Dietmar Kottisch

JUSTITIAS BRUDER


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kann mir vorstellen, dass eine Tageszeitung ein Interview mit mir macht, und ich den Verdacht äußere, dass im Büro des Politikers etwas oberfaul ist.“

      Sie schaute Oliver an.

      Oliver nickte. „Nicht schlecht, der Gedanke. Wäre zwar rechtlich gesehen eine Verleumdung, weil wir es nicht beweisen können und der Typ freigesprochen wurde, aber für die Publicity ist es gut.“

      „Ich bekäme also eine Anzeige wegen Verleumdung.“

      „Sehr wahrscheinlich.“

      „ Ist mir egal, wenn es der Gerechtigkeit dient,“ bekräftigte Jana ihr Vorhaben. „Wäre es also machbar? Sie glauben auch, dass es der Minister war?“

      Oliver sah ihr in die Augen. „Ich neige dazu. Warum, kann ich nicht sagen, aber vieles spricht dafür.“

      „So eine Art Intuition?“

      „Ja, würde ich sagen.“

      Lars schaute seine Frau misstrauisch an. „Jana… du kriegst gewaltigen Ärger mit der Behörde.“

      Irgendwie schien sich etwas zu wiederholen. Ein verdrängter, schrecklicher Gedanke schoss ihr ins Gedächtnis. Es war das Fragment einer Szene. „Als ich zwölf Jahre alt war, verunglückte mein fünfjähriger Bruder tödlich. Er wurde von einem Motorrad überfahren, der Fahrer verschwand spurlos. Es ist, als ob ich ein zweites Mal so was erleben muss. Damals wurde der Fahrer überhaupt nicht erwischt, aber diesmal….“ Ihre Augen wurden feucht.

      Lars machte eine Bemerkung, die Oliver im Ton zum Kotzen fand. Ihr Mann sagte lapidar, sie solle diese alten Dinge nicht immer wieder aufwärmen.

      Olivers Schweigen war Anteilnahme an ihren Gefühlen.

      „Ich kenne jemanden bei der Tageszeitung, der würde sich bereit erklären, ein solches Interview mit Ihnen zu machen,“ sagte er.

      Jana schaute ihm in die Augen. „Sie sind auch ein Mensch, der solche gravierende Ungerechtigkeiten nicht ertragen kann, ja?“

      Oliver nickte.

      Lars schaltete sich wieder ein. „Wäre das nicht die Sache der Eltern? Ihr Kind ist getötet worden.“

      „Schau sie dir doch an, Lars, die sind am Boden zerstört, die haben keine Kraft, so was durchzuziehen.“ Sie spürte keine Lust mehr an dieser Unterhaltung, weil Lars wie ein Fremdkörper wirkte. Am liebsten würde sie sich mit Oliver alleine unterhalten.

      Sie zahlte und sagte zu Oliver. „Ich rufe Sie an, okay?“

      „Meine Nummer haben Sie. Aber warten Sie nicht zu lange, es muss schnellstens gemacht werden.“ Lars warf ihm einen kurzen feindseligen Blick zu.

      Jana spürte, dass dieser Anwalt dieselben Gefühle hatte wie sie. Dass er gegen schwerwiegende Ungerechtigkeit war. Und dass er bereit war, etwas dagegen zu tun.

      Noch am gleichen Spätnachmittag rief sie ihn an. Dann vereinbarten sie für den vierten November ein Treffen in seiner Wohnung in Frankfurt Sindlingen.

      Als Jana erschien, war noch ein anderer Mann da. Er war untersetzt, hatte eine sehnige Statur, graublaue Augen und dunkle, kurze Haare.

      „Das ist Alex Riemek. Er arbeitet als Journalist bei der Tageszeitung "Frankfurter Tages Journal". Ich habe ihm gesagt, um was es geht, und er ist einverstanden.“

      Alex Riemek gab ihr die Hand, sie zuckte leicht zusammen unter seinem kraftvollen Händedruck.

      „ Ich habe auch die Gerichtsverhandlung verfolgt,“ sagte er. „Ich mach jetzt ein Interview mit Ihnen über den Unfall und über den mutmaßlichen Fahrer, über den Zeugen, den alten Mann, und über die Aussagen unter Eid der beiden anderen Zeugen. Ich werde diese Gefälligkeitszeugen Glauburg und Kammer beim Namen nennen.“ Jana nickte. Oliver kam mit einer Kanne Kaffee und einer Kanne Tee ins Wohnzimmer.

      Riemek steckte sich eine Zigarette an und trank einen Schluck Tee. „Sie werden sich dahingehend äußern, dass Sie das Gefühl hatten, es handelt sich um verdammte Gefälligkeitsalibis. Ich werde erwähnen, dass sich die Ehefrau des Ministers geweigert hatte auszusagen, ob ihr Mann im Büro oder privat im Mercedes unterwegs war.“

      „Haben Sie die Ehefrau wirklich gefragt?“ wunderte sich Jana.

      „Ja. Wenn er zu Hause war und privat mit dem Mercedes gefahren ist, dann müsste sie es eigentlich wissen.“

      „Nicht unbedingt, aber das spielt jetzt keine Rolle,“ sagte Oliver.

      „Warum?“ fragte sie.

      „Wir wissen ja nicht, wie die beiden zueinander stehen,“ antwortete er.

      „ Ich werde auch versuchen, die beiden Zeugen zu befragen. Wenn sie sich weigern, steht es in der Zeitung. Es ist vollkommen klar, dass im Amt darüber geredet wird und wenn Praun nicht im Büro war, na ja…..“ setzte er fort.

      „Es muss besonders hervorgehoben werden, was ich sage. Nach meinem Eindruck waren die Aussagen zu Gunsten des Ministers abgesprochen,“ bemerkte Jana.

      „Natürlich. Ich könnte noch erwähnen, dass der Staatsanwalt Herrschinger und der Justizminister Praun in derselben Partei Mitglieder sind…..“ er grinste. „Aber das wäre zu auffällig.“

      Ein Tag später erschien im "Frankfurter Tages Journal" auf der ersten Seite ganz unten ein Bericht über den tödlichen Verkehrsunfall und die Gerichtsverhandlung gegen Praun:

      Ein 10-jähriges Mädchen wurde am 17. Oktober gegen 12 Uhr 40 in Frankfurt auf der Berliner Strasse auf einem Zebrastreifen von einem heranrasenden weißen Mercedes angefahren und tödlich verletzt.

      Auf der Gegenfahrbahn bremste die Fahrerin Jana Johansson (45) vor dem Zebrastreifen, auf dem das Mädchen vor Schreck stehen geblieben war.

      Der Fahrer des Mercedes, der Fahrerflucht beging, soll der Hessische Minister der Justiz, Heiner Praun, gewesen sein. Seine Immunität wurde vom Landtag aufgehoben.

      Gegen Praun wurde ermittelt und es kam zum Gerichtsprozess.

      Praun bestritt alles und behauptete, zu dieser Zeit in seinem Büro im Wiesbadener Landtag gewesen zu sein.

      Ein Zeuge hatte sich Teile des Kennzeichens sowie die Automarke und Farbe gemerkt und das Gesicht gesehen. Auf Grund eines Datenbankabgleichs geriet der Justizminister unter Verdacht.

      Vor der Verhandlung wurde dieser Zeuge von einem Mann aufgefordert, gegen Zahlung von dreitausend Euro seine Aussage zu widerrufen.

      Zwei andere Zeugen jedoch schworen unter Eid, dass ihr Chef zur selben Zeit im Büro war und demzufolge an dem Unfall nicht beteiligt gewesen sein konnte.

      Es waren der Privatsekretär des Ministers Glauburg und der Staatssekretär Kammer.

      Der Angeklagte Heiner Praun wurde daraufhin freigesprochen.

      Die Ehefrau des Ministers wollte nicht sagen, ob ihr Mann zum Zeitpunkt des Unfalls im Büro oder privat mit dem Mercedes unterwegs war. Die beiden Zeugen Kammer und Glauburg waren auch nicht zu einem Interview bereit.

      Jana Johansson teilte uns mit, dass sie den starken Verdacht hatte, die beiden Zeugen haben zu Gunsten des Justizministers eine Gefälligkeitsaussage unter Eid gemacht. Jana Johansson sei maßlos enttäuscht darüber, dass seitens des Staatsanwaltes auch bei den Zeugen Kammer und Glauburg nicht tiefer und genauer recherchiert wurde.

       .

      Als die Anzeige von Kammer und Glauburg gegen Jana wegen Verleumdung in ihrem Briefkasten lag, war sie nicht überrascht, aber zornig. Zufällig fiel das Schriftstück Lars in die Hände, der sich am anderen Tag bei einem Anwalt schlau machte. Alleine die Aussicht auf eine Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder einer Geldstrafe brachte ihn so auf die Palme, dass er einen heftigen Streit mit Jana anzettelte. Die schon brüchige Beziehung bekam einen weiteren Riss.

      Sie rief daraufhin Oliver