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Verena K. Bauer
Linus P. und ein Aufsatz mit Folgen
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Inhaltsverzeichnis
Aufsätze – welch Graus
Linus war ein gewöhnlicher, zehnjähriger Junge. Außer seinem Klassenlehrer, dem Herrn Dämpfel, fiel er kaum jemandem auf. Diesem Lehrer aber war er ein Dorn im Auge. Linus Pfortendödel war nämlich die Klassenniete. Der allerdümmste aller Schüler. Gerade erhielt die Klasse einen Aufsatz zurück. Lehrer Dämpfel baute sich wie immer als erstes vor dem armen Linus auf und donnerte los: „Du bist und bleibst ein Volldepp, Volltrottel, Vollidiot! Natürlich ist dein Aufsatz wieder der schlechteste von allen. Solchen Schwachsinn habe ich noch niemals in meinem ganzen Leben gelesen. Und dann die Fehler! Bah! Blödsinn! Ich wette, dass du zu dumm bist, um dir den Hintern abzuwischen! Bah!“
Der Lehrer fauchte und schnaufte und Linus wartete vergeblich darauf, dass er zu dampfen anfing. Stattdessen knallte der dem unfähigsten seiner Schüler das Aufsatzheft auf das Pult und rauschte zum nächsten. Das war der dicke Dackelmoser, dessen Aufsatz nicht viel besser geraten war. Aber der verfressene Dackelmoser war der Sohn des Bürgermeisters und Lehrer Dämpfel wagte es nicht, ihn so fertigzumachen, wie er es regelmäßig mit Linus Pfortendödel tat. Dieser klappte mit bangem Herzen das Aufsatzheft auf und schloss verzweifelt die Augen, als er sah, dass mindestens jedes zweite Wort mit rotem Filzstift markiert oder gar durchgestrichen war. Die Note wollte er gar nicht wissen; es war schlimm genug, dass er den Aufsatz zuhause unterschreiben lassen musste.
Neben Linus sass Helmina Flohpuschel. Er sah, dass in ihrem Aufsatz kein einziges Wort falsch war. Nicht mal ein Komma hatte sie vergessen. Wie immer war der Lehrer Dämpfel voll des Lobes für Helmina. Ihr war das gar nicht recht. Weil sie die Klassenbeste war, wollten die anderen nichts mit ihr zu tun haben. Seufzend legte sie das Heft beiseite. Dann sah sie zu Linus hinüber. Der hatte einen roten Kopf und kämpfte vergebens gegen die Tränen, die schon auf das Heft tropften und den roten Filzstift verschmierten. Wenn Lehrer Dämpfel diese Bescherung sah, konnte sich der ärmste Linus auf ein weiteres Theater gefasst machen... Und auf dem Nachhauseweg würden wie immer die anderen hinter ihm herlaufen und ihn verspotten. Eigentlich war er ein bedauernswerter Kerl, dieser Pfortendödel. Erstaunt sah Linus, dass Helmina ihn mitleidig ansah, dabei hatte sie doch selbst nichts zu lachen. Auf dem Heimweg würden einige hinter ihr herlaufen, Faxen machen und sie beschimpfen, weil sie die Klassenbeste war.
Während sie einander ansahen, schrillte die Schulhausglocke zur Mittagspause. Es galt wieder einmal ernst für die beiden Außenseiter. Im selben Augenblick wussten sie, dass sie sich zusammentun mussten. Sie gingen hinaus, nahmen ihre Jacken vom Haken und machten sich zusammen auf den Weg. Es dauerte nicht lange und die Hetzjagd ging los. Allen voran rannte der dicke Dackelmoser und krähte: „Das Streberlein und der Volltrottel! Huhuhu, die passen zusammen! Linus Affenhirn und Helmina Brillenschlange! Hihihi! Los, lauft schnell heim zu Mami, sonst hauen wir euch eins auf die Nase! Huhuhu!“ Alle anderen liefen ihm folgsam nach und stimmten in das Gekreische ein. Die Verfolgten bogen keuchend in den Park ein. Als sie merkten, dass die Mitschüler nicht nachkamen, ließen sie sich erschöpft auf eine Bank sinken. Linus begann zu heulen und schniefte: „Das ist der schlimmste Geburtstag meines Lebens!“ „Du hast heute Geburtstag? Das ist wirklich nicht besonders lustig! Ich wünsche dir trotzdem alles Gute.“ sagte Helmina tröstend. „Danke“, schluchzte er.
Danach waren sie eine Weile still. Bis Helmina murmelte: „Keiner mag mich, weil ich keine Fehler mache. Aber ich kann nicht einfach falsche Dinge schreiben, das geht doch nicht. Niemand will etwas mit mir zu tun haben. Ich will nicht mehr zur Schule gehen.“
„Weil der Dackelmoser so saublöd ist und sich wegen dir schämen muss. Sein Vater sagt sicher, er solle sich an dir ein Beispiel nehmen. „ „Woher weißt du das?“ wunderte sich Helmina. „Geht mir doch genauso. Aber ich weiß, dass ich doof bin, im Gegensatz zum Dackelmoser. Der steht doch schlecht da, als Sohn vom Bürgermeister. Deshalb macht er dich fertig und die anderen ziehen mit, weil er eben der Sohn vom Bürgermeister ist. Das ist Politik.“ erklärte Linus. „Du bist gar nicht so blöd, wie man denken könnte, wenn man deine Prüfungsnoten sieht.“ staunte Helmina.
Wieder sagten sie eine Weile nichts und auf einmal hörten sie ein eigenartiges Fauchen. Sie blickten auf und sahen einen riesigen Löwen, der sich vor sie hingestellt hatte. Er riss das Maul weit auf, so dass man tief in seinen Rachen hineinsehen konnte. „Weißt du, ich finde, wenn wir schon nicht mehr zur Schule gehen, dann können wir gleich dieser Bestie ins Maul hineinspringen.“ sagte Linus und stand auf. „Ja“, antwortete seine Gefährtin und so spazierten sie geradewegs in den Löwen hinein. Praktischerweise legte das Tier dazu den Schädel auf den Boden und rollte die Zunge wie einen roten Teppich aus. Über diese leicht glitschige Unterlage gingen sie weiter in den Löwen hinein und fanden am Ende der Zunge eine Wendeltreppe, die in einen grossen, warmen Raum führte. Ein rötliches Licht schimmerte und sie stellten fest, dass sie sich im Magen des Löwen befanden. Es roch muffig und sie waren ein bisschen enttäuscht, weil sie es sich in einem Löwenmagen anders vorgestellt hatten. Nach kurzer Suche entdeckten sie einen Ausgang aus dem Raum und machten sich auf den Weg. Diesmal war es keine Wendeltreppe, sondern eine schwindelerregende Rutschbahn. Kaum hatten sie einen Fuß darauf gesetzt, ging die rasante Fahrt schon los. Schreiend sausten sie durch die eisglatte Röhre und unvermittelt plumpsten sie ins Freie. Als sie sich umdrehten, war der Löwe verschwunden. Erstaunt sahen sie sich an und schüttelten den Kopf.
Sie befanden sich mitten in einem Jahrmarkt. Das war vielleicht ein wenig untertrieben, denn als sie ihn erst einmal erkunden wollten, merkten sie, dass er unendlich gross war. „Hast du Geld da?“ fragte Linus besorgt. Helmina kramte in den Taschen und setzte ein enttäuschtes Gesicht auf. „Nein. Das ist ja gemein. Nun sind wir auf dem gigantischsten Rummelplatz der Welt und haben keine Kohle. Das ist wirklich fies!“ „Tatsächlich, kaum zu glauben, diese Gemeinheit!“ polterte Linus. Aber dann merkten sie, dass nirgends ein Kassenhäuschen stand und dass alle einfach in die Bahnen einstiegen, wenn diese anhielten. Erleichtert zuckten sie mit den Achseln und grinsten. Die nächsten Stunden fuhren sie pausenlos mit kilometerlangen Bahnen und auf überdimensionalen Auto-Scootern. Zwischendurch schmausten sie Zuckerwatte und Lebkuchen. Das klebrige Zeug spülten sie mit Sirup hinunter, denn andere Dinge als Süsswaren gab es nicht. Alles hatte irgendwie mit Zucker zu tun und langsam aber sicher wurde ihnen schlecht.