Gert-Peter Merk

Die Frau, die fährt. Liebesgeschichten


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       Wenn diese reife, so geschlossen auf mich wirkende Frau vielleicht einmal mit ihren behandschuhten (und trotzdem noch beringten!) Fingern lässig den Schmuck auf den Linsen meiner Augen beiseitegeschoben hat, werde ich im Nu wie aus einem Traum erwachen und erschrecken, wenn sie meinen Blick empfindlich stören wird, um in meine offene, ja leichtfertige Phantasie zu blicken. Gefühle wird sie bestimmt auf ihre Weise schon erforscht haben, eh ich meinen Beobachterposten überhaupt festige.

       Ob sie zum Beispiel je erfahren wird, dass mich mal Einer mit seiner Zunge mitten in den Mund geküsst hat? Jahrelang habe ich darüber gegrübelt, warum er wohl ausgerechnet mich geküsst hat. Und jetzt guckt mich diese so ruhig wirkende, verführerische, an Händen, Beinen und Busen vollständige Frau an. Wirklich, das las ich, mein Ideal verfällt nicht, auch wenn mein Geschlecht schon einige stürmische Liebkosungen bis zur puren Gewalt erlebt hat. Vielleicht kann die anbetungswürdige Frau da über mir gar nicht Flamme, Freundin, Liebende für mich sein. Wie ein Dummkopf, nur zum Händchenhalten wäre ich da, weil sie längst irgendeinem der >>Männer<< ihre blanke Hand versprach?

       Sie kommt gerade von oben herab. Ich höre es, das Geräusch wird durch das Abrollen auf ihre Fersen verstärkt. Klack, klack. Ich gehe ihr am Treppenaufgang entgegen. Sie nimmt überraschend flink die letzten Stufen. Ohne eine Silbe zu sagen, geht sie plötzlich auf mich zu; dann, beinahe..., aber nur nah an mir vorbei. Sie lächelt, scheinbar mit einem Auge blinzelnd. (Nein, sie wirft kein Auge auf mich). Wie im Spott streift mich ihr Blick. Der Sonnenbrand deutlich auf ihrem Gesicht, ist sie vielleicht noch in Urlaubslaune? Sehen Menschen, denen es gut geht, immer vom Leben bevorzugt aus, begehbar, zum Lustwandeln bereit, gepflegt bis langsam abgetreten – von der Treppe rauf oder runter.

       So steht sicher seit hundert Jahren eine sehr stabile Konstruktion. Der Aufgang weit gespannt, um wegen der Höhe das Herabsteigen zu erleichtern. Bis hier unten an ihren Ausläufern. Der Boden; darum die verglaste Wand. Sie zeigt mir mein Gesicht, das eines verängstigten Hasen.

       Als die Frau auf mich sieht, bin ich nicht schnell genug, den Mund aufzumachen, um mich mit einer Ausrede aus meiner plötzlichen Verwirrung zu retten. Das offene Objektiv schließt sich wie von selbst, als das Leben weitergeht.

      

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