seine typografische oder akustische Form, sondern der mit dieser Form geprägte Begriff bezeichnet unser Wissen und unsere Erfahrungen, in diesem Fall zum Thema Bild. Wenn wir den Begriff verwenden, senken wir dieses Instrument in die Sedimente unserer Erfahrungen und filtern diejenigen Erfahrungen heraus, die sich mit dem Begriff verbunden haben.
Die Früchte, die ich auf dem Bild erkenne, sind nicht Teil des Bildobjektes, sondern existieren als Erinnerung und Erfahrung. Die wirklichen Äpfel, die für dieses Bild fotografiert wurden, existieren schon lange nicht mehr. Sie wurden gegessen und verdaut. Das Bildobjekt selber bleibt ein Stück Papier mit Farbspuren.
„Das Zeichen ist, genauer formuliert, die Differenz zwischen Bezeichnendem (Poster) und Bezeichnetem (fotografierte Äpfel), im Deutschen etwas schwerfällig zu formulieren.“ (Luhmann 2009, S. 76.)
Die nach der Befragung erhaltenen Bildsplitter lösen auch den Bildbegriff auf. Er kann nicht mehr als ein selbstverständliches, sprachliches Werkzeug benutzt werden. Das Zeichen oder eigentliche Bild bleibt das flüchtige Erlebnis.
Die Art der Fragen beeinflusst die Menge der verbleibenden Teile wie auch die Orte, wo sie lokalisiert werden. Ich versuche nun möglichst viele Splitter des Begriffs als Bildkategorien zu verfolgen und aufzulisten. Anschliessend werde ich beschreiben, wie die jeweiligen Fragen die Art des Zerfalls beeinflussen.
Ich werde das Poster mit dem Schriftzug "MEHR SAISONFRISCHE", das oben am Gestell der Früchte hängt, befragen, und die einzelnen Splitter den zugehörigen Abteilungen zuordnen. Das Ziel dieser Betrachtung ist eine Kategorienbildung.
1. das Bild als Abbild
Das Bild der Früchte auf dem Poster wurde von einer Fotografin mit einem Gerät erzeugt. Diese hatte die Gegenstände aus dem Geschäft und von demselben Gestell genommen, von dem ich meine Äpfel für den Apfelkuchen kaufte. Sie hat diese in ihrem Studio in einem flachen Korb platziert und mit Lampen beleuchtet, so dass sie ohne störende Schatten oder Reflexe erscheinen und fotografisch optimal abgebildet werden können. Man erhält den Eindruck, die Früchte rollen aus dem Korb auf den Betrachter zu.
Das fotografisch erhaltene Bild gilt als Dokument, als momentaner, mechanisch-optischer Abdruck der Früchte. In der Semiotik wird von einem indexikalischen Zeichen gesprochen, da jeder Pixel der Fotografie einem Ort des Raumes entspricht, der - für die Optik der Kamera - im sichtbaren Ausschnitt lag. Wenn der Betrachter von einer bestimmbaren Position aus dieses Bild wahrnimmt, entspricht die Erscheinung dieser Früchte genau der Erscheinung, die die Fotografin durch die Kamera wahrgenommen hat. Dieses Bild ist ein mechanisch-perspektivisch-naturalistisches Abbild einer realen Situation. Es wird als Abbild der Wirklichkeit definiert.
Die Fotografin hat ihr Studium an der Kunsthochschule gemacht. Sie arbeitet als Künstlerin und teilzeitlich für die Grafikabteilung des Lebensmittelgeschäftes. Während ihrer Ausbildung wurde nie die grundsätzliche Frage gestellt, wie Bilder funktionieren und warum Bilder problematische Fragen auslösen. Sie hat während ihrer Ausbildung unter anderen das Kunstgeschichtsmodul besucht, in dem die Trompe d‘oeil-Malerei der Künstler des 16. und 17. Jahrhunderts betrachtet wurden. Bei dieser Fotografie erinnerte sie sich an den Trick des Malers Pieter Claesz, Gegenstände so auf der Tischkante zu platzieren, dass der Betrachter den Eindruck erhält, dass sie im nächsten Moment herunterfallen. Der Betrachter greift unwillkürlich zu, um die Gegenstände vor dem Herunterfallen zu schützen. Man könnte also das Werk der Fotografin als eine Hommage an die Trompe d‘oeil-Maler interpretieren.
2. Das Bild als Grafik (Layout)
Der Begriff Grafik hat mehrere Aspekte. Grafische Arbeiten sind erstens Bilder, die für einen kommunikativen und ökonomischen Zweck erzeugt und eingebunden werden. Die grafische Gestaltung behandelt das Bild als ein kommunikatives Produkt, das durch eine Optimierung der Bildelemente und deren Zusammenspiel im Ganzen einen ökonomischen wie ästhetischen Wert entwickelt. Bei der formalen Gestaltung eines grafischen Produktes spricht man von Layout.
Andy Warhol war in den 60er-Jahren des letzten Jahrhunderts zuerst einer der bekanntesten Grafiker New Yorks, bevor er zum berühmtesten POP-Art-Künstler avancierte.
Die Fotografin hat die digitale Bilddatei dem Grafiker der zuständigen Werbeabteilung geschickt. Dieser hat die Fotografie zugeschnitten und in das vorgesehene Format eingepasst, den Schriftzug entworfen und eine passende Hintergrundfarbe bestimmt. Der Grafiker hat die abgebildeten Früchte kurz angesehen, bei einer einen Fleck wegretuschiert und im gesamten Bild die Kontraste und Farben leicht verändert, damit sie ins Farbkonzept des Lebensmittelgeschäfts passen. Als die Fotografin zufälligerweise in der Früchteabteilung ihre Fotografie erkannte, ärgerte sie sich darüber, dass die vorderste Frucht angeschnitten wurde.
Der Grafiker hat seine Ausbildung vor vielen Jahren an der damaligen Schule für Gestaltung gemacht. In seiner Ausbildung wurde nie die Frage erörtert, was das Bild vom Wort unterscheidet und welche Fragen der Bildbegriff auslösen kann. Die wichtigsten Inhalte waren Seitengestaltung, Typografie, Naturstudien, Fotografie, Farbenlehre und Bildbearbeitung, also praktische Anleitungen zur Gestaltung eines Bildproduktes.
3. Das Bild als Grafik (Druck)
Der zweite Aspekt des Begriffes Grafik meint die Produktions- und Reproduktionstechnik (zum Beispiel Zeichnung, Kalligrafie, Offsetdruck, Laserdruck, Lithografie, Radierung, Holzschnitt usw.). In der ursprünglichen Verwendung meint Grafik ganz allgemein ein gestisch-zeichnerisch erzeugtes Produkt.
„Wir haben derart drei verschiedene Bildbegriffe in Hinsicht auf die Bildgenese vor uns. Der erste geht davon aus, dass alles Grafische als intentional erzeugtes Flächiges sich zuerst grundsätzlich auf die Abbildung bezieht. Das Bild entsteht mit dem Abbild. Der zweite geht davon aus, dass sich zuerst die Zeichnung entwickelt, welche sich nachfolgend in die Abbildung und damit in das Bildhafte transformiert.
Die Zeichnung ermöglicht das Abbild und geht nachfolgend in ihm auf. Der dritte geht davon aus, dass intentionale flächige Erscheinungen zwar Abbildungen sein können, sich aber in keiner Weise darauf beschränken lassen. Abbilder sind in dieser letzten Auffassung zwar Bilder, doch nicht alle Bilder sind Abbilder, und die Genese ist entsprechend differenziert und wechselseitig zu bedenken.“ (Maurer 2011, S. 99.)
Im Umfeld der gestalterischen und grafischen Berufe sind Grafiken seriell produzierte Bilder. Von einer Grafik existiert kein Original.
Der Grafiker hat die von ihm erzeugte PDF-Datei dem Drucker geschickt, der von dieser Datei die für den Druckvorgang benötigten Druckvorlagen erzeugt hat um für alle Filialen des Geschäftes insgesamt 500 Exemplare dieses Bildes herzustellen. Den Drucker haben die dargestellten Früchte kaum interessiert, sondern die exakte Übereinstimmung der vier dazu benötigten Druckvorgänge, damit das gedruckte Produkt der Vorlage am Bildschirm entspricht.
Der Drucker hat eine Lehre in der Druckerei gemacht. An der Gewerbeschule gab es kein Fach, das semiotische Fragen beantwortet. Es gab jedoch einen Chemiker, der ihm den Unterschied zwischen einem synthetischen und einem pflanzlichen Pigment erklärte.
4. Das Bild als Stimmung und Verführung
In der Geschäftsleitung des Lebensmittelkonzerns gibt eine Abteilung, die für Werbung und grafische Produkte zuständig ist. Diese plant bis ins letzte Detail, welche Farben, welche Motive und welche Schriften verwendet werden. Dies ist ein Konzept, das Corporate Design genannt wird.
Das Poster mit den Früchten erfüllt eine kleine, ganz bestimmte Aufgabe im Gesamtbild der Firma. Es vermittelt eine Stimmung, ganz gleich, ob es betrachtet wird oder nicht, und verhält sich wie die Musik, die im Hintergrund rieselt. Die dominierende Farbe Grün mit einem Stich ins Gelbe und die einzelnen roten Flecken erzeugen den Eindruck von Frische. Die Beleuchtung mittels einiger Spots erzeugt helle, gelbgrüne Flecken