Marina Feil

Kreisläufe des Lebens


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besonders für Christin. Sie hat nicht verlangt, dass Pfeffi wegkommt, aber ich glaube, es ist besser so.“ Pfeffi erschrickt über diese Worte. Ihm wird in diesem Moment ganz schlecht. Er sieht noch, wie Tristan diesem schrecklichen Menschen Geldscheine herüberreicht, der danach gierig greift. Dann dreht sich Tristan um und geht, ohne noch einmal nach dem kleinen Hund zu schauen. Der Mann lächelt unterwürfig hinter Tristan her und brummt schleimig: “Das wird alles erledigt, Herr Gruhn. Ich suche für ihr Tier ein besonders gutes Zuhause!“ Nun greifen diese schmutzigen Hände nach dem Hund. Pfeffer erstarrt bis ins Mark. Sein kleines Herz rast, und es droht zu zerspringen. Er wird gepackt und in einen uralten Lieferwagen geworfen. Niemand rührt das Schicksal des jungen Hundes. Aber das soll noch nicht alles sein. In diesem Moment erkennt er den Mann. Es ist derselbe alte Mann, den Matthi und er schon öfter auf dem Hof gesehen haben. Christin hatte beiden immer verboten, zu diesem Menschen hinzugehen. Und nun wird Pfeffi der Willkür dieses Mannes ausgesetzt….

      Der Mann, den alle nur bei seinem Vornamen Arthur nennen, hat schon einige Male mit dem alten grauen Lieferwagen auf dem Hof vor der Küche gestanden. Familie Gruhn ist zwar nicht reich aber doch wohlhabend. Christin, die eine recht gläubige Frau ist, vertritt die Meinung, von den Gaben, die sie von Gott und dem Leben erhält, etwas wieder abzugeben besonders an Mitmenschen, denen das Leben nicht so wohl gesonnen ist. In ihrer Gutmütigkeit achtet sie nie darauf, dass der eine oder andere Mensch möglicherweise an seinem Schicksal doch eine gewisse Mitschuld trägt. So kauft sie von dem alten Bauern Arthur regelmäßig Eier, Obst, Gemüse und Kartoffeln. Dieser verdient sich auf diese Weise mit seinem heruntergekommenen Hof etwas Geld. Kind und Hund haben Arthur nur aus der Entfernung gesehen. Er parkte sein Auto stets an der Küche, die über einen eigenen Hofeingang verfügt. Hier gab er seine Ware ab und erhielt sein Geld, das Christin für diese Zwecke in einer Teetasse aufbewahrte. Arthur trug sonst immer die gleiche Kleidung: Ein altes braunes Wollhemd und eine Latzhose, die wohl einmal blau gewesen sein musste. Seine Sachen waren stets schmutzig und löcherig. Außerdem hat Christin wahrscheinlich durchaus bewusst den Fuselgeruch ignoriert, den Arthur regelmäßig umgibt. Sie hat eben ihre eigene Meinung über die menschlichen Unzulänglichkeiten und verzeiht, was nach ihrer Meinung nach zu verzeihen gilt, oder wo es die Aufgabe anderer Mächte ist, ein Urteil zu fällen. Da sie aber ihr Kind immer geschützt hat, und Schmutz für Matthi gefährlich werden konnte, durften weder er noch der kleine Hund in Arthurs Nähe. Niemand war über diesen Umstand etwa betrübt. Pfeffi hätte die Seite seines Herrn ohnehin nicht verlassen, und Matthi konnte mit dem alten Bauern nichts anfangen, was umgekehrt ebenfalls zutraf.

      Und nun hat Matthis Vater ausgerechnet diesem Mann Pfeffer überlassen. Da sitzt er jetzt im Heck des Lieferwagens zwischen alten Holzkisten und alle möglichen rostigen und kaputten Gerätschaften. Da der Boden des Fahrzeugs nur aus nacktem und zerkratztem Blech besteht, findet Pfeffi mit seinen Pfoten keinen Halt. Er rutscht hin und her, wenn Arthur bremst oder in die Kurven fährt. Da dieser wie üblich nicht nüchtern ist, ist sein Fahrstil auch ausgesprochen ruppig. Die Räder kreischen, wenn es in Kurven geht. Und wenn Arthur bremst, tut er das so hart, dass sich der Wagen hinten aus der Federung hebt. Es gibt zum Fahrerhaus keine Zwischenwand und Pfeffi fliegt bei einer Vollbremsung unversehens nach vorne in den Fußraum vor dem Vordersitz auf der Beifahrerseite, wo er zunächst liegen bleibt. „Mach dich vom Acker, du Mistvieh!“, herrscht ihn der Alte an. Bei der nächsten Chance springt Pfeffer zurück in den Laderaum. Er kann gerade noch sehen, wie Arthur eine flache Flasche aus der Tasche seiner Anzugsjacke hervorholt und aus dieser einen großen Schluck trinkt. Der Alkohol enthemmt den alten Mann total und er fährt wie ein Verrückter, wobei er unaufhörlich vor sich her schimpft. Pfeffer wird im Auto hin und her geworfen. Obwohl er das Autofahren gewöhnt ist und eigentlich auch sehr gern fährt, kann er bei dieser Schaukelei nicht verhindern, dass ihm auch noch schlecht wird. So erbricht der Hund sein Futter mitten zwischen die Utensilien im Auto. „Verdammter Köter!“, schreit Arthur von vorne. „Wenn ich dich kriege, bist du tot.“ Der Lieferwagen rast mit seinen Insassen auf Arthurs Hof. Der Alte steigt auf die Bremse und das Auto kommt endlich zum Stehen. Obwohl der Weg nicht weit war, so kam Pfeffi die Reise doch wie eine Ewigkeit vor. Arthur springt plötzlich auffällig beweglich aus dem Auto. Er rennt wütend zum Heck, reißt die Türen auf und greift nach Pfeffi, der in seinem Erbrochenen sitzt. Er schreit auf als ihn die riesigen schmutzigen Hände packen. Die Wut gibt dem Alten so viel Kraft, dass er Pfeffi weh tut, der nun entsetzlich jault und sich vor Schreck bepinkelt. Arthur kocht vor Wut, böse schaut er auf das Bündel, das er am Nackenfell haltend vor sich herträgt. Noch nie hat Pfeffi nach einem Menschen geschnappt, aber jetzt tut er alles, um sich zu befreien. Er versuchte tatsächlich seinen Peiniger zu beißen, kann ihn aber nicht erreichen. Dieser hat das Fell im Nacken des Hundes so eingedreht, dass jede weitere Bewegung dem Tier fürchterliche Schmerzen verursacht. So lässt sich Pfeffi in sein Schicksal ergeben wie ein Sack hängen, alle Bemühungen sind zwecklos. Er kriegt nur noch mit, wie Arthur mit ihm vor der Hundehütte stehen bleibt. Pfeffi wird auf den Boden gedrückt. Eine große Hand hält ihn unten, die andere Hand des Alten würgt dem Tier eine Kette um den Hals. Erst jetzt wird Pfeffer losgelassen. Arthur wendet sich schnaufend ab und geht. Pfeffi will ihm nach springen, um ihn in den Hintern zu beißen. Doch da ist die Kette schon am Ende. Sie zieht sich zu und erwürgt den Hund fast. Dieser wird mit Wucht zurückgerissen, er stürzt und verliert das Bewusstsein.

      Irgendwann kommt Pfeffer wieder zu sich. Er versteht nicht, was passiert ist, wieso man ihn hierher verfrachtet hat. Ihm tut alles weh, vor allen Dingen schmerzt sein geschundener Hals. Die Kette tut ihr übriges. Sein Fell ist blutig. Das Blut kommt von den Wunden am Hals, die Kettenglieder haben sich in die Haut und das Fleisch eingeschnitten. Die Wunden brennen, was das rostige Metall der Kettenglieder verursacht. Pfeffer wünscht sich in diesem Augenblick, dass man ihm wenigstens sein Halsband gelassen hätte. Er setzt sich auf, versucht sich dabei aber so wenig wie möglich zu bewegen. Er sieht, dass weiter entfernt in einer Senke ein Hof mit Haus, Scheunen und Stallungen steht. Von dort kommt eine alte Frau. Sie bringt zwei Schüsseln mit Wasser und etwas Fressbaren. Die Alte hat auch etwas Puder dabei. Sie löst ein wenig die Kette und verteilt den Puder auf den Wunden des Tieres. Pfeffi ist ihr dankbar, obwohl er gleichzeitig Angst vor ihr hat, denn sie riecht sehr stark nach Arthur. Zu diesem Zeitpunkt ahnt der kleine Hund noch nicht, dass diese alte Frau für viele Jahre seine einzige Verbündete sein wird, denn Arthur wird nichts tun, um dem Hund wie versprochen ein neues und schönes Zuhause zu suchen.

      Arthurs Frau heißt Frieda. Sie leidet wie alle Geschöpfe auf diesem Hof unter dem Jähzorn und der Trunksucht ihres Mannes. Frieda arbeitet so gut es eben geht im Haus, auf dem Hof und in dem großen Garten. Arthur hilft ihr selten, weil er meist zu betrunken ist und auch tagsüber häufig schläft. In dieser Zeit versorgt Frieda die wenigen Tiere des Hofes, zu denen nun auch Pfeffer gehört. Er erhält meist einen Rest vom Mittagessen. Frieda kommt dann mit einem Teller und einer Kanne Wasser. Sie gießt den Wassernapf auf und lässt den Essensrest in den anderen Napf laufen, ohne die alten Reste zu entsorgen oder jemals die Näpfe auszuwaschen. Mit der Zeit gewöhnt sich der Magen des früher so umsorgten Hundes und überwindet Ekel und Schmutz, und er frisst und trinkt, was ihm vorgesetzt wird. Die erste Zeit muss er sich häufiger übergeben und er nimmt stark ab. Später gibt sich das. Irgendwann fällt ihm auch gar nicht mehr auf, wie es um ihn herum aussieht. Er sitzt in seinen Futterresten und Fäkalien. Pfeffis Fell ist bald schmutzig und verklebt und sein Umfeld stinkt mörderisch. Trotzdem heilen seine Wunden. Er nimmt aber nicht mehr zu. All dies geschieht als der Hund noch kein Jahr alt ist und so vergehen weitere elf Jahre.

      Das Wetter ist schön und relativ warm. Pfeffer schaut zum Hof wie so oft und hofft, dass Frieda mit etwas Fressbaren erscheint. Dabei verlässt er sich fast nur noch auf seinen Geruchssinn. Er ist nun fast blind und erkennt den Hof auch nur noch schemenhaft. Sein Gehör ist ebenfalls schlecht geworden. Arthurs Schreien und Schimpfen vernimmt er noch. Wenn dieser im Anmarsch ist, verkriecht sich Pfeffi in seine Hütte und wünscht sich, dass er weitergeht. Meist tut der alte Bauer das auch, doch manches Mal ist es auch so, dass er seine Wut an dem kleinen Hund auslässt. Er schlägt ihn rücksichtslos und trifft dann meist den Kopf. Dabei hat er Augen und Ohren des Hundes so oft getroffen, dass wahrscheinlich die Seh- und Hörschwäche von diesen Quälereien herrühren. Dies tut Arthur fast immer dann, wenn er sich mit Frieda streitet. Meist geht es um den Schnaps, den Frieda ihm wegnimmt.