Ernst Meder

Stadt ohne Licht


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er nicht in der Wohnung sein würde.

      »Sie ist das Gegenteil der Schülerin von heute. Sie hat das Talent und die musikalische Begabung einmal als Geigerin ihr Publikum zu verzaubern. Aber wie es so ist im Leben, die eine Mutter hat ein untalentiertes Kind, dafür hat sie das Geld für den Musikunterricht. Die andere Mutter würde ihr Kind lieber Heute als morgen aus dem Unterricht nehmen, da sie sich den nicht leisten kann«.

      Verschmitzt fügte sie hinzu, »also habe ich einen Kompromiss für mich geschlossen«. »Eigentlich wollte ich in meinem Alter nur noch ein Kind unterrichten, jetzt unterrichte ich das eine Kind und muss für das zweite Kind nur noch die Hälfte meines Honorars in Rechnung stellen. Das ist meine Form der Unterstützung von Musik, ich lasse eine Stunde meine Ohren malträtieren, um sie danach zu erfreuen«. Jetzt lächelte sie in sich hinein, so als ob sie an die zweite Schülerin dachte.

      Wie aus einem Traum erwachend sprach sie aus, was aus ihrem Gesicht bereits ablesbar war. »Vergiss was Du gerade gehört hast, sie spielt bezaubernd, obwohl sie erst neun Jahre alt ist«.

      Elisabeth hatte nicht übertrieben, die Gefühle die dieses neunjährige Mädchen mit ihrer Geige auszudrücken vermochte, klangen auch für seine ungeübten Ohren außergewöhnlich. Zuerst zögernd, dann jedoch von dem Mädchen überrascht, hatte er sich auf den Balkon gesetzt, um besser zuhören zu können. In seinem Elternhaus war klassische Musik eher eine Seltenheit, der einzige Mensch, der je klassische Musik hörte, war seine Mutter. Zum ersten Mal konnte er den entrückten Gesichtsausdruck seiner Mutter nachvollziehen, als er jetzt hörte, wie jemand mit einem Streichinstrument Trauer, Freude aber auch die Leichtigkeit des Seins ausdrückte. Alles, was Elisabeth über dieses Mädchen gesagt hatte, traf zu, es war, er dachte an die Aussage von Elisabeth, eine Freude für die Ohren.

      Sie kam auf den Balkon, setzte sich auf den Stuhl und schwieg mit ihm. Obwohl sie dieses Kind jede Woche hörte, konnte sie nachvollziehen, wie er sich gerade fühlte. Nach einer Weile stand sie auf, um kurz darauf mit Kaffee und zwei Tassen zurückzukehren.

      Inzwischen hatte er seine Sprache wiedergefunden. »Es ist bedauerlich, wenn ein Kind mit solchen Fähigkeiten nur dann eine Chance hat, wenn das Elternhaus genug Geld hat, den Unterricht zu bezahlen«.

      »Die Mutter ist alleinerziehend, sie war damals noch verheiratet, als ihre Tochter geboren wurde. Der Vater, sie zuckte mit den Schultern, ich weiß nicht, ob sie selbst so genau weiß, wo der sich gerade aufhält«.

      Zwei Wochen später eröffnete Elisabeth ihm, dass sie zu der jährlich stattfindenden Geburtstagsfeier ihrer Freundin Hertha Sommer nach Kiel fahren würde. Sie bat ihn, während ihrer Abwesenheit, auf die Wohnung zu achten und ihre Pflanzen zu betreuen. Auch wenn diese jährlich einmal ausgetauscht werden mussten, da sie im Laufe ihres Lebens ihren grünen Daumen verloren haben musste. Wenn ich denn je einen gehabt habe, fügte sie lapidar hinzu, trotzdem bestand sie auf der Pflege ihres Restbestandes. Vielleicht würde es dieses Jahr gelingen, eine Pflanze länger zwölf Monate zu haben. Sie hatte dieses auf die Wohnung achten, so nachdrücklich betont, dass er eigentlich stutzig hätte werden müssen. Aber das sollte er erst zu einem späteren Zeitpunkt feststellen.

      Zwischenzeitlich hatte er einen Aushilfsjob in dem nahegelegenen Discounter gefunden, den er auch während des Semesters würde ausüben können. Jetzt im September war dies die letzte Möglichkeit etwas Geld für die nächsten sechs Monate anzusparen, da er nicht ausschließlich von seinem Erbe leben wollte. Erstens reichte es nicht bis zum Ende des Studiums, außerdem gab es bestimmt Perioden während seines Studiums, die er intensiver an der Universität würde zubringen müssen. Er freute sich trotzdem auf den Beginn der Vorlesungen, die Anfang Oktober beginnen sollten, damit er sich endlich wieder seinem Hobby widmen konnte, seinen geliebten Motoren.

      Am Mittwoch begleitete er Elisabeth zum Bahnhof, von wo aus sie ihre Reise nach Kiel antreten wollte. Da sie ihre Freundin Hertha sowie die noch lebenden Kolleginnen aus ihrer Kieler Zeit sich seit einem Jahr nicht gesehen hatten, verlängerten sie diese Feierlichkeiten immer um ein paar Tage. Erst am Mittwoch der kommenden Woche wollte sie wieder zurückkommen.

      »Wenn etwas Unvorhergesehenes geschehen sollte, wirst Du nicht den Helden spielen, versprich mir das«.

      »Wieso, was soll schon geschehen, das einzig Unvorhergesehene kann nur sein, dass ich eine Deiner Pflanzen ertränke«, ergänzte er lächelnd, als er ihren ernsten Blick sah.

      »Bitte Johann, verspreche es mir, es ist mir wichtig. Wenn etwas geschieht, was nicht normal erscheint, dann wartest Du erst einmal ab«.

      »Meinetwegen, wenn es so wichtig ist, ich verspreche es«, dabei drückte er leicht Ihre Oberarme. »Oder verschweigst Du mir etwas«?

      »Nein aber«, sie zögerte, dann fuhr sie fort, »ich habe neben meinem Telefon die Adresse von Hertha notiert, wenn etwas sein sollte, dann kannst Du mich da erreichen. Ich werde die nächsten Tage auch bei ihr übernachten«.

      Dann gab sie ihm völlig überraschend einen leichten Kuss auf die Wange, streichelte kurz mit dem Rücken ihrer Finger darüber und wandte sich zu dem Waggon, in dem ihr Platz reserviert war.

      »Bis nächsten Mittwoch, denk an meine Blumen«, dann winkte sie ihm kurz zu und ging energisch zu ihrem Platz.

      Nachdenklich verzog er sein Gesicht, was hatte sie ihm damit sagen wollen, dass er vorsichtig sein sollte. Gab es etwas, was Elisabeth ihm verschwiegen hatte, was unmittelbar mit seiner Anwesenheit in ihrer Wohnung zusammenhing. Er zuckte mit den Schultern, was für verrückte Ideen setzten sich in seinem Kopf fest, wahrscheinlich war ihre Angst in einem Erlebnis begründet, welches in ihrer Vergangenheit zu suchen war.

      Um nicht jedes Mal über das Treppenhaus in die Wohnung von Elisabeth gehen zu müssen, wenn er ihre Pflanzen versorgte, hatte er in ihrer Wohnung die Balkontüre nur angelehnt. Der Spätsommer brachte keine sonderlichen Überraschungen, alle befürchteten Wetterkapriolen blieben aus. Die Temperatur betrug nachts immer noch fast zwanzig Grad, so dass er auch seine Balkontür geöffnet ließ.

      Mit halb geschlossenen Augen versuchte er mit einem Blick auf die Uhr festzustellen, wie spät es war. Irgendetwas musste ihn geweckt haben, dass er zu so einer ungewöhnlichen Zeit wach wurde. Müde rieb er seine Augen, versuchte herauszufinden, wie spät es tatsächlich war. Es ist erst fünf Uhr, stellte er erstaunt fest, als ein Geräusch aus der Nachbarwohnung ihn aufmerksam werden ließ. Er lauschte, was für ein Geräusch war das, in Gedanken versuchte er nachzuvollziehen, was dieses Geräusch verursacht haben möge. Sollte Elisabeth etwa schon zurückgekommen sein und wie sollte es zu so früher Stunde möglich sein. War etwas in Kiel dazwischen gekommen, sie wollte doch bis Donnerstag bei ihrer Freundin bleiben. Gab es Probleme mit ihrer Freundin oder weshalb war sie bereits zwei Tage später wieder abgereist.

      Je wacher er wurde desto unwahrscheinlicher erschienen ihm seine Überlegungen, es war Samstagmorgen, weshalb hatte sie ihn nicht angerufen, er hätte sie doch vom Bahnhof abgeholt. Immer noch verwirrt setzte er sich auf, gab es um diese Zeit überhaupt eine Zugverbindung zwischen Kiel und Berlin. Er wusste es nicht, es war jetzt auch gleichgültig, als Erstes wollte er von Elisabeth erfahren, weshalb sie bereits wieder hier war. Dass sie ihn nicht angerufen hatte, empfand er ebenfalls als eigentümlich.

      Ein leiser Knall sowie ein geflüsterter Fluch ließen ihn erstarren, das war nicht die Stimme von Elisabeth, die Stimme klang eindeutig männlich. Hätten die beiden Balkontüren nicht offen gestanden, hätte er die Geräusche wahrscheinlich nicht wahrgenommen.

      Er musste reagieren, es konnte doch nicht sein, dass während der Zeit in der er auf die Wohnung achtete, diese von Dieben ausgeräumt wurde. Leise zog er eine Jeans über, dann schlich er auf den Balkon. Obwohl der Sonnenaufgang erst in etwa eineinhalb Stunden erfolgte, verbarg die Morgendämmerung nichts mehr. Vorsichtig schlich er auf den Balkon, gottseidank hatte er seine Balkontüre offen gelassen, jetzt war er froh, es würde kein Geräusch verursachen, wenn er auf den Balkon trat.

      Langsam, jedes Geräusch vermeidend glitt er an der Wand entlang, bis er den Bereich des Balkons erreichte, von wo er in das Wohnzimmer von Elisabeth blicken konnte. Er sah einen hageren Jugendlichen, der vor dem Schrank stand, in dem Elisabeth ihre