Eric Bonse

Wir retten die Falschen


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Kapitel mit je zehn Beiträgen - das ist das Grundprinzip dieses Buches. Innerhalb der Kapitel sind die Texte in chronologischer Reihenfolge geordnet. Und was steht nun drin? Es geht nicht „nur“ um die Krisenstrategie, auch wenn der Buchtitel dies nahelegt. Es geht auch um die Frage, was die Krise mit bzw. aus Europa und der EU gemacht hat. Und das ist eine ganze Menge. Die „Euroretter” haben eine Art Parallel-Union aufgebaut, Deutschland hat eine Führungsrolle übernommen, Merkel hat sich zur Über-Mutti entwickelt, die Demokratie wurde weitgehend ausgehebelt etc.

      Wer sich vor allem für die wirtschaftlichen Aspekte interessiert, dem seien die Kapitel 1, 2, 6, 7 und 9 empfohlen. Hier geht es um die Rolle der Märkte (1), die Banken und andere Profiteure (2), den Krisensommer 2012 (6), den Fiskalpakt und die so genannte Economic Governance (7) sowie um wirtschaftspolitische Alternativen (9). Die Politik steht in den Kapiteln 3, 4, 5, 8 und 10 im Vordergrund. Hier befasse ich mich mit Merkels Kurs (3), Deutschlands neuer Rolle (4), den damit verbundenen Führungsproblemen (5) und der Demokratie-Problematik (8). Im Schlusskapitel wage ich eine vorläufige Bilanz. Tenor: We are still „Lost in EUrope“.

      Hintergründe der Eurokrise

      Politik gegen Europa

      17. März 2011 - Moody‘s stuft Griechenland herab

      Sage niemand, die Rating-Agenturen seien neutrale Markt-Beobachter. Die brutale Herabstufung der Bonität Griechenlands durch die US-Agentur Moody‘s beweist das Gegenteil. Kurz vor dem Eurozonen-Gipfel am Freitag hat Moody‘s das Land mal so eben um drei Punkte auf Ramsch-Niveau abgewertet - sogar noch tiefer als das postrevolutionäre Tunesien. Und das, obwohl keine neuen Negativ-Meldungen vorliegen und die Regierung in Athen alle EU-Vorgaben erfüllt.

      Griechenland ist laut Moody's nur noch drei Punkte vom Zahlungsausfall entfernt. Dabei wird der griechische Schuldendienst bis 2013 von der EU garantiert. Das Ziel dieser krassen Fehlbewertung ist klar: Moody‘s will Griechen und Europäer zwingen, Farbe zu bekennen. Entweder greift die EU dem Land endlich beherzt unter die Arme, indem sie die Zinsen für die EU-Hilfen senkt und griechische Anleihen aufkauft, oder es wird Zeit für eine Umschuldung.

      Doch für beides gibt es bisher in Europa keine Mehrheit, das weiß man auch in Washington. Die Herabstufung verfolgt daher - ob bewusst oder unbewusst, sei dahingestellt - noch ein weiteres Ziel: Die Handlungsfähigkeit der EU zu testen. Letztlich geht es gar nicht mehr um ein rationale ökonomische Analyse der Kreditwürdigkeit eines Landes, sondern um eine sachlich kaum fundierte Meinung, mit der Politik gemacht werden soll und wird - zu Lasten Europas.

      Man könnte sogar noch weiter gehen und ein anti-europäisches Ressentiment vermuten. Schließlich stand schon zu Beginn der Schuldenkrise ein solches Ressentiment. Angelsächsische Analysten prägten das Kunstwort von den „PIGS“-Staaten, um die Kreditwürdigkeit Portugals, Italiens, Griechenlands und Spaniens in Zweifel zu ziehen und die europäischen „Schweine“ (die wie zufällig fast alle sozialistisch regiert wurden) herabzuwürdigen.

      Seither werden die „PIGS“ systematisch fertiggemacht. Obwohl Portugal und Spanien ihre Schulden noch locker bedienen können, werden sie durch Gerüchte und Downgradings immer tiefer in den Trudel der so genannten Eurokrise gezogen (die in Wahrheit eine Bankenkrise ist).

      Obwohl Irland und Griechenland immer noch besser dastehen als mancher US-Bundesstaat (und natürlich auch als Tunesien), senken die Analysten den Daumen immer tiefer. Selbst wenn sie genau jene Reformen umsetzen, nach denen die Analysten rufen, droht eine Herabstufung - denn damit verschlechtern sich ja die Wachstumsaussichten...

      Möglich wird dieser Teufelskreis allerdings nur, weil die Europäer es versäumt haben, die Macht der Märkte zu begrenzen. Sie haben es nicht nur unterlassen, Analysten, Tradern und Ratingagenturen wirksame Fesseln anzulegen.

      Einige EU-Länder wie Deutschland haben die Märkte sogar noch regelrecht ermutigt, höhere Risikoprämien für so genannte Schuldenländer zu nehmen, um diese für ihre verfehlte Finanzpolitik zu bestrafen. Gleichzeitig wehren sie sich mit Händen und Füssen gegen die Einführung von Eurobonds, die mehr Liquidität schaffen und den Markt beruhigen würden.

      Das Ergebnis lässt sich nun besichtigen: Nicht mehr die Politiker bestimmen die EU-Agenda, sondern die Märkte machen Politik - im Zweifel auch gegen Europa.

      The PIGS are back

      24. Mai 2011 - Die Märkte attackieren Italien und Spanien

      Nach Griechenland, Irland und Portugal geraten nun auch Italien und Spanien in den Sog der Schuldenkrise. Obwohl sich wirtschafts- und fiskalpolitisch in Madrid und Rom nichts, aber auch gar nichts verändert hat, fordern die Finanzmärkte plötzlich höhere Risikoaufschläge für den Kauf von Anleihen. Zur Begründung wird der negative Ausblick einer Ratingagentur für Italien und die Protestwelle in Spanien angeführt – doch beides ist an den Haaren herbeigezogen.

      Die US-Agentur Standard & Poor‘s hatte Italien am Wochenende überraschend unter Beobachtung gesetzt – wegen des schwachen Wachstums und angeblich fehlender Reformperspektiven. Doch die drittgrößte Volkswirtschaft der Eurozone hat weder Liquiditäts- noch Solvenzprobleme. Das schwache Wachstum ist nicht neu, und die Regierung Berlusconi bereitet längst ein Sparpaket vor. Objektiv gibt es also keinen Grund für die Nervosität, wie Insider bestätigen.

      Noch abstruser ist die Marktreaktion bei Spanien. Das Land hat gar kein Schuldenproblem, wohl aber ein massives soziales (die horrende Jugendarbeitslosigkeit). Deshalb wurden die regierenden Sozialisten bei den Kommunal- und Regionalwahlen am letzten Wochenende abgestraft, was nun angeblich die Märkte beunruhigt. Nach derselben Logik müsste auch Deutschland unter Druck kommen, weil Merkels CDU die Wahl in Bremen verloren hat…

      In Wahrheit heizen zwei Gründe die Schuldenkrise an: Zum einen spekulieren die Finanzmärkte schon seit Jahren massiv gegen die so genannten PIGS (Portugal, Italien, Griechenland und Spanien) – und wie der Zufall es will, fehlen nur noch Italien und Spanien auf der lukrativen Abschuss-Liste, die mittlerweile beliebig ergänzt wird (Irland kam schon hinzu, so dass Experten von den PIIGS sprechen; nun kommt auch wieder Belgien ins Gerede).

      Zum anderen verunsichert Griechenland die Anleger. Doch auch hier geht es nicht um die wirtschaftliche oder finanzielle Lage in Athen, die sich kaum verändert hat (und sich nach der Logik der Märkte sogar bald verbessern dürfte, da Athen einen Räumungsverkauf seines Staatsbesitzes einleitet). Für Unruhe sorgen vielmehr die Chefs der Eurozone, die offenbar die Nerven verloren haben und ihren Partner regelrecht kaputt reden.

      So hört man in Brüsseler EU-Kreisen immer öfter, Griechenland sei ein „failed state“, dem man nicht mehr helfen könne. Prominente EU-Experten gefallen sich in abfälligen Bemerkungen, die darin gipfeln, die Regierung in Athen solle sich an die Weltbank wenden, denn EU und IWF seien nur für entwickelte Länder zuständig. Weitere Spitzen kommen ausgerechnet aus Rom und Madrid – denn dort fürchtet man die „Ansteckung“ mit dem „griechischen Virus“ (der in Wahrheit in den Märkten in New York und London hockt und nicht in Athen).

      Die EU-Granden haben dem bisher nichts entgegenzusetzen. Ratspräsident Van Rompuy, der noch im März verkündet hatte, nun sei die Ansteckungsgefahr für Spanien und Italien gebannt, beklagt sich, dass die Märkte Griechenland keine Zeit für Korrekturen lassen