Ernst Meder

Stadt ohne Licht


Скачать книгу

der Jugendliche plötzlich losrannte.

      Ein Hupen sowie das Kreischen von Bremsen ließen ihn kurz innehalten, als er bereits wieder loslief. In diesem Moment erkannte er, dass er es nicht vor ihm zu Elisabeth schaffen würde, der Weg war einfach zu lang.

      Elisabeth Vorsicht der will etwas von Dir. Der Ruf hallte so laut über die Straße, dass Passanten erschrocken stehen blieben, auch der Einbrecher unterbrach kurz seinen Lauf. Dann erkannte er seinen Vorteil, rannte sofort weiter in Richtung Elisabeth, die sich erschrocken an die Hauswand drückte, dabei ihre Handtasche fest umklammerte. Es war das Unbekannte, das sie erstarren ließ, das gänzlich Unerwartete.

      Ehe sie sich auf die ungewohnte Situation einstellen konnte, war der Einbrecher bei ihr, riss an ihrer Handtasche, die sie fest umklammert hielt. Wütend schlug er auf die alte Frau ein, während er an der Handtasche riss. Es krachte so laut, als Elisabeth mit dem Kopf gegen die Hauswand knallte, dass er es die fünfzehn Meter, die er noch entfernt war, hören konnte. Wut und Verzweiflung waren die vorherrschenden Gefühle, die in ihm die Oberhand gewannen, als der Einbrecher endlich die Handtasche hatte und rannte.

      Die Wut verlieh ihm Flügel, außerdem waren Springerstiefel weniger geeignet, um Sprints zu absolvieren. Keuchend rannte er auf die Hauptstraße zu, wenn er die vor dem fließenden Verkehr überqueren konnte, würde er sich vor dem wütenden Verfolger retten können. Er wandte kurz den Kopf, wollte sehen, wie groß der Abstand noch war, als der Aufschrei der Passanten das Hupen und Kreischen der Autos übertönte.

      Nach Luft ringend starrte er auf das, was sich gerade vor seinen Augen ereignet hatte. In dem Moment, in dem sich der Dieb zu ihm umgedreht hatte, war er auf die Straße gerannt, wo ein Bus der öffentlichen Verkehrsmittel mit normaler Geschwindigkeit ankam. Ohne überhaupt reagieren zu können, musste der Busfahrer mit ansehen, wie der junge Mann unter den Bus geriet. Ein mehrfaches Holpern zeigte an, dass der Bus ihn mehrfach überrollt haben musste.

      Mit bleichem Gesicht trat er die Bremse, schaltete den Motor aus, dann blickte mit starrem Blick an ganzen Körper zitternd durch die Windschutzscheibe. Er fixierte keinen bestimmten Punkt, er starrte nur, während er spürte, dass er unfähig war, sich zu bewegen. Der Arzt, der ihn später untersuchte, diagnostizierte einen schweren Schock und überwies ihn in das nächstgelegene Krankenhaus.

      Mehrere Fahrgäste, die von dem Vorgang nichts mitbekommen hatten, murrten und zeterten wegen der nicht vorgesehenen Unterbrechung. Erst als Fahrgäste sie auf das Unglück aufmerksam gemacht hatten, verstummten einige.

      Johann hob die Handtasche von Elisabeth auf, die am Straßenrand lag, um sie zu Elisabeth zu bringen. Der Zorn hatte ihn blind werden lassen, eigentlich hätte er sich um Elisabeth kümmern sollen, der Inhalt der Handtasche war bestimmt ersetzbar.

      Wenn die Polizei kommt, sagen Sie diesen bitte, dass ich da gegenüber bei der alten Frau bin, dieser gehört die Handtasche fügte er unnötigerweise hinzu. Sagen Sie den Beamten, ich habe alles gesehen, ich kann den Unfallhergang beschreiben. Ehe der Passant protestieren konnte, wandte er sich ab, um zu Elisabeth zu gehen.

      Sie saß auf dem Fußweg an die Hauswand gelehnt, dabei hielt sie sich die linke Hand mit der rechten Hand fest umklammert. Ihre Augen wirkten trübe, nichts war von dem sprühenden Glanz vorhanden, den er sonst von ihr kannte. Neben ihr saß ein jüngerer Passant auf seinen Hacken, während er vorsichtig den Kopf untersuchte. Ihr Gesicht verzog sich schmerzhaft, als sie die Handtasche erkannte, die er in der Hand hielt.

      »Du bist verrückt Johann, wie kannst Du nur die Gefahr auf Dich nehmen wegen einer Handtasche«.

      »Warum hast Du sie ihm dann nicht überlassen«, die Erleichterung klang in seiner Stimme, wenigstens war sie nicht so schwer verletzt, wie er nach dem Laut angenommen hatte.

      Kurze Zeit später waren die Straßen erfüllt mit Fahrzeugen, deren kreisendes Blaulicht die Szenerie unwirklich erscheinen ließ. Feuerwehr, Polizei sowie ein Notarzt versuchten sich in dem Chaos, dass Passanten, neu hinzugekommene Gaffer sowie Neunmalkluge hervorgerufen hatten, zurechtzufinden. Erst nachdem der Leichnam des jungen Diebs weggebracht worden war, ließ das Interesse der ersten Gaffer nach. Mit dem Entfernen des Protagonisten der unverhofften Vorstellung fühlten sie sich um das Vergnügen sowie um den Nervenkitzel betrogen.

      Dem Arzt, der Elisabeth untersuchte, war das Grauen noch im Gesicht ablesbar, welches der Tote, der mehrfach von den Rädern Busses überrollt wurde, bei ihm erzeugt hatte. Elisabeth, die das Ende des schrecklichen Unfalls nicht mitbekommen hatte, las nun in dem Gesicht des Arztes das Grauen.

      »Was ist mit dem Jungen«, wollte sie von dem Arzt wissen.

      »Der ist tot«.

      Mehr konnte, mehr wollte der Arzt nicht sagen, sodass Elisabeth fragend zu Johann blickte.

      »Was ist geschehen«, die Angst in ihrer Stimme hatte nichts mit den Schmerzen ihrer Verletzung zu tun.

      »Er ist vor einen Bus gelaufen«, die Erklärung klang tonlos, bedauernd, so als ob er sich bei ihr entschuldigen wollte, dass er ihn verfolgt hatte. Plötzlich fühlte er sich schuldig, schuldig am Tod eines Menschen, schuldig wegen der Nichtigkeit, wegen der er ihn zu Tode gejagt hatte.

      In diesem Moment erreichte ihn, was er nur in einem Nebel wahrgenommen hatte. Es traf ihn wie ein Hammer, sein Herz begann zu rasen, die Schweißperlen, die auf seiner Stirn zu sehen waren, mussten dieses plötzliche Zittern hervorgerufen haben.

      Der Arzt sprach ihn an, wartete auf eine Reaktion, dann griff er in seine Tasche, um eine Spritze aufzuziehen.

      »Bitte machen Sie Ihren Arm frei«. Während Johann wie mechanisch der Anweisung folgte, erklärte der Arzt Elisabeth, was er tat.

      »Ich habe ihm ein Beruhigungsmittel gegeben, Ihr junger Freund hat einen akuten psychischen Schock. Wahrscheinlich hilft es sehr schnell. Aber jetzt muss ich mich endlich um Sie kümmern, Sie haben lange genug warten müssen«.

      »Sie müssen ins Krankenhaus«, ehe sie aufbegehren konnte, fuhr er fort. »Sie haben eine leichte Gehirnerschütterung, das an sich ist nicht so schlimm, ein bisschen Ruhe hilft da schon weiter. Die Platzwunde am Kopf müsste gereinigt und versorgt werden, die könnte ich auch bei uns im Wagen versorgen. Was jedoch unbedingt im Krankenhaus gemacht werden muss, ist die Versorgung der Radiusfraktur. Damit die Speiche wieder vernünftig zusammenwächst, müssen wir das Gelenk ruhigstellen«.

      Er spürte ihren fragenden Blick, »es ist nur ein leichter Gips, in ein paar Wochen ist alles wieder wie neu, dann wird der Gips entfernt. Mit ein paar Massagen und gymnastischen Übungen können Sie Weihnachten Ihre Gans ganz normal verzehren«.

      »Wieso ist das Gelenk gebrochen, ich habe doch nichts gemacht«.

      »Es war der Sturz, Sie haben versucht den Sturz mit der Hand abzufangen, dabei sind Sie wohl so unglücklich aufgekommen, dass die Speiche am Handgelenk gebrochen ist«.

      »Kann ich mit den Zeugen reden«, der Polizeibeamte wirkte bedrohlich, wie er so auf die sitzenden oder gebeugt stehenden Personen herabblickte.

      »Nein«, der Arzt begann mit Hilfe seines Begleiters Elisabeth aufzuhelfen, »außerdem werden beide jetzt ins Krankenhaus gebracht. Die Frau muss dringend versorgt werden, der junge Mann hat einen Schock, den können Sie jetzt sowieso nicht befragen«.

      »Aber«, der Polizist gab nicht auf, »ich brauche die Aussagen der Zeugen, schließlich haben wir es mit einem tödlichen Unfall zu tun«.

      Er begnügte sich mit den Personendaten sowie der Zusage sich zu melden, sofern eine Aussage möglich sei.

      Der Alltag hatte sie wieder. Nachdem sie aus dem Krankenhaus entlassen wurden, beide hatten eine Nacht zur Beobachtung dort verbracht, mussten sie zur Aussage ins Präsidium. Dort hatte man ihre Aussage protokolliert, die Richtigkeit der Niederschrift bestätigen lassen, dann kommentarlos verabschiedet.

      »Die hätten ruhig etwas freundlicher sein können«, begrüßte ihn Elisabeth, die ihre Aussage bereits beendet hatte.

      Johann zuckte mit den Schultern, er war froh wieder draußen