Hanna Goldhammer

Ohne mich


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Blick nach rechts oder links zu werfen. Ich fühlte mich so beobachtet und ich hasste dieses Gefühl. Am Platz angekommen, ließ ich mich auf einen der Stühle fallen und atmete erst einmal durch. Na toll, jetzt saß ich ganz alleine an einem Tisch in dem Café, in das ich gegangen war, um Menschen kennenzulernen. Das hab ich ja mal wieder ausgezeichnet hinbekommen. Mir ist es noch nie leicht gefallen auf Menschen zuzugehen, aber jetzt wo ich ganz alleine war, wäre es nicht schlecht, wenn ich ein wenig offener wäre. Wäre ich in meinem neuen Haus gewesen hätte ich vermutlich sofort den Telefonhörer abgenommen und David gesagt, dass er gefälligst wieder zurückkommen soll. Aber ich war nicht in meinem Haus, ich war hier im Café. Da musste ich jetzt einfach alleine durch. Ich ließ meinen Blick durch das Café schweifen. Überwiegend junge Leute, auch einige die aussahen als wären sie in meinem Alter. Ich fragte mich, warum sie hier waren, also warum sie so wenige Verwandte oder Freunde hier im Himmel hatten. Bedeutete das nicht automatisch, dass sie ein trauriges Leben hatten? Eine Frau, die wie ich richtig vermutete Kellnerin dieses Cafés war, kam an meinen Tisch, begrüßte mich und stellte mir eine Tasse Schokomilch hin. Ich staunte nicht schlecht, denn nach genauso einer Schokomilch hatte ich mich gerade gesehnt. Das war also das Paradies. Die Schokomilch schmeckte einfach himmlisch. Ich fühlte mich gleich ein ganzes Stück besser. David hatte sicher Recht wenn er sagte, dass es früher oder später jedem hier gefallen würde.

      „Hallo! Ist der Platz noch frei?“

      Erschrocken zuckte ich zusammen. So in Gedanken versunken hatte ich das Mädchen das direkt vor mir stand gar nicht bemerkt. Sie sah etwas jünger aus als ich, vielleicht 13 oder 14 Jahre alt. Sie hatte dunkles, kurzes Haar, das ein wenig durcheinander war. Sie hatte grüne, katzenartige Augen und einige Sommersprossen auf der Nasenspitze. Sie sah frech aus, machte aber gleichzeitig einen sehr netten Eindruck. Erst als sie mir fragend zunickte fiel mir auf, dass ich ihr noch keine Antwort gegeben hatte.

      „Ja natürlich ist der Stuhl frei. Setz dich doch“, antwortete ich hastig.

      „Cool! Ich heiße Lotte und du? Du bist neu hier, oder?“, sprudelte sie hervor.

      „Ich heiße Sabrina und ja, ich bin erst seit heute hier“, antwortete ich etwas verlegen.

      „Wusste ich doch, dass ich dich hier noch nie gesehen habe!“, grinste Lotte frech, „Und wie findest du es bis jetzt hier? Wahrscheinlich brauchst du ein wenig Zeit, um dich einzugewöhnen, aber du wirst sehen, dass es gar nicht so übel ist wie man erst denkt! Was hast du dir eigentlich gewünscht? Das mit dem Wunsch fand ich am aller Besten! Ich habe mir gewünscht, dass ganz viele Leute auf meine Beerdigung gehen! Sogar Frau Knobloch, die Leiterin des Kinderheims, die mich eigentlich noch nie ab haben konnte ist hingegangen! Und sie hat allen Kindern des Heims erlaubt zu kommen. Ohne den Wunsch wäre wohl kaum jemand gekommen, aber so haben ganz viele Leute an mich gedacht! Also was hast du dir gewünscht?“

      Erwartungsvoll haftete Lottes Blick an mir. Sie war mir auf Anhieb sympathisch. Sie hatte von der Leiterin eines Kinderheims erzählt, ob Lotte wohl in einem Heim gelebt hatte? Das würde erklären, warum sie hier im Café Nr.0 war. Warum sie so wenige Türen hatte. Irgendwie tat sie mir ein wenig Leid und gleichzeitig wusste ich, dass es keinen Grund dafür gab, denn man konnte ihr so deutlich ansehen wie glücklich sie nun war.

      „Ich habe mir gewünscht, dass es ist, als hätte ich niemals existiert, als wäre ich niemals geboren worden. Ich wollte, dass sich auf der Erde niemand mehr an mich erinnern kann und niemand wegen meines Todes trauern muss“, antwortete ich schließlich.

      Lotte starrte mich mit großen Augen an. „Das ist das aller Dümmste was ich je gehört habe!“, entfuhr es ihr plötzlich lachend.

      „Wieso denn?“, fragte ich irritiert.

      „Deine Familie hat dich sicher über alles geliebt! Und jetzt haben sie nicht nur dich verloren, sondern auch noch alle Erinnerungen an dich!“, erklärte Lotte energisch.

      „Aber ich wollte doch nur, dass es ihnen gut geht! Ich wollte ihnen das Leid ersparen. Sie waren so fertig wegen meines Todes!“, entgegnete ich.

      „Und jetzt? Weißt du wie es ihnen jetzt geht? Ich meine jeder Mensch hinterlässt doch seine Spuren auf der Erde. Jeder trägt einen kleinen Teil zum Ganzen bei. Woher willst du wissen, dass es jetzt ohne dich besser ist?“, fragte Lotte skeptisch.

      „Ich weiß nicht“, gab ich verlegen zu, „Aber, es muss ihnen doch besser gehen! Ich hab nichts Großartiges vollbracht. Ich glaube die Welt kann sehr gut auf meinen Beitrag verzichten und ohne mich auskommen.“

      „Wenn du dich da mal nicht täuschst“, bezweifelte Lotte, „vielleicht sollten wir uns mal anschauen, wie es deinen Leuten jetzt so auf der Erde geht? Komm einfach mit zu mir. Das wird bestimmt lustig! Wie ein DVD-Abend von zwei Freundinnen! Was hältst du davon?“

      Lotte strahlte. Ihre Augen leuchteten vor Begeisterung.

      Ich erinnerte mich an all die lustigen DVD-Abende die ich mit Laura verbracht hatte und dann dachte ich daran wie alleine ich bis gerade eben noch gewesen bin. Außerdem interessierte es mich tatsächlich wie es nun so auf der Erde aussah, so ganz ohne mich. Lottes Vorschlag war also gar keine schlechte Idee und so kam es, dass ich zusagte und wir schon eine Viertelstunde später bei Lotte Zuhause waren. Lottes Haus sah im Grunde genauso aus wie das was David mir gezeigt hatte, nur sehr viel unordentlicher.

      „Ich hoffe das kleine Chaos hier stört dich nicht“, sagte Lotte beiläufig während sie in der Küche an der Popcornmaschine hantierte.

      „Nö. In meinem Zimmer, auf der Erde, sah es immer genauso aus. Und hier im Himmel wird es bei mir wohl auch nicht anders werden. Ich hasse aufräumen einfach!“, antwortete ich.

      „Aber hier im Himmel musst du doch nicht aufräumen!“, rief Lotte belustigt, „Hier im Himmel musst du eigentlich gar nichts. Ich müsste nicht einmal Popcorn machen, sondern könnte uns einfach Popcorn wünschen und *Schwupp* es wäre da. Aber das wäre wohl ziemlich langweilig. Und in einem perfekt aufgeräumten Haus würde ich es wohl kaum einen Tag aushalten! Ich liebe das Chaos einfach. Da fühl ich mich gleich viel wohler. Außerdem sieht man so sofort, dass hier jemand wohnt.“

      „Oh. Ja die Sache mit ‚Hier im Himmel ist alles möglich‘ hab ich irgendwie noch nicht so ganz raus“, gab ich verlegen zu, „Daran werde ich mich wohl erst noch gewöhnen müssen.“

      „Ist schon in Ordnung. So geht es doch allen, wenn sie neu hier sind und die meisten stellen sich noch viel dümmer an als du!“, kicherte Lotte.

      Dann war das Popcorn auch schon fertig und wir machten es uns auf Lottes Sofa gemütlich.

      „Ich würde sagen wir fangen erst einmal harmlos an“, schlug Lotte vor, „Wie bist du noch einmal umgekommen? Du wurdest von einem LKW überfahren, oder? Wie wär’s wenn wir uns zuerst einmal anschauen, wie es dem LKW-Fahrer nun geht. Ohne den Unfall kann es ihm ja eigentlich nur besser gehen!“

      Ich nickte zustimmend. Ich brannte zwar darauf meine Familie und auch Laura zu sehen, aber irgendwie hatte ich auch ein wenig Bammel davor. Peter der LKW-Fahrer war für den Anfang genau richtig.

      Lotte zeigte mir welche Tastenkombinationen sie drücken musste, damit wir genau das sehen konnten, was wir auch wollten und dann ging es auch schon los.

      Peter: Tag 0

      Noch einhundertzwanzig Kilometer. Einhundertzwanzig Kilometer und dann war ich endlich da. Feierabend! Ich konnte es kaum noch erwarten. Dann noch schnell auf ein kühles Bier zu Matze und dann ab ins Bett. Und morgen ging das alles wieder von vorne los. Ich hasste meinen Job. Und dann klingelte bereits zum vierten Mal mein Handy. Genervt blickte ich auf das Display. Mein Anwalt, schon wieder. Konnte der sich nicht denken, dass ich während des LKW-fahrens nicht telefonieren konnte? Zumindest nicht ohne Freisprechanlage und die war kaputt. Schon seit Monaten war sie das, aber wen interessierte es? Vermutlich dachte mein Anwalt ich hätte nur keine Lust seinen Anruf entgegen zu nehmen, nur um von ihm über die neusten negativen Ereignisse in meinem Scheidungsprozess in Kenntnis gesetzt zu werden. Irgendwo stimmte das ja auch und ich hatte in der Tat schon