Dorothea Doris Tangel

Ich und der Fisch, der Fisch und ich


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damit keiner das laute „Krampfschluchzen“ sieht und um, als es aufhört die Nase zu putzen und das Gesicht trocken zu wischen. Dort es gibt exakt noch ein Blatt Klopapier und nix für die Hände. Die Nase läuft mir wie blöd, aber es reicht. Ich wasche mir die Rotze und die Tränen mit Wasser ab und reibe mich mit diesem winzigen Stück Papier trocken.

      So komme ich endlich einmal dazu das Grab meiner Eltern zu besuchen. Vielmehr die moderne Urnenmauer. Ich gehe nicht gerne auf Friedhöfe, habe früher nur immer meine Mutter begleitet. Ich starre diese Mauer mit den vielen Nischen an. Schöner Schriftzug. Aber hier fühle ich nie etwas. Ist ja nur Asche und ein paar Steine. Meine Eltern sind woanders und wir kommunizieren ab und zu noch miteinander, dafür brauche ich nicht auf den Friedhof zu gehen, denn sie sind ja aus Luft und können überall sein wo sie wollen. Sie brauchen ja keine Bahn mehr fahren zu müssen um wohin zu kommen, sie brauchen nur daran zu denken und schon können sie China besuchen.

      Neben meinen Eltern ist die Urne der besten Freundin meiner Mutter. Haben sie gut hingekriegt. Ob das Zufall ist oder ob sie das so geplant hatten?

      Sie waren ein ganzes Leben miteinander verbunden und haben sogar mit 14 ihre Lehre als Wäscherin und Büglerin gemeinsam gemacht und hatten eine Beziehung, die immer von Treue, Respekt und Liebe geprägt war. Eine karmische Verbindung. Über die Spanne eines einzigen Lebens hinaus. Wer weiß wie oft die beiden schon auf den Schlachtfeldern der Weltgeschichte, Seite an Seite gekämpft haben, für Cäsar, Alexander und den Kaiser, froh sich heute wiedergefunden und diesen Krieg überlebt zu haben?

      Mutter meinte damals, wenn ich mit ihr die Runde machte um die Gräber zu versorgen: „Ich nehme mir so eine Nische in der Urnenmauer, so braucht sich keiner darum kümmern und ich bezahle auch alles vorher, weil du ja nie Geld hast, damit ich nicht verscharrt werde (wie Mozart) und ein Grab wird von Dir sowieso nie gepflegt werden weil du nicht freiwillig hierher gehst.“

      Recht hatte sie.

      Die Bank, auf die ich mich damals immer gesetzt hatte ist nicht mehr da. Auf der hatte ich immer mit meiner Mutter gesessen, nachdem die Runde gemacht war und wir wieder am Ausgang angekommen waren. Alle Gräber wurden gewissenhaft besucht und bei jedem gab es die gleiche Geschichte, die ich zwar kannte und schon mitsprechen konnte, aber ich gönnte ihr den Besuch bei ihren Ahnen und alten Freunden und Parteikollegen und die Erinnerungen daran. Aber bei meinem Vater, ihrem eigenen Mann (für 50 Jahre!) wollte sie nur schnell vorbeihuschen. Hier sagte ich dann jedes Mal: "Ich rauche noch eine", und setzte mich einfach um mir eine Zigarette zu drehen und sie setzte sich dazu. Wohl oder übel. Lieb.

      Dann sprachen wir manchmal über ihm und die Erinnerungen waren nicht mehr so verletzend. Arme Mutter, armer Vater. Immer waren sie uneins gewesen immer hatten sie sich bekämpft. Ob sie sich jemals verzeihen werden können, in zukünftiger Zukunft, wenn sie sich wiedertreffen und ob sie womöglich eines Tages Freunde werden könnten?

      Nach ihrer beider Tod hatte ich einmal einen Traum, in dem sie, nach einer gewissen Zeit des Übergangs gemeinsam unterwegs waren und sich tatsächlich vertragen hatten. Sie sahen gut aus und sprühten vor Lebendigkeit. Sie hatten volle und leuchtende Haare in einer satten Farbe, wie ich oft bei Verstorbenen, die sich von mir noch schnell verabschiedeten, in der Nacht in der sie gegangen waren beobachtet habe.

      Der Tod ist anscheinend eine Art Jungbrunnen für Lebenskraft, wenn der Schock überwunden ist dass der Körper sich nun auflöst. Aber man erkennt auch, wenn man sich wieder beruhigt hat, dass das „Ich bin“ immer noch da ist und gar nicht sterben kann. Wir sind ja nicht nur unser Körper! Auch Nichtmaterie existiert und ist real und sie kann gutes wie Verheerendes anrichten, man denke nur an Radioaktivität, die ganze Landstriche über Jahrtausende unbewohnbar machen kann obwohl man sie nicht sieht!

      Meine Eltern kamen, nach dem Tod ihrer irdischen Hülle anscheinend gut miteinander aus. Das überraschte mich. Sie waren so friedlich zusammen, wie ich sie selten erlebt hatte und sie hatten auch viel Wichtiges und anscheinend Interessantes zu tun, denn sie machten einen glücklichen und auch einen vielbeschäftigten Eindruck.

      Auch dort „drüben“ gibt es zu tun, denn viele von uns kümmern sich um die zurückgebliebenen (örtlich, nicht geistig), auch wenn wir das hier nur selten mitkriegen. Und wenn, denken wir, wir hätten uns nur eingebildet dass ein verstorbener Vertrauter nach uns schaut oder uns gerade bei einer schwierigen Sache geholfen hatte. Es ist tatsächlich so. Wir übernehmen auf der anderen Seite gerne solche Aufgaben. Denn nun sind wir befreit von der Schwere des Erdendaseins, dem ständig urteilen und überleben zu müssen und wir sind auch unseren Gefühlen nicht so ausgeliefert wie auf dieser, auf der körperlichen Seite…

      Ich glaube auch dass wir uns, als Seelen ziemlich viel um die vergiftete Umwelt kümmern müssen, denn die Erde ist ja auch ein Lebewesen, das gerade, von einigen hirnverbrannten Idioten ermordet werden soll. Weil ihnen ihr Portemonnaie wichtiger ist als ihre Lungen. Sie wissen nicht, so kluge und studierte Männer dass wir alle, sekündlich die Luft zum Atmen brauchen…

      *

      Heute Mittag fängt mein Herz plötzlich an weh zu tun. Ich kann kaum noch atmen, und wenn ich huste oder niesen will gibt es einen Stich in der Brust daß ich denke, ich stehe kurz vorm Infarkt.

      Werde ich jetzt sterben? Ist es also soweit? Mein armer Kater. Was wird aus ihm? Wer wird sich um ihn kümmern? Soll ich schon mal nach Jemandem suchen der ihn nimmt? Habe ich noch Zeit? Was, wenn ich ins Krankenhaus muss? Werde ich operiert werden müssen? Meine Venen sind bestimmt ziemlich am Ende, bei den vielen Lastern die ich gelebt habe…

      Habe heute gehört, daß ein berühmter Schauspieler das Rauchen aufgegeben hat. Er ist mittlerweile 103 Jahre alt. Er hätte 90 Jahre geraucht. Aha.

      Was mache ich mir eigentlich so einen Stress? Ach so, ich bin ja pleite. Aber irgendwie bin ich auch innerlich pleite. Mein Selbstwert ist auf dem Nullpunkt und mein Immunsystem bricht bei der kleinsten emotionalen Irritation sofort total zusammen. 40 Jahre Gewohnheit ist nicht einfach abzuschaffen, es kommt immer wieder hoch…

      Auf einem Plakat von einer Theatertruppe aus Niederrad steht dass sie hier proben und auftreten. Ich überlege ernsthaft ob ich dort mal anrufen soll. Wollte schon immer mal schauspielern...

      Der Chef von „det Janze“ ist ein Mann aus meinen Kindertagen, als ich im Faschingsverein in einer Garde getanzt hatte und mit 11 schon Büttenreden hielt, die ich nie verstanden habe. Aber ich habe die Leute gerne zum Lachen gebracht. Diesen Trainer habe ich noch in guter Erinnerung. Er war ein geduldiger, freundlicher und absolut gewaltfreier Mann. So eine kleine Nebenrolle für den Einstieg, warum nicht? Vielleicht könnte ich ihn ja überreden es einmal mit mir zu versuchen?

      Stelle mir vor daß ich wirklich Talent hätte und alle überrascht sind und mich bewundern und mich lieben. Am nächsten Tag schon habe ich es wieder vergessen!

      Gerade Niederrad ist mir nicht geheuer und ich will hier gar keine zusätzlichen neuen Kontakte, die mich womöglich mit meiner unseligen Vergangenheit verknüpfen, die ich ja gerade abzustreifen hoffe. Hier kennt jeder jeden. Überall nur nicht hier.

      Die Schmerzen in meiner Brust werden stärker. Habe ich überhaupt noch die Kraft weiterzuleben? Hat ja doch alles keinen Sinn mehr. Wer interessiert sich schon für meine Kunst? Wer will überhaupt noch etwas mit mir zu tun haben? Ich, das Jammertal...

      Wer weiß schon, was ich da alles gemalt, geschrieben und komponiert habe. Ich bin Luft. Warum ist immer alles was ich mache so nichts? So nicht wichtig? So nicht vorhanden? Nichts wert? Ich bin ein Nichts!

      Existiere ich noch? Kann man Jahre in einem Erdloch im Wald verbringen, ohne das überhaupt einer jemals erfährt daß man gelebt hat? Wozu hat man dann gelebt? Es ist als bin ich nicht mehr vorhanden. Mein ganzes Leben lang musste ich mich aufdrängeln. Wie ich das hasse. Da es mir das Gefühl vermittelt, dass keiner freiwillig mit mir zusammen sein will. Mit mir und wegen mir! Habe das Gefühl alle wollen mich nur schnell wieder loswerden. Mache ich andere unglücklich weil ich es selber bin? Geht es den anderen besser ohne mich? Der Grad ist gefährlich schmal auf dem ich gerade wandle, wenn ich vergesse warum und ob ich leben soll…

      Warum wurde ich nur geboren? Ich bin eine Last, für