Federn. Überall diese dicken, schweren Federn. Sie fielen auf Agatha hinab wie Schnee, begruben sie wie eine Lawine. Agatha versuchte, einen Arm zu bewegen, sich freizustrampeln. Ohne Erfolg. In der Ferne hörte sie das Kreischen, merkwürdig gedämpft durch die Decke aus Federn. Vor Agathas innerem Auge blitzte ein Vogelschwarm auf. Aber waren das wirklich Vögel? Es waren riesenhafte Wesen mit drei, vier ... sechs kräftigen Flügeln. Und da war dieser enorme, unrasierte Kerl. Er schwang eine Peitsche. Ein Vogeldompteur? Agatha war, als beugte er sich über sie. »Das ist nur die Tochter«, brummte er. »Wir müssen weitersuchen.«
»Weitersuchen, nach was? «, wollte Agatha fragen. »Nach wem?« Da spuckte der Kerl ihr mitten ins Gesicht. Nass und klebrig fühlte der Batzen sich an. Ein Klirren lenkte Agatha ab, gefolgt von einem lauten Poltern. Direkt über ihr. Dann waren da diese Flüche, in einer nie gehörten Sprache. Langsam, viel zu langsam, entfernten sie sich ...
Agatha öffnete die Augen. Sie blickte direkt in Herrn Schmidts kleines Dackelgesicht. Er saß neben ihrem Kopfkissen und leckte sie liebevoll mit seiner langen, schmalen und etwas ekligen Zunge ab.
»Herr Schmidt, hör sofort auf!«, rief Agatha panisch. Eine Hundezunge war ein wahres Paradies für die allergefährlichsten Bakterien der Welt!
Herr Schmidt merkte sofort, dass seine Küsse bei Agatha nicht auf Gegenliebe stießen. Schmollend verzog er sich an das Fußende des Bettes. Kurz überlegte er, ob er sich an Agatha rächen und an ihren Schreibtisch pinkeln sollte. Aber er war im wahrsten Sinn des Wortes hundemüde, da er wie jeden Abend Leos Cognac ausgeschlabbert hatte. Er war eben ein echter Genusshund! Außerdem ließ ihn so ein Tröpfchen einfach besser schlummern. Wer so gute Ohren hatte wie er, wurde sonst ständig wach, da reichte das Husten einer Fliege!
Bevor Herr Schmidt es sich für seine zweite Runde Schlaf gemütlich machte, streckte er sich kräftig aus und machte den Hund, eine von Theas Yogaübungen: Mit dem Oberkörper legte er sich flach auf die Matratze, stellte die Hinterbeine auf und schob den Po soweit es ging nach oben – der Rücken musste ganz lang werden. Das konnte er als Dackel natürlich besonders gut, weshalb er damit immer jede Menge Neid weckte. Er schielte zu Agatha. Sah sie, wie sportlich er war? Noch dazu so früh am Morgen? Aber nein, sie zog sich die Decke über den Kopf! Agatha wollte über den Traum nachdenken, der heute anders gewesen war. Irgendwie echter und näher. Bedrohlicher. Woran das gelegen hatte?
Da fiel Agatha etwas anderes ein: Geburtstag! Sie und Arnold wurden heute zwölf! Eine riesige Freude stieg in Agatha auf, in ihrem Bauch schienen Tausende von Ameisen zu krabbeln. Die Neugier auf die Geschenke breitete sich aus.
»Weißt du, wer heute Geburtstag hat, du kleines Hundebaby?«, gurrte sie, drückte Herrn Schmidt einmal fest an sich und kraulte ihn hinter den Ohren. »Gratulier mal deinem lieben Frauchen!«
Herr Schmidt war irritiert. Gerade noch hatte Agatha ihn angeschrien und nun säuselte sie ihm ins Ohr! Er beschloss, gelassen zu bleiben, desinteressiert zu wirken und die Augen fest geschlossen zu halten.
Schließlich schnappte Agatha sich den Dackel, klemmte ihn unter ihren einen Arm und das Geschenk für Arnold unter den anderen. So eilte sie in sein Zimmer. Etwas unsanft setzte sie Herrn Schmidt auf dem Boden ab. Mit Schwung warf sie sich neben ihren tief schlafenden Bruder.
»Arnold, Bruderscherz! Guten Morgen!«
Arnold zuckte zusammen. Kurz schien es, als traute er sich nicht, die Augen zu öffnen. Sah er etwa auch diesen riesenhaften Vogeldompteur vor sich? Da war der Moment vorbei. Geradezu erleichtert schlang Arnold beide Arme um Agatha: »Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag, liebes Schwesterherz!« Er freute sich riesig, dass Agatha ihm wie immer als Erste gratulierte.
So gehörte sich das. Zuerst wurden die Geschwistergeschenke ausgetauscht und dann wurde gemeinsam auf die Eltern gewartet. Bestimmt bereiteten Thea und Leo gerade den Geburtstagstisch vor. Bald würden sie in Arnolds Schlafzimmer marschieren – fröhlich, laut und schief singend, samt einem fetten Geburtstagkuchen. Die Kerzen darauf wären wie immer elektrisch, da Agatha sonst ständig Angst vor einem Zimmerbrand hatte.
»Ich wünsche dir auch alles Gute zum Geburtstag«, flüsterte Agatha ihrem Bruder ins Ohr.
»Schau mal, was ich für dich habe.« Hinter ihrem Rücken zog sie ein himmelblaues Päckchen hervor. Arnold schnappte es sich und riss das Papier auf. Es war ein Buch.
»Wie überlebe ich eine Hai-Attacke fast unverletzt?«, las Arnold den Titel vor. »Super, danke! Jetzt bist du dran.« Er drückte ihr ein giftgrünes Päckchen in die Hand.
Agatha konnte mindestens so schnell auspacken wie ihr Bruder. Ein feuerfester Bikini kam zum Vorschein. »Wo hast du denn den gefunden?«, rief sie und gab ihrem Bruder einen Kuss auf beide Wangen. Dann huschten die zwei unter die Bettdecke, um auf Thea und Leo zu warten.
Aber statt der elterlichen Schritte Richtung Zimmertür, hörten sie entfernt das leise Weinen von Greta. Es wurde immer lauter und jämmerlicher. Das war merkwürdig: Eigentlich weinte Greta so gut wie nie. Sie kam einfach nicht dazu, weil sämtliche Familienmitglieder sich beeilten, ihr jeden Wunsch von den Augen abzulesen.
Ein ungutes Gefühl machte sich bei den Zwillingen breit.
»Was hat Greta bloß?«, fragte Agatha. »Warum sehen Mama oder Papa nicht nach ihr?«
Arnold zuckte mit den Schultern. »Vermutlich sind die beiden so mit dem Aufbau des Geburtstagstischs beschäftigt, dass sie Greta gar nicht hören.«
»Dann hol ich sie eben zu uns ins Bett«, beschloss Agatha.
Auf Zehenspitzen schlich sie die Treppe hoch ins Elternschlafzimmer, öffnete die Tür und tatsächlich: Da lag Greta heftig weinend mitten im Doppelbett der Eltern. Ihre Nase war schon ganz rot, ihre Augen waren ganz klein!
»Mama, Papa, weg«, klagte Greta und ließ sich von Agatha auf den Arm nehmen. »Mama, Papa, aua.«
»Mama und Papa sind unten«, sagte Agatha. »Sie haben dich nicht gehört. Arme Greta-Maus. Du kommst jetzt mit zu uns ins Bett.«
Doch Greta ließ sich nicht so einfach wegtragen, sie strampelte mit aller Kraft. »Mama, Papa, aua!«, wiederholte Greta und zeigte auf das Bett.
Agatha warf einen Blick über ihre Schulter. Was sie sah, ließ sie erstarren. Auf dem Bettlaken waren Flecken. Rote Flecken. Wie hatte sie die übersehen können?
Mit schnellen Schritten ging sie zurück und beugte sich über die Matratze. »Das ist ja … das ist ja Blut«, flüsterte Agatha. Ihr Herz schlug schneller. Nun sah Agatha auch, dass das Schlafzimmer der Eltern völlig durcheinandergeraten war: Kissen und Decken lagen auf dem Fußboden. Eine Nachttischlampe war zerbrochen, die Scherben verteilten sich im ganzen Zimmer. Die Tür des Kleiderschranks war halb aus den Angeln gerissen. Der Spiegel auf Theas Kosmetiktisch war zerschmettert. Agatha nahm einen ekelhaften Geruch wahr, der ihr merkwürdig vertraut vorkam. Um nicht würgen zu müssen, hielt sie die Luft an. Ihr Magen verkrampfte sich.
Sie befürchtete einen Einbruch, einen Überfall! Ja, sogar einen Mord. Einen Doppelmord! Agatha zwang sich, ruhig zu atmen. Auf keinen Fall wollte sie Greta weiter verunsichern.
Doch dann brach es aus ihr heraus: »Mama! Papa!«, schrie sie. »Mama, Papa, wo seid ihr?«
Panik überfiel Agatha, Sie rannte, immer zwei Stufen auf einmal, die Treppe hinunter ins Zimmer ihres Bruders. Atemlos erzählte Agatha ihm von dem verwüsteten Zimmer, dem Blut und ihrer schrecklichen Theorie.
Arnold setzte sich im Bett auf und fuhr sich durch die Haare. »Jetzt mal langsam.« Es schien, als wolle er sich selbst beruhigen. »Irgendwo werden die beiden schon stecken«, sagte er betont gelassen. »Wir können nachsehen!«
Nachdem die Geschwister Haus und Garten erfolglos abgesucht hatten, waren sie ziemlich erschöpft. Nur Herr Schmidt wurde von Minute zu Minute munterer. Bei aller Sorge um Leo und Thea, war er doch glücklich: Endlich gab es mal eine Aufgabe für den Spürhund in ihm. Ach was, Spürhund! Ein richtiger Jagdhund war er! Er versuchte, sich seine Freunde nicht anmerken zu lassen und richtete seine Schnauze besorgt Richtung