Erwin Guido Kolbenheyer

Paracelsus


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Lederkoller und einen kurzen Spieß.

      Und er wanderte rüstig talab. Seinen Weg beleuchtete der Mond, und der Biberbach rauschte bald lauter, bald leiser.

      Ihn umfing die große Wundernacht des neubürtigen Lebens. Keine Regung hielt ihn zurück. Sein Gelübde war von ihm gefallen.

      Wohin er trieb – er wußte es nicht. Aber ihn füllte ein heiliger Jubel. Er wußte, daß ein reines und befreites Herz nicht verderben kann.

      Im Ausschreiten, da er den Spießschuh kräftig gegen den Boden stieß, während der Biberbach die laute und stille Weise rauschte, hob es sich von seinen Lippen wie ein junger Vogel:

      „In Gottes Namen solltu sin Min Mantel, tiefe Nacht.

      Ich fahr ins nüe Leben in,

      Vom Herzen ohnbedacht.

      Mich keine Regul führt nit mehr,

      Mins Gloubens will ich blühn,

      Der Gnaden Gotts allein ich gehr,

      Die sollt min Weidschiff sin.

      Nu kumm, du Tag,

      mit guetem Streit,

      Ich biet dir frumm die Hand,

      Do mines Herzens fri Bescheid

      Baß ist dann Münchsgewand.“

      Reinigung und Verheißung

      Der Predigtglocke winkendes Geläute wurde bald überhört. Neue Pilgerscharen kamen, und jene, die eine weite Heimfahrt hatten, zogen nach wenig Tagen wieder ab. Die Predigtglocke bekam einen schalen Ton. Von den Wirten und Kaufleuten wurde der neue Zuzug mit kurzen Blicken abgeschätzt. Kaum eine Spur von einladender Liebenswürdigkeit lag mehr in ihren Augen. Alle wußten bereits, mit welchem Gewinn sie die heißen Tage bestehen würden.

      Der dichte Pilgerstrom kreiste nicht mehr vor der Gnadenkapelle. Eine breite Insel, lagen sie vor dem Altar aufgestaut, und je länger sie knien und beten konnten, desto spärlicher hatten die Trichter der Opferkästen zu schlucken.

      In den Bänken saßen die Mönche, müde, von der Hitze gedrückt, sie lauschten vorgebeugt der endlosen Beichtmühle. Immer dieselben Worte. Eigentlich hörten sie nur mehr jene Sünden, die auf zwei Jahre zurück zu dämmen waren. Gelegentlich solcher Sünden gewann ihre Zunge eine leichte Anregung und sie sagte stets das gleiche von Rom, Jubeljahr, Heiligem Vater, Absolution, und über die Vorstellungskette der Absolution rasselte die Erregung des Sprechtriebes wieder ab; erst wenn der Sünder endgültig verstummte, erwachte ihre Zunge wieder und erteilte Buße und Befreiung.

      Jener Augsburger Bruder hatte großen Zulauf. Seine Freikanzel, dort wo die Geißler geblutet hatten, war dicht umlagert. Er hielt einen Predigtenkranz über die Wunden und die Freuden Mariens, jeden Tag über eine Wunde oder eine Freude abwechselnd. Und an den Wundtagen wurde nicht weniger gelacht als an den Freudentagen.

      Theophrast fand in dieser Zeit, da eine buntverdichtete Welt ihn umkreiste, über einige Dornzäune heil und erwachter zu den Seinen zurück.

      Die Leute drängten sich um die Drille und waren über die Grimassen erfreut, die ein Bruder Sundfeger schnitt, während ihm in seinem wirbelnden Gefängnisse todübel wurde. Die Drille stand neben der Etzelstraße, sie war ein Käfig, der leicht auf einer Spindel gedreht werden konnte. Brach irgendein Landstreicher durch den Zaun der Ordner, die Wege und Stege besetzt hielten, und suchte er etliche gute Tage im Schatten der Gnadenmutter durch freiwillige und unfreiwillige Gaben zu erstehen, so mußte er seine Kunst meistern, sonst wurde er gefaßt und in die Drille getan. Und es gab kaum einen Jungen, der nicht sein Bestes drangesetzt hätte, so lange mitzudrehen, bis dem Gauchen das Innerste nach außen geschleudert war und er besinnungslos auf dem tanzenden Boden des Gefängnisses hinschlug. Dafür standen immer etliche Heller zu erwarten. Aber es gab nur wenig Pracher, die nicht in Ehren bestehen wollten, auch sie konnten etliches von den Belustigten erhoffen, wenn sie kräftig aushielten. Und so kam es zu einem Kampf zwischen den treibenden Jungen, die einander ablösten, und dem allmählich erblassenden Gartbruder im Käfig.

      Als Theophrast sich glücklich durch die Großen und Kleinen vor der Drille durchgezwängt hatte, war der Kampf eigentlich schon entschieden. Etliche schworen, der Vagabund werde kaum mehr ein Dutzend Runden aushalten. Und man gröhlte befriedigt, da er, mit seinen letzten Kräften in den Stäben hängend, taumelig, kreideweiß, mit hervorgetriebenen Augen, noch die Kraft fand, seine Zunge zu blecken. Allein die Anstrengung blieb nicht ohne Folgen. Kreischend, johlend vor Vergnügen, stürzten die Leute zurück, rannten einander um und rollten auf der Erde: dem Gedrillten entfuhr der Mageninhalt in weitem Gusse. Dann schlug er hin, und man warf den atemlosen Jungen lachend etliche Geldstücke zu, ließ auch einige in den Käfig springen.

      Theophrast sah das voll Staunen. Er merkte erst, als die Leute auseinandergingen, daß ihn die kleine Seiltänzerin am Wams zog.

      Er hatte mit der Mutter einmal in dem eingeblachten Raume der Vorstellung zugesehen. Von einem Feuerfresser war er tief erschüttert worden. Die Kleine aber zeigte in einem roten Fähnlein, das über und über mit Glasperlen benäht war, nur solche Kunststücke, die sie wohl beherrschte, und der schwarzhaarige Meister setzte ihr weiter nicht zu. So hatte sie in Theophrast keinen sonderlichen Eindruck hinterlassen. Ihm war bang geworden, als sie aufs Seil sprang, dann aber warf er sein Geldstück ohne Befangenheit in ihren Zinnteller. Nur die beiden vergeudeten Böcklein wurmten ihn heftiger. Doch sagte er der Mutter nichts davon.

      Da nun die kleine Tänzerin neben ihm stand und seinen Brotbeutel begierig musterte, sah er sie feindselig an.

      Doch sie lächelte und flüsterte:

      „Nimm dein schön Haller! Kauf Bockeli, gut Bockeli.“

      „Du Gugelvolk, loufst eimweg! Dir sollet ich eins weisen!“

      „Nit schimpf, nit zank, Bockeli kauf!“

      Sie nahm ihn bei der Hand, und er folgte widerwillig. Hinter einem Strauch kauerte sie nieder und deutete einladend daneben auf den Rasen.

      „Zeig dein schön Haller, gut Bübli.“

      Sie schlang ihren Arm um seinen Hals und preßte ihre Wange an die seine. Theophrast aber stieß sie heftig fort, und sie ließ sich ins Gras fallen, blieb liegen, vergrub das Gesicht in die Arme, als habe er ihr weh getan. Da wurde es dem Büblein bang, es kniete zu ihr, faßte das dichte Kraushaar und wollte ihren Kopf wenden, um zu sehen, ob sie spiele oder wirklich weine. Sie warf sich blitzschnell um, lachte und fuhr mit hurtigen Fingern in den Brotbeutel, nahm was sie greifen konnte und rannte davon. Sie hielt das Seidentüchlein in der Hand. Und in das Tüchlein hatte die Mutter die schönen Haller gebunden.

      Er jagte ihr nach, fiel einmal hart über sein Schwert, so daß die kleine Diebin einen guten Vorsprung gewann. Er gab nicht auf. Sie rannte einigen Jungen zu, die ihrer unweit zu warten schienen, und stellte sich hinter den stärksten.

      Theophrast hielt ein und kam das letzte Stück zögernd näher.

      „Die soll min siden Tüchli geben“, rief er.

      Die kleine Schlange aber schmiegte sich an den Wilhelm Fenkh, den Ältesten vom ,Weißen Wind', und keifte:

      „Er zank, er schimpf und will slak!“

      Da entschied der Wilhelm Fenkh: „Du muoßt ein Buoß zahln.“

      Theophrast pochte auf sein gutes Recht: „Ich zahl kein Buoß nit umb das Gugelvolk. Sie hats us min Bütel gstohln.“

      Wilhelm Fenkh meinte mit großem Ernst: „Willtu ein Schwert führn, und loßt dir usm Bütel stehln?“

      Theophrast drohte: „Min Vater wird iich weisen!“

      Wilhelm Fenkh nahm der Kleinen das Tüchlein ab und entschied:

      „Din Vater sollt miner müßig gan.“

      Da sprang Theophrast unversehens zu und entriß dem starken Bengel das Tuch, fuhr damit ab. Es glückte nicht weit. Einer warf ihm seinen Prügel zwischen die