Heike Möller

Vampire in den Highlands


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Geruch etwas … Altes! Sehr Altes.

      Rowena öffnete die Augen und holte durch den Mund wieder Luft.

      „Alles in Ordnung?“ Scott Palatin klang ein wenig besorgt.

      „Ja. Ich möchte noch den zweiten Kadaver sehen.“ Ihre Stimme klang rau.

      Rowena wiederholte die Prozedur an dem zweiten toten Schaf und kam zu dem gleichen Ergebnis. Langsam stand sie auf. Die Hosenbeine der Jeans waren nass und mit Erde beschmutzt, aber das machte ihr nichts aus. Langsam drehte sie sich zu Scott um, der bei ihrem Anblick erschrocken zurückwich.

      „Entschuldige, Herrin. Ich wollte n....“

      Rowena winkte ab. Ihr war klar, dass ihre Augen tiefschwarz waren und die Eckzähne immer noch ein wenig aus ihrem Mund hervorlugten. „Ich muss mich entschuldigen, Scott. Ich wollte dich nicht erschrecken. Verzeih bitte.“

      Sie schloss die Augen und konzentrierte sich. Sie merkte, wie ihr Adrenalinspiegel absank, die Zähne wieder einfuhren und die Augen sich veränderten.

      „So besser?“, fragte sie vorsichtig und sah den Polizisten an.

      „Ja, Herrin.“ Scotts Stimme klang deutlich erleichtert.

      Genervt rollte Rowena mit den Augen. „Nenn´ mich nicht so, Scott. Ich heiße Rowena. Oder Rona. Alles andere will ich nicht hören. Wir leben im 21. Jahrhundert!“

      Der große Mann wurde tatsächlich rot, dann nickte er stumm.

      „Also, es ist definitiv ein Vampir und es ist nur einer. Ein Mann. Ich bin mir nicht sicher, ob ich diesen Geruch schon einmal wahrgenommen habe, aber es könnte sein.“

      Scott sah ihr jetzt wieder gefasst in die Augen. „Wie gefährlich ist er?“

      „Ich habe keine Ahnung“, gestand sie ihm. „Vielleicht reißt er sonst nur Tiere und Doghnaty war eine traurige Ausnahme. Ich werde aber weitersuchen. Das ist ein Versprechen.“

      Kapitel 6: Sonnenwende

      In einigen Kilometern Entfernung vom Loch Oich am westlichen Ufer liegt eine große, fast ebene Wiese. Dort hatten die Bewohner der Ortschaften und die Bauern und Schäfer der Umgebung einen großen Scheiterhaufen errichtet, der bei Sonnenuntergang angezündet wurde.

      Sonnenwendfeier.

      Rowena liebte dieses alte Fest. Fast so sehr wie die Feierlichkeiten bei Beltane, das aber heute hier nicht mehr gefeiert wurde.

      >Schade eigentlich. Aber die Zeit bleibt nicht stehen. Ich bin eben ein Relikt aus vergangener Zeit. <

      Heute, bei der Sonnenwendfeier, saßen Jung und Alte, Männer und Frauen, Einheimische und Touristen beisammen. Sie erzählten sich alte Geschichten. Neue Geschichten. Sie sangen alte und neue Lieder, Volkslieder, moderne Lieder. Alte Lieder auf modern getrimmt und moderne Lieder in einem alten Gewand verpackt.

      Einige Männer und Frauen hatten Musikinstrumente mitgebracht: Geigen, Gitarren, Flöten und eine keltische Harfe.

      Rowena ließ ihren Blick prüfend über die Gesichter gleiten. Einige Leute kannte sie, mehr oder weniger gut. Brian Conelly war hier, dessen wettergegerbtes Gesicht von über 70 Jahren eines ereignisreichen und bewegten Lebens erzählte. Scott Palatin war mit seiner Frau gekommen, die beiden Kinder waren in der Obhut einer Nanny zu Hause geblieben.

      Pfarrer Carmichael, der sich gerade mit einem der Schäfer unterhielt. Der Pfarrer nickte zwischendurch, wenn der Schäfer lebhaft mit den Armen bei seiner Erzählung fuchtelte, legte ihm gelegentlich beruhigend die Hand auf die Schulter.

      Die korpulente Wirtin des Gasthofes, in dem Rowena beinahe jeden Abend ein paar Stunden verbrachte, lächelte der Vampirin freundlich zu. Rowena nickte grüßend, sah sich dann aber weiter um.

      Ihr Blick blieb bei Erik Schubert hängen, der heute seinen Laptop mit einem Notizblock und Kugelschreiber eingetauscht hatte. Er hörte aufmerksam einem älteren Mann zu, der ihm irgendetwas erzählte. Zwischendurch machte sich der Deutsche Notizen, stellte einige Fragen. Einmal lachte Erik, auf seiner rechten Wange bildete sich dadurch ein tiefes Grübchen. Rowena ertappte sich, dass sie auf das Grübchen starrte. Sie empfand es als ungerecht, dass ein solcher Stinkstiefel, wie sie Erik Schubert inzwischen innerlich betitelte, ein solch interessantes Körpermerkmal hatte.

      >Blödian! <, dachte sie und widmete sich wieder der Begutachtung der anderen Gäste.

      >Rowena Mc Dougall. <

      Erik Schubert holte tief Luft, starrte sie an. Die kleine Frau faszinierte ihn. Sie war unglaublich hübsch mit ihrem immer roten Kussmund in dem herzförmigen Gesicht und den langen, leicht gewellten honigblonden Haaren.

      Und dann diese violette Augenfarbe!

      >Ob sie mit dem Polizisten verwandt ist? Die Augenfarbe bei den beiden ist ja beinahe identisch. Und sie ist selten. <

      Eriks Blick wanderte abwärts, blieb auf den üppigen Brüsten hängen. Rowena trug heute ein violettes T-Shirt, darüber eine weiße Strickjacke. Eine dunkelblaue Jeans mit umgeschlagenen Hosenbeinen verhüllte ihre kurzen, leicht stämmigen, aber wohlgeformten Beine nicht wirklich. Und der Po war eine Augenweide, voll und rund wie ein Apfel.

      >Bestimmt auch so fest<, dachte Erik.

      Seine Gedanken ärgerten ihn. >Finger weg, Schubert. Die Frau ist nichts für dich. Hör´ einmal auf deinen Verstand und nicht auf den Schwanz! <

      Er konzentrierte sich wieder auf die Geschichten, die um ihn herum von den Leuten erzählt wurde.

      Scott Palatin stellte Rowena seiner Frau vor. Die junge Mutter, eine hübsche, leicht rundliche Frau mit einigen Sommersprossen im Gesicht, sah Rowena misstrauisch an. Rowena konnte sich denken, warum das so war. Ihr Mann verbrachte schließlich in letzter Zeit viel Zeit mit ihr, der unbekannten Frau, die offensichtlich einen gewaltigen Einfluss in Invergarry und Umgebung hatte.

      „Claire, ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie dankbar ich Ihnen bin“, sagte Rowena und lächelte die Frau herzlich an.

      „Wofür?“ Claires braune Augen blickten die kleinwüchsige Blondine fragend an.

      „Ihr Mann hilft mir in einigen Angelegenheiten und ich weiß, dass er Sie und die Kinder dafür etwas vernachlässigt. Das tut mir leid, Claire. Ehrlich. Ich hoffe, ich kann mich mal revanchieren.“

      Claire ließ ihre Schultern entspannte sinken. „Oh! Ich ähm … ist schon gut, Miss Mc Dougall.“

      „Rowena, bitte.“ Die Vampirin lächelte Claire gewinnbringend an. „Wussten Sie, dass Scott und ich über einige Ecken miteinander verwandt sind?“

      Claire lächelte jetzt ebenfalls. „Ja. Er sagte mir, dass Sie wohl einen gemeinsamen Vorfahren hätten.“

      Rowena nickte. „Ja. So ist es. Ich bin nur einige Kilometer von hier geboren und aufgewachsen. Loch Oich und die ganze Umgebung sind meine Heimat. Auch wenn ich jetzt in Deutschland, in Berlin lebe.“

      Claire wurde neugierig, Scott lächelte erleichtert. Offensichtlich hatte seine Frau ihm in letzter Zeit Fragen gestellt, die er nicht beantworten konnte. „Was machen Sie in Berlin?“

      „Ich habe eine kleine Galerie. Ich verkaufe Bilder und Skulpturen unbekannter Künstler. Im Oktober habe ich eine Vernissage. Der Bruder einer Freundin, ein griechisch stämmiger Deutscher, veröffentlicht zum ersten Mal seine Arbeiten. Und ich finde sie großartig, fördere ihn ein wenig. Mit etwas Glück werden die richtigen Leute auf ihn aufmerksam.“

      Rowena drang, während sie sprach, sanft in die Gedanken von Claire und Scott Palatin ein. Sie entdeckte die Eifersucht von Claire ihr gegenüber, die sich allmählich aber legte. Scott hatte ausschließlich positive Gedanken, was seine Frau betraf. Sie waren erfüllt mit Liebe, Zärtlichkeit und Wärme. Vertrauen.

      Aber Scott machte sich auch Gedanken wegen des ermordeten Touristen und der gerissenen Schafe.