Markus Sturm

Jakob der Träumer


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nur im Märchen. „Adam wird den Garten schön pflegen. Da wird Er sich freuen.“

      III

      Der Tod schwieg. Rauchschwaden hingen in der Luft, bildeten Wolken über den Lichtinseln der Tische, über den verschwommenen, nicht genau erkennbaren Gestalten an der Theke, bevor sie sich verteilten, solange, bis sie unsichtbar wurden, zuvor die kauernden Schemen einhüllend in diesem Zwischenreich. Er hatte die Lust verloren zu erzählen.

      „Und? Wie geht es weiter?“, bohrte Frank.

      „Weiter? Es gab kein Weiter. Das war es.“

      „Kein Weiter? Der Mensch! Er ist erschaffen! Nach Seinem Abbild! Sie waren dabei. Und es soll kein Weiter gegeben haben? Ich dachte wirklich immer, dass all diese Geschichten erstunken und erlogen sind. Und sie erzählen nun, dass ich mich geirrt habe? Und hier soll es kein Weiter geben?“

      „Nein. Der Mensch war erschaffen. Der Rest: eine Wiederholung. Es hat begonnen. Es wird enden. Dazwischen: dasselbe. Ein Beginn. Ein Ende. Das ist menschlich.“

      „Sind Sie Pessimist?“

      „Nein. Realist. Ich weiß. Und ich beobachte. Bereits seit langer Zeit. Ich bin gewesen, schon bevor der Mensch war. Dann bin ich geworden, weil der Mensch war. Heute bin ich so wie euer Wesentlichstes. Und ich werde sein. Auch danach.“

      „Nach mir?“

      „Natürlich“.

      „Nach dem Menschen?“

      „Natürlich.“

      „Warum?“

      „Warum?“ Der Tod griff nach seinem Glas. Er betrachtete die Lichtreflexionen darin. „Irgendwann wird der Mensch nicht mehr sein. Dann wird etwas anderes sein. Denn der Mensch lernt nicht.“

      „Wir lernen ständig. Unser gesamtes Leben besteht aus Lernen. Wir lernen nur.“

      „Ja, aber ihr merkt euch nichts.“ Der Tod mochte nicht mehr über Menschen nachdenken.

      „Trotzdem: Wie ging es weiter?“, fragte Frank.

      Wie sollte es weitergehen? Sollte er alles erzählen? Sollte er darüber sprechen? Es würde das erste Mal sein, dass er darüber sprach. Noch nie hatte er mit jemandem darüber geredet. Außer mit Herbie. Der Tod zögerte. Sie hatten noch Zeit. Vielleicht war es gut so. „Mögen Sie eigentlich Äpfel?“, kam es als Antwort.

      „Äpfel? Ja.“

      „Ich nicht.“

      Mann

      „Den ganzen Tag nur herumstehen und allen Tieren Namen geben und sagen, wie der Baum da heißt und wie der andere, wie langweilig. Wie das Tier hier gackert, und jenes krächzt. Adam ist müde. Keiner spricht mit Adam, keiner mag Adam. Adam ist allein.“ Irgendwer schien den Kummer in Adams Augen zu bemerken und dachte nach. „Mir schwant Übles“, meinte Herbie.

      „Warum?“, fragte der Tod. Beide saßen mittlerweile unter einem anderen Baum und beobachteten von dort aus das Geschehen. Der Mensch hatte tatsächlich jedem Lebewesen und auch allen Dingen einen Namen gegeben. Nun existierte alles. Nun war alles wirklich. Nun war alles konkret. Herbie war die Schlange, der Apfel blieb der Apfel, wie auch immer er das angestellt hatte, nur der Tod war noch nicht eindeutig benannt. Adam war noch nicht auf ihn gestoßen. Und damit die Zeit seines Namens noch nicht gekommen. Adams Nachfahren würden allerdings für ihn noch viele finden. Der Tod dachte kurz an die Zukunft. Bald würde es soweit sein. „Diesmal wird es gut gehen. Sag, dass es gut gehen wird“, forderte Herbie, „diesmal wird doch das Exemplar gelungen sein?“ Der Tod schwieg.

      „He, Leute, holt mich endlich runter, mir ist langweilig“, ertönte es vom Baum. Tod und Herbie ignorierten das Gewimmer. Und währenddessen traf Adam auf jemanden. Irgendwer war nicht untätig geblieben, das wusste der Tod.

      „Hallo.“

      „Hallo.“

      „Adam.“ Er zeigte auf seine Brust. Ein Blick als Antwort. Jemand taxierte ihn aus leuchtenden Augen. Betrachtete, nein, begutachtete ihn. Auf eine Art und Weise, wie nur Männer betrachtet wurden, die sich eben unheimlich blamiert hatten. „Na, und?“

      „Was heißt: na und?“

      „Na, und weiter! Soll ich mich freuen, dich zu sehen, soll ich Purzelbäume schlagen, soll ich hier anwachsen? Adam. Adam! Könntest du nicht wenigstens Brad oder Johnny oder George oder so heißen? Irgendeinen coolen Namen wenigstens? So, wie du aussiehst? Was mache ich hier? Hier tut sich nichts! Und du? Stehst nur rum und starrst mich an. Passt dir was nicht? Gibt es hier nichts Interessanteres als dich? Gibt es hier überhaupt etwas Interessantes? Wo ist hier etwas los?“

      „Weiß nicht.“

      „Was bist denn du für ein komischer Kauz?“, blaffte Eva.

      „Ich bin der Gärtner. Er hat das gesagt, und Er hat mir jemanden versprochen, damit ich nicht mehr allein bin.“

      „Wer soll das sein?“

      „Du. Er hat gesagt, es sei nicht gut, dass der Mensch allein ist, und daher hat Er dich erschaffen.“

      „Na toll, und was soll ich nun machen? Und vergiss nicht: Allein sein, hast du gesagt, von Mögen keine Spur.“

      „Magst du mich nicht?“ Adam zauderte. Er hatte sich anderes erwartet.

      „Puh, bist du der Einzige hier, oder gibt es jemanden, mit dem man zumindest richtig reden kann?“

      „He, ihr, holt mich herunter!“, wieder dieser Ruf, der Tod und Herbie bereits so genervt hatte. Sie hörte ihn. Sie dachte nicht weiter darüber nach, dass Äpfel eigentlich nicht sprechen konnten. Und ging zum Baum. „Hallo du, was bist denn du für ein niedlicher Kleiner?“ Eva verstand sich in diesem Augenblick prächtig mit dem Apfel. Sie kannte ihn nicht, wusste nicht, wer er war, alles egal! Mit jedem hätte sie sich ausgezeichnet verstanden momentan. Hauptsache, er war nicht Adam.

      „Ich bin Apfel“, sagte der Apfel, „und wer bist du?“

      „Ich bin Eva.“

      „Freut mich, dich kennen zu lernen. Würdest du mir bitte hinunterhelfen?“ Adam mischte sich ein: „Er hat gesagt, dass man nichts von diesem Baum in der Mitte nehmen darf.“

      „Und warum nicht, Herr Neunmalklug?“, fauchte Eva.

      „Er hat gesagt, dass Adam sterben muss, wenn er von den Früchten nimmt und isst.“

      „Aber, aber, wer wir denn gleich so negativ sein! Wegen mir? Ich liebes Kerlchen, wer soll wegen mir schon sterben?“, bettelte Apfel, „komm, fass mich an und zieh, hier ist nichts los. Gemeinsam hätten wir sicher eine Menge Spaß!“

      „Aber Er hat gesagt, dass es verboten ist vom Baum in der Mitte zu nehmen!“

      „Du hast ja keine Ahnung“, erwiderte Eva. Herbie konnte die Sache nicht mehr mit ansehen. Adam tat ihm leid, so wie er hier von den beiden herumgeschubst wurde. „Nun, Tod, da ist sie. Wie findest du sie?“, meinte er.

      „Wen?“ Tod streckte gerade seine Glieder und wollte es sich in der Sonne bequem machen, sich vielleicht sogar ein wenig bräunen, dem Gerippe Farbe verleihen. Schadete ihm ja auch nicht. Er dachte, dass er durch seine Blässe nicht unbedingt wie das blühende Leben aussah. „Seine neueste Schöpfung“, präzisierte Herbie.

      „Warum soll ich sie finden? Sie versteckt sich ja nicht. Und noch muss ich sie nicht finden.“

      „Nein, schau dort drüben, in der Mitte, wo wir vorhin gesessen sind. Sieh sie dir an! Was hältst du von ihr?“ Tod blinzelte, das Licht blendete ein wenig.

      „Rund“, war sein einziger Kommentar.

      „Glaubst du, wir sollten hingehen? Adam sieht etwas überfordert aus.“

      „Ach,