Eric Bonse

Wir retten die Falschen


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ist nicht die einzige politische Anomalie der Eurokrise.

      Gestern habe ich mich mit den wirtschaftlichen Absonderlichkeiten der Krise befasst: Die europäischen Anleihemärkte sind extrem volatil (nachdem sie jahrelang geschlafen haben), die „Ansteckung“ geht viel zu schnell, und trotz aller Sorgen ist der Euro immer noch überbewertet. Kein einziges dieser Probleme wurde bisher angepackt, sieht man einmal von Sarkozys wahltaktisch motivierter Kritik an der EZB und deren (nicht vorhandener) Wechselkurspolitik ab.

      Doch die politischen Probleme sind noch abstruser. Sie lassen sich in drei Punkten zusammenfassen: 1. Die Eurokrise ist eine bewusst herbeigeführte und sogar öffentlich angesagte Krise - doch die Politik ignoriert sowohl Warnungen als auch Attacken. 2. Die Eurogruppe belohnt die Verursacher der Probleme und bestraft die Opfer. 3. Deutschland profitiert von alldem am meisten, obwohl es - nicht nur nach Meinung des IWF - vieles falsch macht und Alternativen verhindert.

      Zu 1: Der Zusammenbruch von Lehman Brothers war schwer vorherzusehen, die Schuldenkrise in Euroland nicht. Schon 2009 tauchten erste Berichte über die so genannten PIGS-Staaten auf, die angelsächsische Analysten und Investoren für anfällig hielten und später auch massiv attackierten. Noch heute stehen diese Staaten - Portugal, Italien, Griechenland, Spanien - im Mittelpunkt der Krise. Doch die Eurogruppe hat sich zu keinem Zeitpunkt aufraffen können, die (teilweise richtige, teilweise auch willkürliche) Analyse ernst zu nehmen, die Angreifer zu bestrafen und die angegriffenen Staaten zu schützen. Sie tut immer noch so, als seien die Länder selbst schuld - und spart sie zu Tode. Derweil gehen die Attacken gegen die PIGS, die man nicht mehr so nennt, munter weiter...

      Zu 2: Die Politik hat es in drei Jahren nicht vermocht, die Krise einzudämmen. Geholfen hat eigentlich nur die Billionen-Spritze der EZB, und deren Wirkung lässt schon wieder nach. Die Politik beschränkte sich darauf, die Interessen der Anleger - insbesondere die Banken aus Deutschland und Frankreich - zu schützen. Die Interessen der Bürger der Krisenländer wurden hingegen mit Füssen getreten. Besonders offensichtlich ist dies in Griechenland, wo kaum ein Cent der Hilfsmilliarden bei den Griechen ankommt, sondern staatliche Leistungen massiv gekürzt werden. Ein ähnlicher Prozess hat nun in Spanien eingesetzt. Es ist ein Teufelskreis - doch die EU weigert sich, wenigstens Madrid mehr Spielraum zu geben...

      Zu 3: Deutschland verordnet Europa die falsche Medizin und wird dafür auch noch belohnt. IWF, OECD, S&P, die Schwellenländer, Italien, neuerdings auch wieder Frankreich haben den deutschen Austeritätskurs wiederholt kritisiert und zahlreiche Alternativen vorgeschlagen, doch es hilft alles nichts: Kanzlerin Merkel und Finanzminister Schäuble stellen sich - mit Rücksicht auf FDP und CSU - stur. Das einzig sichtbare positive Ergebnis dieser Blockade ist, dass Deutschland seine Stellung als führende Wirtschaftsmacht in Europa weiter ausbaut und das Geld regelrecht hinterhergeworfen bekommt. Dies wiederum bestärkt Merkel und Schäuble, weiterzumachen wie bisher und Deutschland zum „Modell“ zu erheben...

      Nimmt man alle drei Punkte zusammen, ergibt sich das Bild eines weit gehenden und kaum entschuldbaren Politikversagens. Die Politik in Europa hat die Bedrohung nicht nur nie ernst genommen (1), sondern aus den gemachten Fehlern auch nichts gelernt (2). Während in den Krisenländern eine Abwärtsspirale ausgelöst wurde (2), werden die Verursacher und Profiteure der Krise in ihrem schädlichen Verhalten noch bestärkt (2, 3). Die Banken können neuerdings sogar mit EZB-Geld gegen Eurostaaten spekulieren, Deutschland kann seine einseitige Politik mit aktiver Hilfe der Märkte fortsetzen. Dies wiederum mindert die Chance, dass der Kurs irgendwann korrigiert wird.

      Erst wenn Deutschland selbst die negativen Folgen der Eurokrise zu spüren bekommt, könnte sich endlich etwas ändern. Doch dann dürfte es schon zu spät sein...

      Wer von den Hilfskrediten profitiert

      Bilanz einer verfehlten „Rettung“

      20. Februar 2012 - Wer profitiert von den Hilfsplänen?

      Während Griechenland noch um seinen zweiten „Rettungsplan“ bangt, ist schon klar: Gewinner werden nicht die Bürger, sondern die Banken sein. Denn die Gläubiger kassieren nicht nur den größten Teil der geplanten 130 Mrd. Euro Notkredite (Experten sprechen von bis zu 80 Prozent), sie werden auch noch vorrangig bedient - über ein Sperrkonto. Doch dies ist nicht die einzige bittere Lehre aus zwei Jahren Griechenland- und „Euro-Rettung“ - eine kleine Zwischenbilanz.

      Banken vor Staaten: Seit dem Dezember-Gipfel ist klar, dass Eurogruppe und EZB die Banken wichtiger nehmen als die Staaten. Die Geldhäuser bekommen hunderte von Milliarden Euro ohne Bedingungen und fast zum Nulltarif nachgeworfen, die Staaten müssen um Hilfen betteln und auch noch strikte Konditionen erfüllen, die sie - wie im Falle Griechenlands - noch abhängiger und schwächer machen. Dabei leidet Europa nicht etwa an einer Schuldenkrise - die Schuldenquote ist im internationalen Vergleich lächerlich niedrig -, sondern an einer Bankenkrise, die während der Finanzkrise auf dem Rücken der Steuerzahler „gelöst“ wurde und nun auf die Staaten zurückschlägt. Wir haben es also nicht nur mit einer falschen „Therapie“, sondern auch noch mit einer falschen Diagnose zu tun - Besserung nicht in Sicht.

      Schuldendienst über Demokratie: Das ist die wohl frustrierendste Lehre aus der Griechenland-Krise: Deutschland, Frankreich und die meisten anderen Euro-Staaten finden den Schuldendienst wichtiger als Wahlen. Einen ersten Hinweis darauf gab es bereits, als Merkozy im Herbst ein geplantes griechisches Referendum zurückwiesen (was sich im Nachhinein als Fehler erwies, es hätte ihnen später viel Ärger erspart). Offensichtlich wurde die Demokratie-Phobie aber erst letzte Woche, als Finanzminister Schäuble allen Ernstes die Wahlen im April als Hindernis zur „Rettung“ Griechenlands darstellte und das „Modell Italien“ empfahl. Offenbar zieht man in Berlin nicht gewählte Technokraten à la Monti dem Volkswillen vor - dabei kann ohne das Volk keine „Reform“ gelingen. W. Münchau hat daher nicht ganz unrecht, wenn er den Griechen empfiehlt, den neuen Bailout abzulehnen, wenn sie ihre Demokratie retten wollen. Zum Heulen.

      Sparen und Schrumpfen vor Wachstum und Wohlstand: Von Anfang an setzten Merkel, Schäuble & Co. auf eine harte Austeritätspolitik. In Griechenland war sie regelrecht als Strafe konzipiert, in Irland und Portugal ging man etwas gnädiger und flexibler vor. Das Ergebnis war überall dasselbe: Die Wirtschaft brach ein, die Einkommen gingen zurück, die Reichen sicherten ihr Geld im Ausland, der Rest musste massive Wohlstandseinbußen hinnehmen. Damit wurden die Patienten weiter geschwächt, wie man vor allem in Griechenland und Portugal sieht. Zwar will man sich neuerdings auch um Wachstum kümmern. Doch die geplanten Reformen zur Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit brauchen Zeit, um zu wirken. Bis dahin dürfte sich die Rezession verschärfen, die Schulden steigen weiter - ein Teufelskreis, der die gesamte „Rettung“ gefährdet.

      Bemerkenswert ist, dass sich die Politik trotz dieser beschämenden Bilanz die Hände reibt. Stolz verweist sie darauf, dass die Eurokrise eingedämmt sei, weil nun keine Pleite mehr drohe und sich die Märkte beruhigt hätten. Dabei hat die Politik es geschafft, aus der Schuldenkrise in einem kleinen Staat wie Griechenland ein existenzielles Problem für den ganzen Kontinent zu machen - und dabei auch noch so gut wie alle Grundwerte Europas zu verraten...

      21. Februar 2012 - Wem hilft das Griechenland-Programm?

      Der neue „Rettungsplan“ für Griechenland steht. Gerade noch rechtzeitig vor der drohenden Staatspleite im März haben sich die Euro-Finanzminister auf neue Milliarden-Hilfen geeinigt. Doch wem wird da eigentlich geholfen? Den Griechen bestimmt nicht. Sie müssen künftig mit niedrigeren Löhnen, weniger Kündigungsschutz, schlechterer Gesundheitsversorgung und einem massiven Ausverkauf ihres Staates leben.

      So hat es die internationale Troika gefordert, und Finanzminister Schäuble und seine europäischen Amtskollegen - allen voran Deutschlands neue Triple-A-Freunde aus Finnland und Holland - haben es den Griechen mit vielen, oft verletzenden Drohgebärden aufoktroyiert. Das war ein rücksichtsloses Diktat, kein großzügiges Hilfsangebot.

      Profitieren werden Banken, Versicherungen und Hedgefonds