Manfred J. Reichard

Auf der Suche nach dem idealen Ort


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treu.

      Nach 18 Tagen, machte sich Tristan mit seiner DS auf den Weg zu ihr. Er durfte natürlich nicht mit seiner geliebten Rachel zusammen übernachten, sondern wurde im Gästezimmer untergebracht. Aber in der Nacht wurde er wach, weil Rachel sich heimlich in sein Bett geschlichen hatte. Welches Glück! Sie mussten sich verdammt beherrschen, nicht zu laut zu sein.

      Am nächsten Tag, nach dem Frühstück, machten sie sich auf nach Sitges bei Barcelona mit einem Halt in Saarbrücken, wo sie Pablo trafen, der ihnen den Schlüssel für das Haus in Sitges gab und übernachteten bei seinen Eltern, die ihnen wenigstens erlaubten, auf einer Matratze auf dem Boden im Wohnzimmer nebeneinander zu liegen.

      Am nächsten Morgen starteten sie, und nach einer Tagesreise kamen sie in Sitges an. Nachdem sie ihre Sachen verstaut hatten, schlenderten sie in die City, wo in den verkehrsberuhigten Straßen eine Bar neben der anderen lag. Hier sollten sie jeden Tag mehrere Stunden bei XX-Bier, Gin Tonic und nach dem Strand mit einer Horchada de Chufa, einer eiskalten Mandelmilch, verbringen. Es war eine einzige Community, alles junge Leute, Jeder mit Jedem im Gespräch. Es wurde viel getrunken und gekifft, und Tristan fand, er habe noch nie einen so unbeschwerten und harmonischen Urlaub verbracht.

      Tagsüber fuhren sie meist an das westliche Ende der Stadt, parkten die DS, packten ihre Strandsachen und liefen durch einen Eisenbahntunnel zum nächsten Strand, der bekannt dafür war, dass man hier nackt baden konnte. Der Gang durch den Tunnel war nicht ungefährlich. Es war die sehr befahrene Küstenstrecke nach Tarragona. Man musste sich vergewissern, dass kein Zug im Anrollen war und schnell durchlaufen. Die Zugführer kannten zwar diesen Durchgang und gaben schon von weitem einen langen Pfeifton ab, dann war aber wirklich Eile angesagt, denn zwischen Zug und Tunnelwand war kein Platz. Es kursierte zwar das Gerücht, dass es ging, wenn man sich flach auf den Boden legte, Aber Tristan und Rachel wollten es darauf nicht ankommen lassen, und Tristan legte jedes Mal das Ohr auf die Schienen, bevor sie losspurteten.

      Rachel war eine begeisterte Fotografin. Sie hatte immer ihre Spiegelreflex dabei und machte ausschließlich Schwarz-Weiß-Fotos. Als Tristan einmal auf dem Bauch lag, türmte sie ein paar Kieselsteine auf seinem Po und machte ein Foto davon. Dieses Foto, auf dem man sogar noch die kleinen Härchen auf seinem Knackarsch sah, wurde ihr Lieblingsfoto. Wieder in Berlin, fand es in einem Silberrahmen seinen Stammplatz neben ihrem Bett.

      Es war nun Herbst, und es sollte der heißeste Herbst des Jahrhunderts werden. Am Freitag, dem 13. November1981 war der Tag X angesagt. 57 Häuser wurden besetzt, teilweise scheinbesetzt, die meisten gleich wieder geräumt. Riesen Krawall auf dem Kottbusser Damm, die ganze Nacht Martinshörner, keiner machte ein Auge zu in der Fabrik.

      Am nächsten Morgen auf dem Weg zum Winterfeldplatz und ins Slumberland sahen sie das Chaos, umgestürzte ausgebrannte Autos, noch qualmende Mülltonnen, die als Barrikade gedient hatten, Feuerspuren überall auf dem Asphalt. Zum Glück hatte sich der Kampf nicht in die Seitenstraßen verlagert. Viele Typen kamen auf der Suche nach einem Platz in einem besetzten Haus auch in der Fabrik vorbei. Sie sagten ihnen dann, dass sie allein für ihre Etage 2400,- DM Warmmiete zahlten, also 400 DM für jede Person, dazu noch Geld für Strom und Telefon. Man musste schon berufstätig sein oder reiche Eltern haben, um hier zu wohnen, außerdem waren sie komplett in allen Etagen und WGs.

      Tristan und Rachel gingen weiterhin aus, hörten sich im Quartier Latin das United Jazz- und Rock Ensemble, Willem Breuker solo und die Brötzmann-Group an. Sie ließen es sich auch nicht entgehen, im Metropol das Konzert mit den Neonbabys, Schlaflose Nächte, den Au Pairs und den Einstürzenden Neubauten zu erleben. Während des Konzerts wuchtete N.U. Unruh, der für den Krach zuständig war, ein riesiges Stahlrohr von der Bühne vor die Füße der Fans in der ersten Reihe. Man konnte von Glück sagen, dass diese beiseite springen konnten, und nichts passiert war.

      Sie schauten im Kino „Die Bleierne Zeit“ oder „Unversöhnliche Erinnerung“ an. Danach landeten sie nun meistens im Café Kreuzberg in der Ohlauer Straße, der gerade in der Szene angesagten Lokalität, in der Musiker live auftraten. Sie trafen dort immer Leute aus der Fabrik, tranken Kerner und quatschen bis zum frühen Morgen.

      Dann kam Silvester. Tristan und seine WG hatten den irren Einfall, mal nicht die ganze Nacht in der Szene rumzulaufen, sondern selbst eine Fete zu veranstalten. Sie sagten allen Leuten Bescheid, die sie kannten und meinten, diese können auch ruhig noch Freunde mitbringen. Sie hatten ein paar Salate vorbereitet und einige Kasten Bier und Wein gekauft, und dann war es soweit. Die ersten kamen gegen 22 Uhr und wurden noch freudig begrüßt. Gegen 23 Uhr war der Gemeinschaftsraum schon gut gefüllt. Dann kamen immer mehr Leute, die sie nicht kannten. Es hatte sich wohl rumgesprochen, dass in der Schinkestraße die angesagteste Fete der Stadt läuft. Die Fete hatte sich verselbständigt. Da bereits alle Getränke konsumiert waren, organisierten die Gäste Nachschub aus Tankstellen und noch offenen Kneipen. Vor ihrer einzigen Toilette bildete sich eine Schlange. Typen rasierten sich mit unseren Rasiermessern und Mädchen verbrauchten das Parfum. Sie versuchten noch, alles was zu retten war in den Zimmern zu verstauen, aber da keines der Zimmer abschließbar war, dauerte es nicht lange, und diese wurden auch schon besetzt von kiffenden und kopulierenden Paaren. Tristan überschlug kurz der Zahl der Besucher und landete bei zirka 400 Personen, die Leute im Treppenhaus nicht mitgezählt.

      Die Sache wurde ihnen immer unheimlicher. Gegen 3 Uhr flüchteten sie in Rachels WG in der Etage über ihnen und hofften, dass am nächsten Tag das Chaos nicht allzu groß wäre.

      Um 13 Uhr gingen sie dann runter und schmissen die letzten Besucher raus. Das Chaos hielt sich einigermaßen in Grenzen. Sie räumten alles wieder auf seinen Platz und gingen raus an die frische Luft, am Landwehrkanal entlang spazieren.

      Gegen Ende Januar fuhr Rachel mal wieder zu ihren Eltern, worüber Tristan gar nicht so traurig war. Er war genervt darüber, dass sie ständig bei ihm rumhing, und selbst wenn sie sich den ganzen Tag nicht gesehen hatten, stand sie abends auf der Matte oder kam in sein Bett, wenn er schon schlief. Er scheute aber die Konfrontation und ließ alles erst einmal so laufen wie es war.

      Just am ersten Abend, als Christian, Susanne, Beate und Tim aus der WG beschlossen, ins Backstage am Stuttgarter Platz zu fahren, trafen sie Diotima von der Frauen-WG in der ersten Etage im Treppenhaus.

      Diese WG war berüchtigt in der Fabrik. Immer wieder hatten sie Besuch von der Polizei, weil einige der Bewohnerinnen eine große Gewaltbereitschaft zeigten. Sie waren bei Krawall-Demos immer in der ersten Reihe zu finden, schlugen am Ku’damm mit Pflastersteinen, die sie entweder in ihren Rucksäcken mitführten oder mit langen Messern aus dem Bürgersteig brachen, die Glasvitrinen ein. Auch in der Fabrik hatte man mit ihnen zu tun. Alle paar Wochen musste man das Treppenhaus neu streichen, um ihre gesprayten Sprüche zu übertünchen. „Schwanz ab!“ gehörte da schon zum Standardrepertoire.

      Diotima entschloss sich sofort, mitzukommen. Sie zwängten sich alle in Tristans DS und fuhren hin. Der Laden war wie immer rappelvoll. Man war schon froh, wenn man es geschafft hatte, einen Stehplatz links neben dem Tresen zu ergattern, bevor man sich peu à peu zu der Tanzfläche nach hinten durcharbeiten konnte. Tristan trank seinen obligatorischen Tequila Sunrise, tanzte ein wenig, stand mit den anderen rum und versuchte sich bei der lauten Musik zu unterhalten. Als sie später wieder in der Fabrik ankamen, machte Diotima den Vorschlag, noch zum Café Kreuzberg zu laufen und einen Absacker zu trinken. Die anderen wollten ins Bett, und so machten sich Tristan und sie allein auf den Weg.

      Diotima war nicht gerade schlank aber auch nicht dick, sie trug kurze schwarze Haare und hatte leicht mongolische Züge, also hohe Wangenknochen und leicht geschlitzte Augen. Sie stellte sich als sehr unterhaltsam und witzig heraus. Eine Wohltat nach all dem Stress und den Diskussionen, die er mit Rachel hatte. Um 3 Uhr gingen sie nach Hause. Sie verabschiedeten sich im Treppenhaus mit zwei flüchtigen Wangenküsschen, und Diotima sagte ihm, dass es ein schöner Abend war und er sie doch mal besuchen kommen sollte.

      Gleich am nächsten Abend klingelte er an Tür von Diotimas WG. Mary öffnete die Tür und ließ in herein. Diotima war nicht da, und von den anwesenden Frauen spürte er eine Atmosphäre, die zwischen Gleichgültigkeit und Ablehnung schwankte. Er verabschiedete sich sofort und beschloss, das nächste Mal vorher anzurufen.

      Am nächsten Tag rief er unten