Alexander Winethorn

Endgame


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diese Krisensitzung einberufen lassen.«

      Der Präsident blieb abrupt stehen. »Wer wird kommen?«

      »Alle«, sagte Eva nüchtern. »Sie alle werden kommen.«

      Pollux wischte sich mit einem Seidentuch die Schweißperlen von der Stirn. »Was hat DAS ZEPTER geschrieben?«

      DAS ZEPTER war die meistgelesene Tageszeitung des Landes und dementsprechend ein wichtiges Werkzeug, um die Meinung der Bevölkerung zu beeinflussen. Der Politiker, der diese Zeitung für sich gewinnen konnte, hatte das Volk so gut wie in der Tasche. Der Eigentümer, Roland Sprizzer, wurde aufgrund dieser mangelnden Objektivität von vielen kritisiert.

      »Sie haben uns ihre volle Unterstützung versprochen. Sie werden das schreiben, was wir ihnen vorgeben, solange wir die üblichen Gegenleistungen einhalten.« Eva musste sich bei diesen Worten auf die Lippen beißen. Sie empfand die enge Beziehung zwischen den Medien und der Politik als anstößig. Die fehlende Moral und Ethik dahinter gefiel ihr nicht, und als neu gewählte Kanzlerin plante sie, diese verlogene Synergie möglichst bald zu unterbinden.

      »Ich werde Roland unsere Dankbarkeit ausrichten, wenn ich ihn beim nächsten Golfturnier treffe«, sagte Präsident Pollux und ging mit Eva einen schmalen Korridor entlang. Sie befanden sich in einem Teil des Parlaments, in dem es größtenteils nur Büros und Konferenzzimmer gab.

      »Sind schon alle versammelt, oder sind wir die Ersten?«, fragte der Präsident.

      »Ich habe mit dem Vorsitzenden des Gewerkschaftsrates telefoniert. Aufgrund der Unruhen und der Ausgangssperre werden sich die Ratsmitglieder etwas verspäten. Viele Abgeordnete sind ebenfalls noch nicht eingetroffen. Einige haben das Land fluchtartig verlassen.«

      Pollux schnaufte verächtlich und dachte dabei an Stronz. Stronz war der Bürgermeister dieser Stadt. Nachdem die Situation in der gestrigen Nacht außer Kontrolle geriet, packte er seine Sachen und machte sich aus dem Staub. Den letzten Berichten zufolge wurde er am Flughafen gesichtet, als er gerade in sein Privatflugzeug stieg. Wohin seine überstürzte Reise gehen sollte, wusste niemand.

      Der Präsident und die Kanzlerin eilten zum Lift, als ihnen ein Mann mit aufgeregter Stimme zurief: »Wartet auf mich!« Bei dem Mann handelte es sich um den Obersten Richter Simon Stauff.

      »Hallo Simon«, sagte der Präsident.

      »Was machst du denn hier, Richard?«, fragte der Richter. »Solltest du nicht am Strand liegen, Cocktails schlürfen und deine Frühpension genießen, während wir die wichtigen Entscheidungen treffen? Du weißt schon, die Leute, die in diesem Land noch etwas zu sagen haben.«

      Pollux ignorierte seine abfällige Bemerkung und sagte: »Wahrscheinlich kennst du bereits unsere neue Kanzlerin, Eva Scheppert.«

      Der Präsident machte einen Schritt zur Seite, und Eva reichte dem Mann die Hand.

      »Natürlich kenne ich die Dame! Ich war doch bei ihrer Vereidigung dabei. Die erste weibliche Kanzlerin des Landes. Hervorragende Rednerin. Eine geborene Politikerin. Eigentlich hatte ich gehofft, Sie würden für mich beim Obersten Gerichtshof arbeiten, Frau Scheppert.«

      »Ich habe mich über Ihr Angebot gefreut, aber …«

      »Ist schon gut«, unterbrach der Richter sie. »Ich hätte mich wahrscheinlich auch für die Königsklasse entschieden. Man sollte immer die Gelegenheit am Schopf packen, schließlich kann man nie genug Macht haben. Nicht wahr?«

      »Ich bin schon froh, wenn wir diese Nacht heil überstehen«, erwiderte Eva.

      »Die Krisensitzung scheint spannend zu werden. Ihr wisst doch, was man sagt, wenn sich Legislative, Exekutive und Judikative treffen?« Nach einer Pause beantwortete der Richter seine Frage selbst. »Es wird ein Gemetzel!« Sein Lachen war nur von kurzer Dauer, als er bemerkte, dass er der Einzige war, der über seinen Witz lachte.

      »Wir müssen gehen, man wartet bereits auf uns«, sagte Präsident Pollux ungeduldig und setzte mit Eva den Weg fort, der sie tiefer ins Parlament führte.

      Der Krieger

      ****

      Peter Pollux schlug mit aller Kraft gegen das Gesicht des Ladenbesitzers. Der alte Mann hatte kaum Widerstand geleistet und ging bereits nach dem ersten Treffer zu Boden.

      Eigentlich hätte der Besitzer des Eisenwarenladens nicht mehr im Geschäft sein sollen.

      Wäre er bloß nicht zurückgekommen, dachte Peter und sah auf den bewusstlosen Körper des Ladenbesitzers.

      »Wo bleibst du?«, rief sein Kamerad, A2013, ungeduldig. »Wir müssen von hier verschwinden, bevor die Bullen auftauchen!«

      »Nimm die Tasche! Ich komme gleich nach!«, antwortete Peter und deutete auf die schwarze Sporttasche, die mit allerlei gestohlenem Werkzeug gefüllt war.

      A2013 hatte Mühe die schwere Tasche aufzuheben. Er packte sie mit beiden Händen und zerrte sie die Straße entlang.

      Ein zweiter Mann, der sich hinter dem Laden versteckt gehalten hatte, stürmte mit einer Brechstange bewaffnet nach vorne. Peter konnte gerade noch rechtzeitig dem Hieb ausweichen und konterte sogleich mit einem Ellbogenschlag auf die Nase. Blut spritzte aus den Nasenlöchern des Mannes, und wenige Sekunden später brach er völlig zusammen.

      Beide Männer lagen nun bewusstlos vor dem Eisenwarengeschäft.

      Peter dachte nicht lange nach und lief so schnell er konnte davon. Als er sich nach einigen Metern umdrehte, lagen die beiden Männer noch immer regungslos auf der Straße. Seine Schläge waren hart und wirkungsvoll gewesen. Vielleicht zu hart und wirkungsvoll. »Mist!«, fluchte er leise.

      »Peter, ich kann nicht mehr. Die Tasche ist zu schwer!«, stöhnte sein Kamerad und blieb stehen. Die prall gefüllte Sporttasche sank zu Boden.

      »Was machst du, A2013? Wir müssen von hier verschwinden! Komm, ich nehme sie von der anderen Seite.« Zu zweit trug sich die Tasche zwar etwas leichter, aber sie kamen dafür auch langsamer voran. »Und sprich mich nicht mit meinem Namen an«, fügte Peter verärgert hinzu.

      »Entschuldige, Peter, … ich meine … A76667.«

      Sie durchquerten das Armenviertel der Stadt. Die Gegend war heruntergekommen, und die Häuser sahen erbärmlich aus. Die Gärten waren ungepflegt und von Unkraut überwuchert. In der Ferne hörte man eine Gruppe von Hunden bellen und jaulen.

      »Was machst du?«, fragte Peter seinen Kameraden, der das schwarze Halstuch von seinem Mund nahm und es in die Hosentasche steckte.

      Beide Jungs trugen ein schwarzes Tuch vor dem Mund, um ihre Gesichter zu verbergen. Auf den Tüchern war ein grinsender Totenkopf abgebildet, das Symbol des Sirius-Kollektivs.

      »Unter dem Tuch ersticke ich«, meinte A2013.

      Peter tat es seinem Kameraden gleich und riss sich das Tuch vom Mund. Er atmete die frische Nachtluft ein. Eigentlich wollte er auch sein Kopftuch ablegen, entschied sich aber dann doch dagegen. Peter hatte feuerrotes Haar, und um nicht wiedererkannt zu werden, musste er es verstecken.

      »Glaubst du, sie sind tot?«, fragte A2013.

      »Wer?«

      »Der Ladenbesitzer und sein Freund.«

      »Keine Ahnung«, antwortete Peter.

      »Ja, aber was ist, wenn sie tot sind?«

      Peter verlor die Geduld und begann zu schreien: »Wenn dir an den beiden so viel liegt, dann lauf doch zu ihnen zurück!«

      Sein Kamerad schwieg.

      Peter war wütend. Alles lief schief. Zuerst kam er mehr als zwanzig Minuten zu spät zum vereinbarten Treffpunkt, was nicht seine Schuld war, sondern die seiner Schwester Alice. Danach hatten sie sich in der Stadt verlaufen, und zu guter Letzt kam der Ladenbesitzer mit einem Freund zurück. Es war ihr erster Auftrag, und fast hätten