Ralf J. Schwarz

Weg, einfach weg


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In seinen Träumen die er vor seiner Flucht hatte, war er stets alleine gut zurechtgekommen. Nun, schon am zweiten Tag, fehlte ihm Gesellschaft. Möglicherweise sehnte er sich aber auch nach dem nächtlichen Zwischenfall, nach der scheinbaren Sicherheit die menschliche Begleitung mit sich brachte. Langsam setzte er sich in Bewegung und folgte dem Weg weiter nach Süden.

       Schon nach nur wenigen Kilometern, spürte er die Nachwirkungen des Schlafentzuges, fühlte ein Hämmern das immer wieder seine Schläfen malträtierte. Das war seine erste Nacht gewesen und schon war sein schön erdachter Plan zu Staub zerfallen. Es musste eine neue Schlafgelegenheit her, eine die sicher war, die nicht sein Leben kosten würde. Er wollte und konnte doch nicht einfach in eine der Hütten oder Gaststätten gehen und nach einem Zimmer fragen. Hier würde jeder seinen Ausweis sehen wollen.

       Immer deutlicher meldeten sich die Schmerzen in seinen Beinen. Schwer ging sein Atem. Er wunderte sich über seine schlechte Kondition. Auf dem Laufband im Fitnesscenter konnte er mühelos eine Stunde laufen. Und nun verlange sein Körper schon nach so kurzer Zeit nach Ruhe. Sollte er schon so früh Rast machen? Nur eine kurze Pause? Immer lauter wurde das Verlangen seines Körpers, immer deutlicher manifestierte sich der Vorsatz, einen sicheren Platz zu suchen. Er blieb stehen und betrachtete die Landschaft. Sein Blick glitt über die grünen Flächen, die dunkel aus ihnen hervorragenden Baumreihen, die einen eigenen Lebensraum inmitten der Wiesen zu bilden schienen. Sein Auge braucht einige Sekunden um den braunen Hochsitz zu erkennen, der wie ein Wachturm vor der Waldparzelle stand. Hoch thronte die Holzkanzel über dem Boden, trotzig wie eine Befestigung mit einem hölzernen Dach, inmitten einer unwirtlichen Natur. Noch ehe er seinen Gedanken an eine gute Entspannungsmöglichkeit zu Ende gedacht hatte, riss er den Rucksack vom Boden und ging los. Minuten später saß er auf der aus runden, dünnen Fichtenstämmchen, die die Sitzbank bildeten und genoss die Aussicht.

       Jetzt war es vorrangig, wieder eine Struktur in sein Leben zu bringen. Ein Griff in den Rucksack und er zog ein schwarzes Notizbuch hervor. Der Entschluss, dieses linierte, in Leder gebundene Buch zu kaufen, war in Bregenz schnell gefallen. In Gedanken sah er sich irgendwo, irgendwann, vor einem brennenden Kamin sitzen und darin lesen. Ja! Der Vorsatz, ein Tagebuch zu führen, war ein guter Entschluss. Sein Bleistift kratzte über das Papier, zeichnete Linien, Wörter, bildete in kürzester Zeit Sätze, die seinen ersten Tag in Worte fassen sollten. Einen Tag den er, hätte er ihn in einem Roman gelesen, als Fiktion abgetan. Kurz nur schloss er die Augen, dachte über das erlebte nach, nur einige Augenblicke später schlief er tief und fest.

      Kapitel 13

      Volker May folgte dem roten BMW in Richtung Innenstadt. Ute van Geerden gab mächtig Gas und er war sich nicht sicher, ob die Frau vor ihm jemals so etwas Banales wie Verkehrsregeln zu beachten gelernt hatte. In rasender Geschwindigkeit folgten Spurwechsel auf Überschreiten der Geschwindigkeit, falsches Überholen wurde begleitet von Gefährdung von Fußgängern und Radfahrern. Und Volker versuchte, ohne bemerkt zu werden, an dem vor ihm fahrenden Wagen dran zu bleiben.

       Es überraschte ihn, dass eine so sanftmütig scheinende Frau, so rücksichtslos fahren konnte. Wo die beiden Autos auftauchten, erscholl kurze Zeit später ein Hupkonzert. Der Hupenlärm vermischte sich mit den Tönen der verkehrsbelasteten Innenstadt und schien in den engen, hohen Häuserschluchten zu einem infernalischen Intermezzo heranzuwachsen. Den anfänglichen Vorsatz, unentdeckt zu bleiben, verrann so mit jedem weiteren Meter. Als beide Wagen in Richtung Nieder-Eschbach rasten, konnte May dem BMW nicht mehr folgen. Nachdem Ute van Geerden das Rotlicht einer Ampel missachtend, eine schon vom Gegenverkehr befahrenen Kreuzung überquerte, wurde die Situation zu gefährlich. Während er, vom roten Licht ausgebremst, wartete, sah er wie der Wagen am Ende der Straße verschwand.

       Endlich hatte er freie Fahrt und folgte der Ausfallstraße die in den nahen Ort führte. Obwohl die Wartezeit nicht sonderlich lange gewesen war, war der rote Wagen verschwunden. Langsam fuhr Volker durch die Straßen der Kleinstadt, warf einen Blick in jede Seitenstraße. Aber das gesuchte Fahrzeug blieb verschwunden. Als das etwas abseits gelegene Schwimmbad auftauchte, brach er entnervt die Suche ab und fuhr entlang der Eschbach zurück in Richtung Stadt. Schon sah er den Ortsausgang, als sein Blick in eine der Seitenstraßen fiel. Noch bevor sein Kopf reagieren konnte, war sein Fuß schon auf dem Weg um Bremspedal, schon blockierten die Räder und sein Peugeot 307 stand still.

       Keine hundert Meter weiter stand der Ute van Geerdens Auto am Straßenrand. Rückwärtsgang einlegen und sich umdrehen schien nun ein und dieselbe Bewegung zu sein. Schnell und mit singendem Getriebe schoss der kleine französische Wagen rückwärts um die Ecke. Dort parkte er so, dass er durch den Rückspiegel alles im Blick hatte. Er wartete gut eine halbe Stunde, eine dreiviertel Stunde, in der nichts zu passieren schien. Je länger die Wartezeit seine Geduld strapazierte, je mehr versank er in eine Art Lethargie, rutschte in das Traumland zurück aus dem er vor der spannenden Verfolgungsjagd erwacht war. Mit geöffneten Augen träumte er von Ute van Geerden, ihrem sehnigen, durchtrainierten Körper, ihrem Duft, selbst die Grübchen um ihre Augen erschienen fast real vor seinem inneren Auge. Kaleidoskopartig bildete sein Gehirn die bunten Bilder der wunderschönen Frau.

       Mit den Fantasien kam jedoch auch ein ungutes Gefühl das er nicht direkt zuordnen konnte. Warum war sie so schnell und vor allem so riskant durch die überfüllte Stadt gerast. Was hatte die noch vor Minuten so gelassen wirkende Frau so aufgebracht und vor allem wo wollte sie so schnell hin. Und vor allem, warum hatte sie gelogen. Deutlich hatte er es an ihrer Körpersprache und ihrer Mimik, gesehen. In diesen Momenten war sie für ihn ein offenes Buch. So wie jede Verdächtige. Reaktionen, wie sie auf unerwartete Konfrontationen in der Regel folgten, verrieten immer die Wahrheit. Noch nie hatte er einen Menschen getroffen, der sein Verhalten so zu kontrollieren im Stande war, dass er seine wahren Emotionen verdecken konnte.

       Sie hatte bei seinem Besuch nicht so gewirkt, als stände sie unter Termindruck. Noch während seine Gedanken versuchten diese Fragen mit plausiblen Antworten zu versehen, öffnete sich die Tür des Hauses an dem van Geerdens Auto stand. In Begleitung eines Mannes betrat Ute van Geerden die Treppe. Sein Mund wurde trocken und erstmals bemerkte er die Spätsommerhitze, die seinen Körper zum Glühen brachte, als der etwa fünfzigjährige Mann, die Frau in den Arm nahm und sie an sich drückte. Schweiß lief an seinem Rücken herunter. Diese Umarmung sah nicht aus, als wäre sie nur freundschaftlicher Natur.

       Als sich der rote BMW mit heulendem Motor in die entgegengesetzte Richtung entfernte, startete Volker den Wagen und rollte rückwärts die Straße entlang. Vor dem Anwesen stoppte er. Dort, gleich rechts neben der Eingangstür prangte eine riesige, messingfarbene Tafel, die den Titel und den Namen des Eigentümers wiedergab. May nahm seinen Notizblock und schrieb: »Hartmut Kesselring, Rechtsanwalt«.

       Was um Himmels Willen war so wichtig, dass Ute van Geerden so schnell zu ihrem Rechtsanwalt musste? Abgelenkt fuhr er zurück zum Revier.

       Als er sein Büro betrat, kam ihm die Kühle wie eine wahre Erholung vor. Obwohl keiner der Räume klimatisiert war, spürte er hier die fehlende Sonneneinstrahlung, fühlte er nun wie die Hitze während seiner Wartezeit seinen Körper angegriffen hatte. Computer einschalten und der Griff nach seiner Wasserflasche wurden von Volker fast synchron ausgeführt. Innerlich lächelte er. »Da sag mal einer, nur Frauen könnten zwei Dinge auf einmal. Das war das Missing Link, das fehlende Puzzleteilchen, in der Geschichte der Männer!«, sagte er zu sich selbst. Ob er dabei laut oder leise gesprochen hatte, konnte er nicht wirklich sagen.

       Bevor seine Gedanken dazu in der Lage waren, wurde die Tür aufgerissen und sein Kollege Meierling schoss in sein Zimmer. »Oh, isses do so scheen kühl. Also Volgga, isch hon ehmol recherchiert, wie Du jo am Telefon ach gesaaht hascht, und honn feschtgestellt, dass der van Geerden, also der Monn von der Fraa, eh guddie Lewensversicherung gemacht hat. Awwa eh rischtisch feddie. Doo gehds um gut 650 Dausend Euro. Eh neddes Sümmsche, oddaa?« Wie der Page eines Hotels der auf ein ordentliches Trinkgeld hofft, blieb Meierling in der Tür des Büros stehen.

       May sah ihn verwundert an. »Das ist wohl ein nettes Sümmchen, da hast Du recht!« »Awwa erscht vor sechs Monad abgeschlosse. Do schtaunschde? Isch glaab, die Frau vonn demm hadd gerad eh Motiv griedd?«, strahlte Reinhard ihn an. Meierling stand immer noch in der Tür und wartete ab. »Na gudd dann, eh ‚Danke Reinhard‘