Gert-Peter Merk

Die Frau, die fährt. Liebesgeschichten


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erhoffe ich das. In langsamer Bewegung ist sie vorwärts- gegangen, als wollte sie durch Verzögern mich herausfordern, und sie muss sich dabei leicht in Gürtelhöhe verwinden. Schräg am Hang, etwas zu abgesichert nach hinten, hat nun sie Sicht auf mich. So, wie man vorsichtig ist, könnte ich gleich in ihren Glanz unterm dunklen Haar eintauchen, in dem ich sie anbeten und etwas mit ihr anfangen möchte. Was hindert uns, als wäre dort statt der Flurlampe das ruhige Auge Gottes am Himmel? Und doch wechsle ich mein Körpergewicht, immer unruhig von einem Bein aufs andre tretend, anstatt entschlossen zu handeln, um meine eigenen Interessen in den Vordergrund zu bringen. Wie ein Spielverderber komme ich mir ihr gegenüber vor. (Wie soll sie wissen, dass ich beispielsweise unter der Bettdecke sicherer bin und noch viel verwegener).

       So fällt mir ein: Lieber was sagen, sich mit Worten vorpirschen, sonst komme ich vermutlich kaum an. Wie aber soll sie mich hier unten je verstehen! Einen Husten bekommen nach zu viel Treibenlassen in (allmählich auch allen anderen bekannten) Flussbetten.

      Auf keinen Fall dumme Sprüche machen. Oder mit den Geschichten meiner Hände großartig reden wie ein Stummer?

       Oder genügt ihr schon der liebe Blick eines Unsicheren, Sehnsüchtigen? Einen Treppenabsatz hinauf zum Beispiel: Oh, die Uhrzeit, bitte? Eine Frau aufwärts ist wie eine Treppe mit Teppichboden besteigen; erst die Übung bringt einen nicht mehr außer Atem. Sie um gute Zeit bitten, noch wie mein zitternder Opa - so, als könne ich den Anfang unserer Geschichte kaum erwarten.

       Sie würde höflich oder gar freundlich antworten, vielleicht mit einer Bewegung zum Handgelenk. Also erschreckend!

       Wobei sie sicher ihre Tasche über den Arm oder neben sich hinhängt. Die plötzlich ins Geländer rutschte. Dann hochlaufen und ihr behilflich sein, ungeduldig überlegen, ob das absichtlich passiert. Ich mache das mit einem vollständigen Satz hinreichend verständlich, um sie vielleicht zu verführen, oben, in ihrer Wohnung. Ohne dass ich oder sie es jemals bereuen muss, wenn zu hören ist, wie das Porzellan scheppert.

       Aber welchen Inhalt werde ich jetzt in welchem Tempo heruntersprechen, damit ich mit kunstvollen Vokabeln so gut wie möglich etwas zusammenbringe, um mich vor ihrem Argwohn zu schützen, ich wolle ihr Leben in den Bauch reden. Sprechen wäre schon das Beste; das wirkt, wenn es nicht nur Gefühle transportiert, sondern auch meine Absichten gut verpackt, verbirgt, damit ich zum Mann werde. Oder sollte ich warten, bis ich irgendwann werweißwo verantwortlich bin für mein Gesicht, mit grauen Haaren unterm zu großen Hut.

       So möchte ich gleich heute beginnen, dies vorm Altar meiner Sehnsucht versuchen: Liebe Frau, mein Vater würde Ihnen vielleicht nicht zu nahetreten wollen, und mir hoffentlich auch nicht ... Noch vorhin hatte mir der Mut gefehlt im Augenblick der schönen, improvisierten Strategie.

       Aber der Schock danach? Ach, kein Seemannsgarn umwickelt das Herzeleid. Ein sprühender Funke hinauf zu ihr ertrinkt fast im Sprühschaum der Gelegenheit, als eine allzu mögliche Täuschung. Indem ich etwa die Armada meiner Glieder aussende, die Boote mit Liebkosungen bestücke und gleich aufbreche, ziehe ich sanft vom Hafen weg, damit ich jenes stabile Segelboot dort - es ist kein kostbarer Nachen - nicht zum Kentern bringe, wenn’s mir möglich ist. Entern weit vom Ufer weg wäre allerdings geschickt.

       Überraschend fiele mir eine wichtige Aufgabe zu, der Kapitänin zu zeigen, wie ich sie übernehmen kann, ihre bewussten Widerstände packen und sie wie eine aufsässige Galeerensklavin überwältigen, ihr Boot kräftig vollspritzen, um mit ihr nach den Kampfhandlungen befriedigt in tiefe Gründe zu sinken, noch ganz außer Atem, ohne Wahlmöglichkeit.

       Und diese Brünnen eine Weile als markierende Bojen hinterlassend, bis wir uns vergessen und die Bewegung ertrinkt. Einstweilen blubbern ein paar Wörter verzweifelt unruhig los, holpern, rütteln wach (ich hab da leider einige Erfahrungen).

       Ich konnte doch wie sie (auch bei einem Blitz in meine nahe Zukunft) immer so schlecht darüber sprechen. Mit meiner Schulfreundin habe ich zwar nachmittags nach der Schule in Buchseiten rumgeblättert, mit ihr Geschichten gelesen, und uns dabei höchst erregt. Und dann, die Streichhölzer zwischen den Lippen, Erotik pur, den Austausch vollzogen. Das zu tun hatte ich bestimmt so viel Angst wie sie. Davor, dass ihre aufmerksame Tante Emmy uns überrascht, wenn sie vom Spielenachmittag zu früh zurückkehrt. Bis es passiert - ohne Tante, als sie wohl länger Karten spielte. In der Badewanne, die Handfläche am Abfluss, berührten wir uns, während des Mädchens schon entwickelte kleine Brüste schwammen.

       Dann die Angst, dass meine Freundin schwanger würde. Aber ich weiß eigentlich bis heute nicht, ob sie das halbe Jahr lang damals je das hatte, was man bei einer richtigen Frau einen >>Kleinen Tod<< nennt. Nur das erwarteten wir, dass sie ebenso wie ich die Schule bald verlassen würde, einen Beruf erlernen und ins Ausland zu ihren Eltern ziehen, die einmal das Land verließen und sie bei der Tante abgaben.

       Und Jahre später, als ich lernte und wanderte, entdeckte eine Frau: du bist ja beschnitten, und sie untersuchte mich liebevoll wie einen eroberten schönen Araber. Nein nein, sie ist nur etwas kurz geraten, die Haut, das gibt es, glaub mir, ich bin nicht anders als alle andren.

       Die Frau vor mir ist stehen geblieben. Aus ihrer Sicherheit sieht sie mich noch mal an. Vielleicht verwechselt sie mich, ogott, gilt jede ihrer Regungen unter Umständen der Holzverkleidung hier, oder einer Erinnerung? Ich sehe mich schnell um. Doch mir hat sie sich jetzt noch mehr zugewandt. Mit ihrer rechten Hand sucht sie hastig in einer kleinen Tasche, die sie bei sich trägt. Ihre Arme, die ich vorhin kaum beachtet habe, sind auch kräftig, es sind die etwas groß geratenen in meinem ersten Zeichenheft. Ihr Rumpf füllt den übrigen Bildausschnitt aus. Der karminrote Rock unterstreicht ihr Geschlecht wie auf den alten Türen. Ja sie ist wirklich viel älter. Ich erschrecke, ist sie alt? Denn je schöner sie ist oder es war, desto größer könnten die Male ihres Verfalls, oder auch ihrer Verdorbenheit sein? Und Sex mit ihr teilen, was für ein Wagnis; wenn ich Ältere so sehe, die alles besser wissen und können, mit ihrer zunehmend unbestimmbaren Moral, chaotisch wie Kinder, sacken sie mich ein, hab ich gehört.

       Aber dann machen meine Vermutungen mich doch wieder zuversichtlich: die Liebe, erotische Zärtlichkeiten, die keinen Schmutz ansammeln dürfen, das Gefühl mit den Händen, an Armen, am Mund - ich könnte ihr nützlich sein, sie im Alter notfalls aufbessern. Hatten denn meine Eltern nie ein Buch darüber, wie etwa das Madonnengesicht der Frau von Stein dürr abblätterte, so wie eine alte Säule oder wie eine etruskische Wand allmählich verblich; und wie ich im Kino sah, Lauras Schönheit langsam versagte, die nur ein Dichter ihr gewähren konnte?

       Wenn es dieses Mal mit der Frau vor mir nicht klappen sollte, kann das Zusehen noch mal anfangen; immer dann, bevor ich mich in eine Situation vertiefen möchte, aber vom Moment beschwingt den Weitwinkel eingesetzt habe; obwohl ich doch längst wegen der idealen Ferne unterwegs bin. Diesen Rahmen will ich wenigstens, wenn das Bild sich nicht erfüllt, grüner einfärben; und dabei die intensive Entwicklerflüssigkeit nicht vergessen. Erst dann bin ich wirklich beruhigt, weil was bleibt. Hindert uns das Klima nicht, welches sonst dem verschiedenen Material günstigen Zugang schafft. Weil ja auch Brücken wie brauchbare Formen und Phantasie in ihrer Lebenszeit sich dehnen, biegen, schrumpfen, oder gar brechen, sind sie nicht klug genug befestigt.

       Wir werden vom Geländer der Zeit gemacht und von den Fugen zwischen ihr: meinem Flur, in dem ich stehe, und ihrem Treppenende oben, wandelbar im austauschbaren Material für eine hoffentlich nicht endende, lieber immer wieder beginnende Geschichte (mit oder ohne die alternden empfindlichen Stufen - sollte die Frau erscheinen für meine Geschichte aus der Biographie, die auch Material ist, in seiner wechselnden Ausdehnung und seinem Erinnerungsvermögen und seinem Verlust).

       Eine Frau, wie eine weiche, sanft geschwungene Spirale über ovalem oder rundlichem Grundriss. Diese mediterrane Schönheit, oder nach modischem Vorbild erträumt. Mitten in der Stadt, da beeile ich mich manchmal, mir ein Teleskop zu besorgen, für besondere Bildtiefe und zaghafte Blicke in meine Zukunft. Wenn ich nämlich eines der Objekte aus dem Lauf meines Lebens, ein winziges Teil manchmal nur, in meine Linse hereingeholt habe, setze ich davor eben dieses mein Teleobjektiv, das das Besondere in der von mir erlebten