Manfred J. Reichard

Auf der Suche nach dem idealen Ort


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ging mit ins Slumberland am Winterfeldplatz, dem Backstage am Stuttgarter Platz oder in die Music-Hall in der Rheinstraße, dem neuen Treffpunkt der militanten Punkerszene, in der ein unglaublicher Lärm veranstaltet wurde. Sie war dabei, wenn die gesamte WG in den Dschungel ging, aber nur Sonntags nach Mitternacht, wenn die strenge Türsteherin nur Stammgäste rein ließ. Leider war die Zeit vorbei, als David Bowie hier noch vor zwei Jahren verkehrte, man hatte aber immer noch das Gefühl, als wenn seine Aura noch darin schwebte. Alle gaben sich besonders cool, vor alle Dingen hinten um die Tanzfläche herum nahm kaum jemand vom Anderen Notiz. Jeder spielte seine Rolle und übersah die coole Darstellung der Anderen geflissentlich.

      Später dann, als Rachel noch auf einen Absacker in Tristans Zimmer mitkam, blieb sie bei ihm über Nacht auf seinem Hochbett. Es entwickelte sich zwischen ihnen eine Art kumpelhafter aber auch liebevoller Zuneigung. Sie war von Allen respektiert und lebte nun mehr bei ihnen als in ihrer WG darüber.

      Sie begleitete ihn ins Metropol am Nollendorfplatz, wo die Gruppen PVC, Tempo, Insisters, Morgenrot, Z, IG-Blech, Moosmann, Fliegende Blätter, Sabine Wegener und Teller Bunte Knete auftraten. Sie war als Sozia ein ständiger Begleiter auf Tristans Enduro und marschierte an seiner Seite auf Demos, die zu dieser Zeit relativ schnell ungemütlich wurden. So konnten sie sich bei der Hungerstreik-Demo vom Hermanplatz über den Kottbusser Damm gerade noch so, von Gummiknüppeln getroffen, durch die Polizeieskorte in die Schinkestrasse retten, bevor der richtige Krawall losging. Das veranlasste ihn, allein ins Drugstore in der Potsdamer Straße auf den Kronstadt-Kongress zu gehen, wo er zum ersten Mal Fritz Teufel sah, der wohlbehütet zwischen seinen Anarcho-Freunden auf einem alten Sofa saß. Am Tag darauf ging er ins Rauchhaus, eines der ersten besetzten Häuser in Berlin, das seine Berühmtheit aber erst durch den Rauchhaus-Song der „Ton Steine Scherben“ erlangte.

       Der Mariannenplatz war blau, So viele Bullen waren da. Und Mensch Meier musste heulen, Das war wohl das Tränengas. Und er fragte irgendeinen: „Sag mal ist hier heut n Fest?“ „Sowas ähnliches“, sagte einer, „Das Bethanien wird besetzt!“ „Wird auch Zeit“, sagte Mensch Meier „Stand ja lange genug leer. Ach, wie schön wär doch das Leben Gäb es keine Pollies mehr.“ Doch der Einsatzleiter brüllte: „Räumt den Mariannenplatz, Damit meine Knüppelgarde Genug Platz zum Knüppeln hat.“ Doch die Leute im besetzten Haus riefen: „Ihr kriegt uns hier nicht raus! Das ist unser Haus, Schmeißt doch endlich Schmidt und Press und Mosch aus Kreuzberg raus!“ Der Senator war stinksauer, Die CDU war schwer empört, Dass die Typen sich jetzt nehmen, Was ihnen sowieso gehört. Aber um der Welt zu zeigen, Wie großzügig sie sind, Sagten sie „Wir räumen später, Lassen se heut erst mal drin!“ Und vier Monate später stand in Springers heißem Blatt, dass das Georg-von-Rauch-Haus eine Bombenwerkstadt hat Und die deutlichen Beweise warn zehn leere Flaschen Wein Und zehn leere Flaschen können schnell zehn Mollis sein. Doch die Leute im Rauch-Haus riefen: „Ihr kriegt uns hier nicht raus, Das ist unser Haus - wenn ihr bombenleger sucht schmeißt doch die Amis raus Letzten Montag traf Mensch Meier In der U-Bahn seinen Sohn, der sagt: „Die wollen das Rauch-Haus räumen, Ich muss wohl wieder zuhause wohn'.“ „Is ja irre!“ sagt Mensch Meier, „sind wir wieder einer mehr In unserer zwei-Zimmer-Luxus-Wohnung Und das Bethanien steht wieder leer.“ „Sag mir eins: Ham die da oben Stroh oder Scheiße in ihrem Kopp? Die wohn in den schärfsten Villen, Unsereins im letzten Loch! Wenn die das Rauchhaus wirklich räumen, Bin ich aber mit dabei Und hau dem ersten Bullen, der da aufkreuzt was auf seine Fingerlein!“ Und ich schrei's laut: „Ihr kriegt uns hier ihr kriegt uns hier nicht raus! Das ist unser Haus - schmeißt doch endlich Schmidt und Press und Mosch aus Kreuzberg raus!“ Und wir schreien's laut: „Ihr kriegt uns hier nicht raus, Das ist unser Haus, Schmeißt doch erstmal Schmidt und Press und Mosch aus Kreuzberg raus.“ Und wir schreien's laut: „Ihr kriegt uns hier nicht raus, das ist unser Haus, Schmeißt doch erstmal Schmidt und Press und wie sie alle heißen überall raus.“

      Hier nahm er im Zuge des Kronstadt-Kongresses an der Veranstaltung „Bewegung-Bewegungslosigkeit“ teil. Obwohl dieser Kongress in politischen Kreisen großes Aufsehen hervorrief, war er doch lediglich von theoretischen und literarischen Akzenten bestimmt. Draußen scherten sich die militanten Besetzer, die Autonomen und der Schwarze Block ein Dreck darum, was ein gewisser Herr Kropotkin oder Bakunin als Gedankenmodell für diese Art von Gesellschaft begründet hatte, wenn sie mal wieder über Nacht alle Schlösser der Eingangstüren zu den Banken mit Sekundenkleber außer Betrieb setzten.

      Als dann aber am 24. März 1981 das Haus am Fraenkelufer geräumt wurde, war Tristan dabei. Er setzte sich auf seine Enduro und fuhr zum Mehringhof. Dort wurde beschlossen, eine Spontandemo auf der Kreuzung Mehringdamm/Gneisenaustraße abzuhalten. Die anwesenden Motorradfahrer sollten die Kreuzung blockieren, solange es ging. Also platzierte Tristan seine Maschine mitten auf der Fahrbahn und hinderte die Autofahrer an der Weiterfahrt. Es dauerte aber nicht lange, dann kam die Polizei mit ihrer Motorradstaffel. Der Motoradfahrer, der die Südbahn der Yorck Straße blockiert hatte, flüchtete Richtung Neukölln und alle Polizeimotoradfahrer hinter ihm her. Das war die Gelegenheit für Tristan, seine Position aufzugeben und schnell Richtung Tempelhof zu flüchten. Am nächsten Tag hörte er, dass der Motorradfahrer in die nächstbeste Querstraße abgebogen war, die aber leider eine Sackgasse war. Was aus ihm wurde, hat er nie erfahren.

      Es war der Beginn eines heißen Sommers, in dem es fast täglich zu Krawallen kam. Tristan hielt sich aber von nun an zurück. Er wollte nicht noch einmal in eine solche gefährliche Lage kommen. Außerdem hatte er Angst, dass sein Motorradkennzeichen auf der Liste stand. Wenn überhaupt, gingen Anna und er zu Fuß auf irgendwelche Protestdemos. Sie waren jetzt ein festes Paar, gingen zusammen ins Morgenrot am Paul-Linke-Ufer oder in die Lumpenpuppe am Maybachufer, fuhren auf dem Motorrad zum Teufelssee, wo man ungestraft nackt baden konnte, schlenderten über den Winterfeldmarkt, saßen vor der Ruine, die wirklich eine Ruine war mit ein paar Tische und Stühlen davor, oder tranken im angesagten Mitropa ihren Espresso. Das Mitropa musste bald seinen Namen in Café M ändern, weil die Deutsche Reichsbahn der DDR ihre Speisewagen so nannten und gegen den Namen klagten. Sie tranken viel und kifften viel, vor allem am 15. August in der Waldbühne beim Auftritt von White Russia, Ideal, Spliff und Interzone. Den Dope hätten sie sich sparen können, denn die Luft war so Gras- und Haschisch geschwängert, dass man vom reinen Einatmen high wurde.

      Rachel und Tristan hatten sich so aneinander gewöhnt, sie waren beinahe schon wie siamesische Zwilling, dass Rachel abends anfing zu weinen, weil sie 18 Tage getrennt sein würden. Sie fuhr zu