Sabine Keller

Die Angelsächsin


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Baumstamm zwischen sich und dem Wegelagerer verteidigte sie sich tapfer. Der Bandit konnte ihr so nicht viel anhaben. Bevor er sein grobschlächtiges Pferd um die mächtige Eiche herumgelenkt hatte und zum Schlag ausholte, war die junge Frau längst auf der anderen Seite des Baumes.

      Krachend fuhr der Stahl seines Schwertes zum wiederholten Male in den Stamm des Baumes. Er hatte sie wieder nicht getroffen! Nicht ihr Kopf, sondern nur das Holz splitterte unter seinem Hieb. Der Genarrte schäumte inzwischen vor Wut. Wenn er sie nur endlich in die Finger bekäme! Das wäre ihr sicherer Tod!

      So kam er keinen Schritt weiter. Zähneknirschend sah er es schließlich ein und glitt vom Pferd. Jetzt wurde die Lage bedrohlich für die zierliche Lady, denn gegen die Kraft dieses bulligen Mannes konnte sie in einem Zweikampf sicher nicht bestehen. Aber das wusste sie. Sie kannte ihre Schwächen und bemühte sich, ein Kräftemessen zu vermeiden. Dabei kam ihr die Wut des Banditen für eine Weile zu Hilfe, denn der cholerische Mann vergaß sämtliche Kampftechniken und sah nur noch rot.

      Als der Bandit jetzt wieder angriff, hob das Mädchen abwehrend ihren Knüppel und sprang gleichzeitig zu Seite. Entschlossen, ihre Deckung zu durchbrechen, legte der Mann seine ganze Stärke in den Hieb. Doch er streifte nur leicht ihren Knüppel, dann schnitt sein Schwert wirkungslos durch sie Luft.

      Durch die Wucht seines eigenen Schlages getrieben, der nicht wie erwartet auf Widerstand stieß, sondern wieder nur ins Leere fuhr, stolperte der Mann einige Schritte weiter. Sie nutzte die Gelegenheit und verpasste dem Mann ihrerseits einen kräftigen Hieb, bevor der sich fangen konnte und herumfuhr. Mit einem Wutschrei ging er sofort wieder auf sie los. Die Lady glitt mit einer schnellen Drehung aus seiner Reichweite und entkam erneut. Aber inzwischen war der Mann schlauer geworden. Dieses Mal hatte er mit ihrem Ausweichen gerechnet, er setzte augenblicklich nach und sein Schwerthieb verfehlte sie nur noch ganz knapp. Sein nächster Schlag würde treffen.

      Im letzten Augenblick war Robert heran und drängte sein Pferd mit einem Satz gegen den Banditen. Der Mann wurde umgeworfen, rollte sich ab und sprang sofort wieder auf die Füße. Unterdessen hatte sich der Ritter aus dem Sattel geschwungen und trat dem Mann nun grimmig entgegen.

      „Ihr seid wirklich ein Held! Versucht es einmal mit mir!“ Aufrecht stand der Ritter da und musterte den Banditen aus schmalen, eiskalten Augen. Mühsam bezwang er seine Wut und holte tief Atem. Im Kampf die Beherrschung zu verlieren konnte ein tödlicher Fehler sein, das wusste er sehr gut.

      Der Wegelagerer ließ sich nicht lange bitten. Vorsichtig und langsam näherte er sich dem Ritter, Schritt für Schritt, und sprang dann plötzlich vor. Robert machte es kurz. Er täuschte einen Ausfallschritt vor, und als der Mann seiner Bewegung folgte und ihm die Seite zudrehte, holte er blitzschnell mit seinem Schwert aus und stieß zu. Blut quoll durch die Kleidung des Mannes. Er schrie auf und krümmte sich, brachte aber noch sein Schwert hoch und hieb nach dem Ritter. Dieser schlug die Waffe zur Seite und versetzte dem Verletzten den Todesstoß direkt ins Herz. Ohne einen weiteren Laut brach der Mann zusammen.

      Robert beugte sich vorsichtig über den Banditen und überzeugte sich davon, dass der Gefallene wirklich tot war. Nach einem Blick auf Duncan, der jedoch ebenfalls gerade seinen Gegner überwunden hatte und keinen Beistand brauchte, stieß er sein Schwert in die Scheide zurück und wandte sich der Lady zu.

      Er schob seine Kapuze in den Nacken und strich das dunkle Haar zurück, das ihm feucht und strähnig in die Stirn hing. Seine grauen Augen musterten die hübsche junge Frau eingehend, die den Kampf entsetzt verfolgt hatte. Kleid und Umhang waren nass und durch den Sturz vom Pferd voller Schlamm und in ihrem zerzausten, rotblonden Haar glitzerten Regentropfen. Sie stand noch immer am Waldrand und hatte den Knüppel sinken lassen, behielt ihn aber fest in der Hand. Aufgewühlt sah sie auf den toten Banditen, während sie mit der anderen Hand Halt suchend nach dem von Hieben gekennzeichneten Stamm des Baumes tastete, der ihr eben noch als Deckung gedient hatte.

      „Es tut mir leid, dass Ihr das mit ansehen musstet, Mylady. Seid Ihr unverletzt?“ Als Robert sie leise ansprach, hob sie den Kopf und sah ihn aus tiefblauen Augen an.

      „Ja, es geht mir gut. Ich danke Euch für Eure Hilfe“, erwiderte sie dankbar und schauderte. “Ihr kamt gerade zur rechten Zeit.“

      Jetzt trat Duncan, sein Pferd am Zügel führend, zu ihnen. Er hatte ihren letzten Satz gehört und meinte, mit einem Seitenblick auf den Toten:

      „Ihr könnt mit dem Knüppel gut umgehen, Mylady. Zum Glück, sonst wären wir zu spät gekommen.“ Seine Stimme klang erleichtert. „Was wollten die Männer von Euch?“

      Unsicher zuckte sie die Achseln. „Ich weiß nicht. Ich war mit meiner Kammerfrau und zwei bewaffneten Begleitern unterwegs, als wir aus dem Hinterhalt von mehreren Männern angegriffen wurden. Meine Leibwächter konnten gegen die Überzahl der Banditen nicht lange standhalten und auch meine Zofe wurde von Pfeilen getroffen. Seltsamerweise schossen sie nicht auf mich und so versuchte ich zu fliehen. Nur diese vier Männer verfolgten mich, die anderen blieben dort. Den Rest wisst Ihr. Ohne Euer Eingreifen wäre ich sicher nicht entkommen. Ich stehe in Eurer Schuld.“

      „Solche Wegelagerer sind meist nur auf Beute aus, wahrscheinlich wollten sie Euer Geld.“

      Der junge Ritter wies auf ihren Knüppel, den sie noch in der Hand hielt: „Gegen uns braucht Ihr keine Waffe. Auch wenn wir wahrscheinlich nicht besonders vertrauenerweckend wirken.“ Er sah an sich herunter und grinste.

      Da hatte er nicht unrecht. Mit unordentlichen, feuchten Haaren und den vor Nässe triefenden, blutbefleckten Umhängen sahen sie nicht viel besser aus, als die Banditen. Duncan lachte sie mit seinen warmen braunen Augen so gewinnend an, dass sie nicht anders konnte und zurücklächelte.

      „Verzeiht.“ Sie ließ ihre Waffe fallen und kam zu ihnen auf den Weg. „Bitte, seht mein unhöfliches Verhalten nicht als Misstrauen gegen Euch.“

      Robert winkte ab. „Es ist nur vernünftig, vorsichtig zu sein. Verratet Ihr uns Euren Namen?“

      „Ich bin Joan Ashby.“

      Hellhörig geworden, wechselten die beiden Ritter einen Blick. „Ashby, seid Ihr aus Sleaford?“

      „Ja, stimmt. Der Graf von Sleaford ist mein Bruder.“

      Lady Joan betrachtete jetzt ihrerseits die beiden jungen Männer genauer. „Das ist das Wappen des Königs. Wer seid ihr?“

      Warnend warf Robert dem impulsiven Duncan einen Blick zu. Dann sagte er mit einer Verbeugung: „Sir Duncan und Sir Robert, wir sind tatsächlich Ritter am Hofe von König Henry und in seinem Auftrag unterwegs.“

      Er vermied es, ihre Familiennamen zu nennen. Es war besser, vorerst unerkannt zu bleiben, zumindest, bis sie die Lady besser kannten.

      Wachsam sah Lady Joan von einem zum anderen. Sie hatte ihn durchschaut, ihr argwöhnischer Gesichtsausdruck zeigte es deutlich. Aber sie hakte nicht nach und gab sich mit dieser halben Information zufrieden.

      „Dann muss ich wohl dem König danken. König Henry duldet nur die besten Kämpfer an seinen Hof, das ist bekannt und diesem Umstand verdanke ich wohl mein Leben. Nicht jeder wäre mit vier Gegnern fertig geworden.“

      Jetzt mischte sich Duncan wieder ein. Er betrachtete kurz den wolkenverhangenen Himmel und meinte: „Da kommt noch mehr Regen. Auch wird es bald dunkel und heute könnt Ihr Sleaford auf keinen Fall mehr erreichen, Lady Joan. Einige Meilen weiter nördlich liegt das Dorf Foxhill, und soviel ich weiß, gibt es dort einen recht ordentlichen Gasthof. Was haltet Ihr davon, uns für heute Nacht dorthin zu begleiten? Dann sehen wir weiter, was zu tun ist.“

      „Ja, das ist wohl das Beste.“ Ohne zu zögern stimmte sie dem Vorschlag der ihr fremden Männer zu. Der Ritterstand der beiden und das Wappen des Königs genügten ihr als Garantie für deren Ehrbarkeit. „Ich kenne die Ortschaft. Eigentlich hatte ich geplant, weiter nördlich in Oakham zu übernachten, aber auch das ist jetzt zu weit.“ Ein Windstoß trieb der jungen Frau einige Regentropfen ins Gesicht und sie schlug ihre heruntergerutschte Kapuze hoch und zog den verschmutzten Umhang fester um die Schultern.

      Robert