Laura Feder

Die Kinder Paxias (Leseprobe XXL)


Скачать книгу

      Iain schnaufte verächtlich.

      „Bei allen guten Mächten Paxias, ich bin von Feiglingen umgeben.

      Wir nehmen mein Zimmer, Colia!“

      Damit kehrte er der Gesellschaft den Rücken und trat zu ihr, die mit strengen Augen um sich sah.

      „Ich werde Hilfe brauchen.“ Sie sagte es laut genug, dass alle es verstehen konnten. Keiner reagierte.

      Colia seufzte auf und sah Iain fragend an.

      Er zuckte die Schultern, was der Verletzten auf seinen Armen abermals ein leises Wimmern entlockte.

      Eine Träne fiel auf seine Hand, hinterließ einen schimmernden Film auf seiner Haut.

      Sein Entschluss stand fest, noch bevor der winzige Tropfen den Boden berührte.

      „Sie braucht Hilfe. Was soll ich tun?“

      „Bring sie auf dein Zimmer, ich hole meine Sachen und komme dann nach.“

      Ohne irgendwem aus dem Saal weitere Beachtung zu schenken, trennten sich die beiden.

      Colia lief in ihr Turmzimmer zurück, um ihre Utensilien zu packen, und Iain flog mit der Unbekannten zu seinem Schlafraum unweit des Saales. Er wollte ihr keine weiteren Schmerzen bereiten, indem er sie den Erschütterungen eines Laufes aussetzte.

      Dann, endlich, legte er sie auf sein Bett nieder.

      Aufatmend lockerte er seine Arme. Das Mädchen rührte sich nicht. Wenn sie nicht ihr Gesicht so schmerzvoll verzogen hätte, würde er nicht glauben, dass sie überhaupt noch am Leben war.

      Hoffentlich konnte Colia sie retten, sie schien noch so jung.

      Er war davon überzeugt, dass sie einige Jahre jünger als er selbst war. Ihre Züge wiesen noch keine Unregelmäßigkeiten auf, sie konnte die sanften Rundungen eines Kindergesichtes noch nicht lange verloren haben, die volle Weiblichkeit noch nicht lange besitzen.

      „Dann wollen wir mal.“ Colia stellte ihren Medizinbeutel auf einem Stuhl ab und schloss kurzerhand die Tür hinter sich ab.

      „So kann uns wenigstens niemand stören!“, erklärte sie augenzwinkernd, wurde aber gleich wieder ernst, als sie ans Bett trat.

      Ihre Augen glitten forschend über den Körper des Mädchens, während Iain unaufgefordert begann, ihre Utensilien auszupacken. Aus den Augenwinkeln sah er, wie sich Colia neben der Patientin niederließ und mit der Hand Stirn und Puls befühlte.

      Er wunderte sich ein wenig, warum sie nicht vor der Kälte des Mädchens zurückschreckte, wie er es zuvor getan hatte.

      „Ist sie schon die ganze Zeit bewusstlos?“, wollte Colia ruhig wissen.

      Mit der gleichen Ruhe zog sie der Unbekannten ihre silbernen Reifen von den Oberarmen und begann den Halsschmuck aufzunesteln.

      Iain trat nachdenklich hinzu. Er ließ die vergangene Stunde noch einmal in seinem Geist aufleben, dann schüttelte er den Kopf.

      „Ich kann es nicht genau sagen, mir schien ihr Zustand die ganze Zeit unverändert. Anfangs dachte ich sogar, sie wäre tot. Sie ist so kalt, und sie atmet kaum, auch den Herzschlag ertastete ich nur mit Mühe.“

      „Sie atmet nicht kaum, sie atmet überhaupt nicht“, korrigierte Colia ihn nachsichtig lächelnd.

      Iain riss entsetzt die Augen auf. Er blickte zwischen den Frauen entgeistert hin und her.

      „Heißt das, sie ist …? Aber ihr Herz schlägt doch noch, … und sie hat doch offensichtlich Schmerzen!“

      Colia erhob sich und legte eine Hand auf die Schulter des jungen Mannes. Sie hielt seine Augen mit eindringlichem Blick fest.

      „Iain, ihre Körpertemperatur muss dem Gefrierpunkt entsprechen, und sie hat eine kaum fassbare Herzfrequenz.

      Es gibt nun einmal Dinge zwischen Himmel und Erde, die wir nicht erklären können, und bei diesem Mädchen ist es doch offensichtlich, dass sie keine Paxianerin ist.

      Wir wissen nicht, wie vielen Kindern Paxia außer uns noch das Leben geschenkt hat. Wahrscheinlich gehört sie einem dieser unbekannten Sagenwesen an.“

      „Aber woher genau kommt sie? Was ist sie?“, murmelte er hilflos.

      Colia lachte, es klang unbekümmert.

      „Wir werden es erfahren, sobald sie wieder bei Bewusstsein ist.

      Jetzt sollten wir lieber herausfinden, was ihr fehlt, und ihr Ruhe gönnen. Ihre Arme habe ich bereits untersucht, es ist nichts gebrochen. Also hilf mir sie zu entkleiden, damit ich weitersehen kann.“

      Iain wusste, dies war normalerweise eine Tätigkeit, die sie mit einer Frau zusammen durchführte, um die Intimsphäre der Patientin zu schützen. Er versuchte so neutral es ihm möglich war, an diese Aufgabe heranzugehen.

      „Sieh dir nur diese Stoffe an. Ich habe niemals etwas Derartiges zuvor gesehen.“ Colia bewunderte fasziniert die zwei verschiedenen Gewebe, aus denen die Kleidung der Unbekannten bestand.

      Das eine war ein hauchfeines Überkleid, das aus dem dunklen Silber von Sternen gewoben schien. Es ließ die Schultern des Mädchens frei und reichte ihr vorne bis zum Knie, hinten fiel es bis fast zum Boden.

      Ein schwerer Gürtel, besetzt mit silbernen Monden, hielt es in der schmalen Taille zusammen.

      Der Stoff des langen, schwarzen Trägerkleides darunter war wesentlich schwerer und am Oberkörper sehr eng anliegend.

      Colia wies Iain an, den Gürtel zu lösen und das Mädchen aufzusetzen, damit sie ihr das Überkleid ausziehen konnte. Das Unterkleid stellte ein wesentlich größeres Problem dar. Bis sie den Schließmechanismus entdeckt hatten, war eine ganze Zeit vergangen.

      „Normalerweise stelle ich mich geschickter beim Ausziehen einer jungen Dame an“, lästerte Iain über sich selbst, während er die Schnürung an der Seite des Kleides löste.

      Colia musterte ihn nur ironisch.

      „Normalerweise ziehst du sicher nicht solch ein Mädchen aus.“

      Nein, wirklich nicht, dachte er und ertappte sich dabei, dass er die Vorstellung genießen würde. Aber da wusste er auch noch nicht, was ihn unter den Kleidern erwartete.

      Jedenfalls nicht das, was er letztendlich zu sehen bekam – einschließlich der Antwort, warum sie so schwer gewesen war.

      Sie war einfach vollkommen.

      Sprachlos betrachtete er die nackte Schönheit des Mädchens.

      Sie war aufregend weiblich, mit schier endlosen Beinen, einer schmalen Taille und einem wunderbar geformten Busen, dessen Spitzen eben jenes reizvoll silbrige Rosa besaßen wie ihre Lippen.

      Nur mühsam widerstand er dem Drang, sie zu berühren. Alles an ihr zog ihn an, brachte seinen Körper in Aufruhr.

      Oder war es doch nur Neugier?

      „Sie wird keinen Spaß verstehen, wenn sie wieder zu Bewusstsein kommt. Sie muss eine Kriegerin sein.“ Colia, die ihn durchschauen konnte wie ein offenes Buch, riss ihn aus seinen verbotenen Gedanken und brachte ihn zurück in die Realität.

      Um sich nicht der Gefahr auszusetzen, verlegen zu erröten, beschäftigte er sich mit Colias Vermutung.

      Er musste ihr innerlich Recht geben. Neutral betrachtet, waren die Muskeln der Unbekannten, bei aller Weiblichkeit, so ausgeprägt definiert, dass sie sich bestimmt zu wehren wusste.

      Seltsamerweise erregte ihn dieser Gedanke noch mehr.

      Unzufrieden mit seiner mangelnden Disziplin, sprang er auf und lief unruhig im Zimmer umher, versuchte zu übersehen, wie Colia den Körper nach möglichen Verletzungen abtastete.

      Um sich abzulenken, holte er ein weißes Hemd aus dem Schrank, das sie dem Mädchen nach Abschluss der Untersuchungen anziehen konnten. Das brachte ihn dann hoffentlich