Hans W. Schumacher

Der Diplomatenkoffer


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von heikel gesagt.“

      „Rede nicht um den heißen Brei herum“, insistierte der Meisterdetektiv, „warum steht keine Adresse auf den Brief?“

      „Es könnte sein, dass dir der Brief abhanden kommt.“ Auguste wiegte bedächtig das weiße Haupt.

      „Du spinnst, ich garantiere dir die persönliche Zustellung. Aber warum rufst du die Frau nicht einfach an?“

      „Da hören zu viele mit.“

      „Wie ist es mit E-Mail, Fax ..?“

      „Das Gleiche!“

      „Warum fährst du nicht selbst zu ihr?“

      „Mich erkennt man sofort überall. Und dann redet man rum. Aber ich denke, dass du ohne große Umstände zu der betreffenden Person kommen wirst, du musst dir dazu nur noch den Namen Carulli merken. Das ist so eine Art Passwort.“

      „Warum, um Himmels Willen?“

      Auguste setzte sich gemütlich im Gartensessel zurecht: „Das dient dazu, eine Eventualität auszuschließen: nämlich dass Frau Granier dich nicht vorlässt, bzw. dass du nicht zu ihr vorgelassen wirst. Lass' dann einfließen, Herr Carulli habe dich geschickt oder etwas Ähnliches, und sie kommt sofort selbst an die Tür.“

      Der große Politiker lehnte sich in den Sessel zurück und schaute zufrieden umher.

      Bernard starrte ihn entwaffnet an, schrieb das Wort Carulli zu der Adresse auf dem Zettel, nahm den Brief vom Tisch, wog ihn in der Hand und meinte:

      „Eins muss man dir lassen, du hast es wirklich raus, einen neugierig zu machen.“

      „Ich setze noch eins drauf“, der alte Grandville lachte, „auf dich wartet eine Überraschung. Wundere dich nicht, wenn dir dort jemand seltsam bekannt vorkommen sollte.“

      Er erhob sich zum Abschied ein wenig mühsam von seinem Sitz, doch als Bernard ihm eine Hand reichen wollte, winkte er ab:

      „Schon gut, mein Junge. So schlapp bin ich noch nicht.“ Er wandte sich im Davongehen noch einmal um und sagte: „Jetzt bist du dank deines neuen Berufs bestimmt neugierig auf das, was in dem Brief steht.“

      „Aber nun hör mal, Papa, du kannst doch nicht im Ernst denken, dass ich den Brief öffnen will.“

      „Der Umschlag ist vollkommen neutral, du könntest ihn durch einen anderen ersetzen und niemand würde etwas merken.“

      Bernard setzte sich in Positur: „Papa, nun langt’s. Provozier’ es nicht.“

      „Was denn?“ fragte der Alte listig.

      „Dass ich es wirklich tue.“

      „Es ist deine Entscheidung“, sagte sein Vater über die Schulter und schritt gemächlich auf seine Villa zu, die jenseits eines begrasten Hügels am anderen Ende des Grundstücks lag.

      Alter Fuchs, dachte Bernard amüsiert, während er ihm nachsah, es geschähe ihm recht, wenn ich den Brief tatsächlich lesen würde. Als er ins Haus ging, um sich für die Reise umzuziehen, überfielen ihn doch Skrupel. Beim Packen seiner Aktenmappe im Arbeitszimmer kam er darauf, wie er das Problem lösen konnte. Er öffnete den Umschlag, legte den Brief, ohne seine Vorderseite zu lesen – die Rückseite war leer – auf den Kopierer, machte einen Abzug, den er zusammengefaltet in seinen Tresor legte, und steckte das Original in ein neues Kuvert. Wenn ihm etwas nach dem Besuch bei der mysteriösen Madame Granier nicht koscher vorkommen sollte, würde er die Kopie lesen. Wäre das nicht der Fall, würde er sie ungelesen vernichten.

      In die Geschäfte seines Vaters verwickelt zu werden, konnte zuweilen unabsehbare Folgen haben das wusste er aus leidvoller Erfahrung. Dem musste er vorbauen.

      Kapitel 9

      Kommissar Renard schaute aus dem Fenster seines Büros auf die träge dahinfließende Seine und trommelte mit den Fingern an das Glas; er erwartete Inspektor Lafitte, der sich für zehn Uhr angesagt hatte. Auf den Schnellstraßen entlang den Quais rasten in endloser Folge Automobile daher, auf dem Fluß glitt indessen majestätisch ein schwerer Lastkahn vorbei, ihn ließ die Hektik der Großstadt kalt; eine Frau stand hinter dem Führerhaus und hängte Wäsche an die Leine, Laken, Hemden, Handtücher, Unterhosen, Büstenhalter. Rauch stieg aus dem Ofenrohr über den Wohnkabinen, da kochte wohl schon ein leckeres Süppchen, während der Kapitänsgemahl hinter blinkenden Scheiben besinnlich am Steuerrad drehte.

      Renard sah mit leiser Wehmut auf die Szene hinunter, er erinnerte sich daran, dass er als Junge einmal in der Picardie bei seinem Onkel zu Besuch gewesen war, der dort als Schleusenwärter am Verbindungskanal zwischen der Oise und der Marne wohnte. Damals hatte er davon geträumt, auch ein Schiff zu lenken, natürlich nicht nur durch gemütliche französische und belgische Kanäle, sondern hinaus aufs Weltmeer bis zu den Fidji-Inseln. Die Bilder von Gauguin hatten es ihm angetan. Diese wunderbaren braunen Frauen in ihren roten und blauen Sarongs, die Fabelblumen und exotischen Tiere....

      Aber ehe er sich weiteren Erinnerungen hingeben konnte, klopfte es, er rief „Herein!“ und Lafitte erschien, geschäftig wie immer, und begann schon, ehe er ihn erreicht hatte, zu reden:

      „Chef...“

      „Guten Morgen übrigens“, unterbrach ihn Renard lächelnd.

      „Tschuldigung, guten Morgen natürlich, ich wollte nur sagen...“

      „Setzen wir uns erst mal“, stoppte ihn der Kommissar erneut, „wie wär’s mit einem Schluck Kaffee?“

      „Da sag’ ich nicht nein.“ Lafitte ließ sich neben ihm an einem Tischchen vor dem Fenster nieder, Renard goß aus einer Thermoskanne heißen Kaffee in zwei bereitstehende Tassen und lehnte sich in seinen Sessel zurück:

      „So, jetzt kann’s losgehen.“

      „Also, Chef, ich habe mich in Müllologie vertieft.“

      „Was soll das denn sein?“

      „Den Begriff habe ich geprägt: er bedeutet die Wissenschaft der Abfallbeseitigung, speziell der von Paris.“

      „Na, hoffentlich haben Sie sich nicht so intensiv in die Materie hineingekniet wie Victor Hugo in die Pariser Kloaken. Sie riechen tatsächlich ein wenig streng.“

      „Aber Chef, das kann nicht sein, gestern Abend habe ich mich geduscht, heute früh die Kleider gewechselt und danach hing ich nur am Telefon.“

      „War nur Spaß“, beruhigte ihn Renard.

      „Also ich habe mich gefragt, ob sich feststellen lässt, welches Fahrzeug den alten Schrank mit der Leiche und den Schreinereiabfällen transportiert hat und wo es ihn aufgeladen haben kann.“

      „Richtig, das war die Preisfrage und wie ist die Lösung?“

      Lafitte trank seine Tasse leer, setzte sie zurück und fuhr fort:

      „Die war nicht ganz einfach herauszukriegen, am besten erzähle ich Ihnen die Sache chronologisch, denn wenn ich Ihnen die Lösung sage, wollen Sie bestimmt wissen, welche Beweise ich dafür habe.“

      „Also gut, dann schießen Sie mal los.“

      „Der Mann auf dem betreffenden Amt sagte mir, dass die Deponie in Montreuil Hauhaltsabfälle, Schutt, Sperrmüll usw. aus allen umgebenden Städten und Dörfern aufnimmt, deshalb müsste man zuerst einmal ‚eruieren’, aus welchem speziellen Ort das ‚Abfallgut’ stamme.“

      „Eruieren“, Renard schüttelte den Kopf, „wissen Sie, was das heißen soll?“

      Lafitte grinste: „Das habe ich den Beamten auch gefragt. Eruieren bedeutet ‚herauskriegen’. Ich denke, die vornehme Sprache soll das schmutzige Geschäft veredeln.“

      „Aha!“

      „Also habe ich mir die Fotos und den Bericht über den Fundort noch einmal vorgenommen und mir fielen die vielen bunten Stofflumpen