann war da wieder diese Leere. Unfähig traurig zu sein, aber viel zu traurig um fröhlich zu sein, fühlte ich einfach nichts. Nicht einmal weinen konnte ich, auch wenn ich es jetzt gerne getan hätte. Dieses Paradies sollte der glücklichste Ort überhaupt sein, aber selbst hier wollte es mir nicht gelingen glücklich zu sein. Stattdessen fühlte ich nichts.

      „Aber das kann doch nicht sein! Ich meine, meine Oma gibt es doch trotzdem. Magdalena Rosenberg. Sie muss doch auch irgendwo hier im Himmel sein. Kann ich sie nicht besuchen?“, fragte ich schließlich.

      „Natürlich ist die Frau die du als deine Oma kennst auch irgendwo hier“, antwortete David, „Aber für Magdalena Rosenberg bist du eine völlig Fremde. Du bist nicht mehr ihre Enkelin. Das klingt hart, aber nach deinem Wunsch ist sie auch nicht mehr deine Oma. Es wird das Beste sein, wenn du sie nicht besuchst. Es tut mir leid.“

      Oma Leni würde mich also nicht einmal erkennen, wenn ich jetzt vor ihr stünde. Ich war alleine. Mutterseelenalleine, an einem Ort der für mich so eigenartig und neu war. Es war nicht leicht.

      „Und jetzt?“, fragte ich David.

      „Was du jetzt machst, ist deine Entscheidung. Ich würde einfach rausgehen und neue Leute kennenlernen, das geht hier schließlich genauso wie auf der Erde. Es gibt ein Café, wenn du willst kann ich es dir zeigen, dort treffen sich andere Tote mit wenigen Türen. Türenlose gibt es zwar so gut wie nie, aber wirklich alleine bist du nicht. Kinder die kurz nach der Geburt verstorben sind, bevor sie jemanden kennenlernen konnten. Waisenkinder die ihre Eltern nie kennengelernt haben. Menschen die sich abschotten, Einzelgänger sind und kaum Freundschaften geschlossen haben. Menschen, die wenige Türen haben, suchen hier oft nach neuen Freunden und dann bekommen sie Türen. Eine nach der anderen. Man muss nur bereit sein sich zu öffnen. Wenn du das auch möchtest, kann ich dir dieses Café zeigen, jeder Zeit. Du kannst natürlich auch an anderen Orten versuchen Menschen kennenzulernen. Falls du das möchtest.“

      Ich nickte. Das alles war viel zu viel um es verstehen und akzeptieren zu können. Ich war also türenlos. Mein Wunsch hatte dafür gesorgt, dass ich hier im Himmel niemanden mehr hatte. Aber es gab noch andere die kaum jemanden hatten. Aber wollte ich diese Menschen wirklich kennenlernen? Ich könnte auch hierbleiben. In meinem Haus. In meinem eigenen kleinen Paradies. Das erschien mir zunächst als das Einfachste, aber war es auch das Beste? Ich konnte doch nicht für immer alleine bleiben. Ich sollte mir diese anderen Menschen zumindest einmal anschauen. Vielleicht würde es ja ganz nett werden.

      „Kannst du mir dieses Café zeigen?“, fragte ich schließlich.

      „Aber natürlich!“, antwortete David und man konnte ihm ansehen, dass er erleichtert darüber war, dass ich nicht alleine hierbleiben wollte. Er schien sich um mich zu sorgen und das bereits seit ich sehen wollte, wie es meiner Familie auf der Erde ging. Mein daraus resultierender Wunsch und nun die Tatsache, dass ich keine einzige Tür hatte, schienen seine Sorgen noch mächtig zu verstärken. „Lauf mir einfach nach!“

      Wie von ihm empfohlen, lief ich David einfach hinterher. Ich versuchte mir den Weg den wir gingen gut einzuprägen, um wieder zurück zu finden. Aus dem Haus raus, die Straße entlang, rechts, zweimal links, die Kreuzung gerade überqueren und dann noch einmal rechts. Unterwegs betrachtete ich alles neugierig. Doch ich konnte nicht den geringsten Unterschied zu einer gewöhnlichen Stadt auf der Erde feststellen. Alles sah so normal aus. Dann waren wir da. Café Nr.0. Passender Name. David blieb vor der Tür stehen und drehte sich zu mir.

      „So, ab hier musst du alleine weiter. Ich kann dich leider nicht mit in das Café begleiten, aber das schaffst du schon! Wenn etwas ist, musst du in deinem Haus nur den Hörer des Telefons abnehmen, dann wirst du automatisch zu mir durchgestellt. Aber ich bin mir sicher du wirst dich ziemlich schnell hier im Himmel zurechtfinden! Früher oder später gefällt es einfach jedem hier! Ist das nicht-“

      „-der absolute Wahnsinn!“, vollendete ich grinsend seinen Satz.

      David lächelte mich noch einmal an, nickte mir zu, drehte sich um und ging. Dann stand ich alleine da. Wieder einmal vor einer geschlossenen Tür und wieder einmal fragte ich mich was sich wohl dahinter befand. Hoffentlich etwas Besseres als hinter der letzten Tür. Endlich konnte ich mich überwinden